Bergedorf. Vor 90 Jahren Hasse-Gesellschaft begeistert mit Musikplänen
Beinahe wäre Bergedorf das Bayreuth des Nordens geworden. Allerdings nicht mit Richard Wagners eher melancholischen Werken, sondern mit einer Mischung der Kompositionen von Georg Friedrich Händel und Johann Adolf Hasse, ergänzt um etwas Brahms und Beethoven. In ganz Deutschland kursierte zum Jahreswechsel 1926/27 ein Aufruf, für das Projekt eines „Händel-Hasse-Festspielhauses“ in Bergedorf zu spenden.
Fertige Pläne, so heißt es in dem Aufruf, lägen vor und zur Finanzierung fehlten nur noch 800 000 Reichsmark. Zu den 28 hochrangigen Unterzeichnern gehörten Persönlichkeiten wie Hamburgs Bürgermeister Dr. Carl Wilhelm Petersen sowie die Generalmusikdirektoren Dr. Karl Muck (Hamburg/Bayreuth) und Wilhelm Furtwängler aus Berlin. Dass sie für Bergedorf warben, lag an der hier 1910 gegründeten Hasse-Gesellschaft.
Ihre Initiatoren hatten sich von Anfang an zwar den Namen des 1699 in Bergedorf geborenen Johann Adolf Hasse gegeben, der zu Lebzeiten wichtigster Komponist Europas war. Doch weil dessen Werk 140 Jahre nach seinem Tod größtenteils verschollen war, drehte sich bei Hasse-Gesellschaft, -Chor und -Orchester viel um Georg Friedrich Händel (1685–1759). Dessen Werke hatte der Bergedorfer Musikgelehrte und -Verleger Dr. Friedrich Chrysander (1826–1901) wiederentdeckt, in einer Händel-Gesamtausgabe von fast 100 Bänden neu verlegt und teils „für den privaten Gebrauch“ überarbeitet, also wieder populär gemacht.
Mit beiden Komponisten zusammen scheint es der kleinen Bergedorfer Hasse-Gesellschaft gelungen zu sein, die große Musikwelt des Deutschen Reiches zu begeistern. Mitten in der Zeit der Weimarer Republik, die hungrig war nach unpolitischen Helden und Vorbildern deutscher Kultur, konnte sich Bergedorf sogