Bergedorf. Interview Nazivorwürfe gegen Kurt A. Körber: Was der Stiftungs-Chef dazu sagt
Hohe Wellen schlug die Forderung einer Bergedorfer Experten-Kommission, die Kurt-A.-Körber-Chaussee umzubenennen – aufgrund „moralischer Mitverantwortung“ des Namensgebers beim Einsatz von KZ-Häftlingen. Das möchten viele, die das Erbe Körbers weiterleben, nicht so einfach stehen lassen: Dr. Lothar Dittmer (58), seit fast zwei Jahren Vorsitzender des Vorstands der Körber-Stiftung und selbst Historiker, sagt im Interview mit unserer Zeitung, was er am Kommissionsbericht vermisst und warum für ihn die Diskussion keinen Nährwert besitzt.
Herr Dr. Dittmer, woran liegt es, dass historische Nachforschungen zu einflussreichen Persönlichkeiten zumeist spannend, aber auch sehr belastend für den Betrachteten und Folgegenerationen sein können?
Dr. Lothar Dittmer: An der deutschen Geschichte. Und daran, dass wir uns nicht schonen. Wahrscheinlich gibt es kein zweites Land, in dem eine so differenzierte Aufbereitung der Vergangenheit stattfindet. Die Aufarbeitung kommt in Wellen, weil es immer wieder neue Generationen von Historikern und politisch Interessierten gibt, die gewissen Fragen intensiver nachgehen wollen. In der Regel geht es um Personen, bei denen man davon ausgeht, dass eine historische Belastung aus der Nazi-Zeit vorliegt. Die Frage ist nur, ob wir dabei auch zu neuen Erkenntnissen kommen.
Da Ihnen der Kommissionsbericht zu NS-belasteten Straßennamen im Bezirk Bergedorf vorliegt: Wie beurteilen Sie diesen unter dem Gesichtspunkt neuer Erkenntnisse und dem Anraten, die Kurt.-A.-Körber-Chaussee umzubenennen?
Die Kommissionsmitglieder haben wenig neue Quellen ermittelt und keine Zeitzeugeninterviews geführt. Ihr Bericht ist eine Literaturrecherche und keine eigene Forschung. Und die Recherche beruht zum größten Teil auf den drei Publikationen, die auf Anregung der Körber-Stiftung entstanden sind.
Das bedeutet, es gibt nichts wirklich Neues?
Die entscheidenden Fakten sind lange bekannt und werden von der Stiftung seit Jahren öffentlich gemacht. Zwei davon halte ich für besonders entscheidend, nämlich erstens, dass Kurt A. Körber seit 1940 Mitglied der NSDAP war. Diejenigen, die früh in die Partei eintraten, waren zumeist glühende Anhänger der Nazis. Diejenigen, die wie Körber einige Jahre später eingetreten sind, taten dies aus Karrieregründen. Man kann sagen, dass Körber sich anpassen und Karriere machen wollte.
Und das zweite Faktum?
Im Dresdner Universelle-Werk sind Zwangsarbeiter beschäftigt worden. Auch das ist bekannt. Der Ansatz der Kommission besteht darin zu sagen, dass die Mehrzahl privatwirtschaftlicher Firmen Zwangsarbeiter aktiv angefordert habe. Deswegen wird vermutet, dass es auch bei der Universelle so gewesen sei. Hier war Körber Mitglied der Firmenleitung. Daraus wird geschlossen, dass er mit dem Einsatz von Häftlingen zu tun gehabt haben muss. So zu argumentieren ist aber eine Umkehr des Beweisverfahrens. Statt einer Person individuelle Schuld nachzuweisen, wird sie so lange für schuldig erklärt, bis ihre Unschuld erwiesen ist.
Was kritisieren Sie also konkret am Bericht?
Es wird gesagt, dass Körber eine moralische Mitverantwortung trägt. Ein problematischer, weicher Begriff, wie ich finde. Nach wie vor gilt doch bis heute die Unschuldsvermutung. Es gibt keine Quellen, kein einziges Indiz, weder aus dem Krieg noch danach, dass Körber persönlich belastet und ihm eine Schuld zuweist.
Hat Körber sich Ihrer Kenntnis nach auch für Verfolgte zu Kriegszeiten eingesetzt?
Es gibt einige Zeugnisse von damals bedrängten Menschen, die bestätigen, dass er ihnen geholfen hat. Das ist auch einer der Gründe, weshalb er relativ schnell nach Kriegsende wieder in der Geschäftsleitung eingesetzt wurde. Das will ich aber gar nicht aufbauschen. Körber war sicher kein Schindler.
Es ist häufiger die Rede von Körbers opportunistischem Verhalten gegenüber dem Regime. Woran macht sich dieser Vorwurf denn fest?
Die Bezeichnung „gewöhnlicher unternehmerischer Opportunist“ stammt von Josef Schmid und Frank Bajohr. Kurt A. Körber wollte als junger Ingenieur und Führungskraft die Universelle auch im Krieg zum Erfolg führen. Das ist aber kein Bekenntnis zur Nazi-Ideologie, sondern eher ein Persönlichkeitsmerkmal. Körber wollte immer vorn sein, immer gewinnen und der Beste sein. Was er übrigens auch nach dem Krieg so lebte.
Gibt es denn Anhaltspunkte für seine politische Gesinnung?
Körber hatte durch seine Mutter, die Anhängerin der Sozialistin Rosa Luxemburg war, politisch eine völlig andere Prägung. Sein Bruder hat 1933 wegen der Nazis im Gefängnis gesessen, weil er einer jüdischen Arztwitwe geholfen hat. Kurt A. Körber hatte also schon zu dieser Zeit Erfahrungen mit einem System gemacht, von dem er wusste, dass es extrem gefährlich sein kann. Das sind Hinweise darauf, dass man ihm wirklich keine Sympathie für das NS-Regime unterstellen kann.
Jugendförderer, Kulturmäzen, Unternehmer und vieles mehr in den Jahren danach – kann es sein, dass dieses Engagement Kompensation für Verfehlungen zur Nazi-Zeit war?
Das ist hochspekulativ. Die Stiftung hat er sicherlich eher gegründet, weil er der Bundesrepublik dankbar war, dass es ihm hier im Unterschied zu Ostdeutschland ermöglicht wurde, erfolgreich als Unternehmer tätig zu sein. Er wollte diesem Land schlicht etwas zurückgeben.
Inwieweit sind die Nachforschungen zu Körber aus Ihrer Sicht abgeschlossen?
Ein abschließendes Urteil gibt es in der Geschichtsforschung nicht, sondern nur einen Stand, der aktuell ist. Ich finde, der Forschungsstand im Aufsatz der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg von 2011 ist immer noch gültig. Da ist alles offengelegt, was es an möglicherweise belastendem Material zu Körber gibt, und es führt zu einer klaren Bewertung.
Die Kommission wirft der bisherigen Forschung zu Körber mangelnde Akribie vor.
Ich will diesen Kommissionsbericht zu Körber nicht bewerten, aber der hat gerade mal sechs Seiten, auf denen in den entscheidenden Punkten relativ allgemein zitiert wird. Die Studie von Schmid/Bajohr von 2011 dagegen bietet 29 Seiten, und die gehen ziemlich ins Detail.
Bis die Kurt-A.-Körber-Chaussee eventuell umbenannt wird, müssten noch
einige Gremien durchlaufen und Debatten geführt werden. Wie gelassen sehen Sie dem entgegen?
Ich möchte dazu anmerken: Hier wird versucht, eine Diskussion neu aufzurollen, die man schon damals, bevor aus der Kampchaussee die Kurt-A.-Körber-Chaussee wurde, geführt und beendet hat. Es gibt keine neuen Erkenntnisse.
Wie groß aber ist durch die aktuelle Diskussion der Imageschaden für alle mit Körber in Verbindung stehenden Institutionen?
Im Moment überhaupt nicht groß, weil wir zunächst einmal abwarten müssen, wie die Diskussion in der nächsten Bezirksversammlung läuft. Es ist ja gar nicht klar, ob es von da aus weitergeht.
Und wenn die Debatte doch weiterginge?
Wenn die Diskussion länger laufen würde, wäre das in der Tat eine Beschädigung der Person Körbers und natürlich auch nicht schön für die Stiftung.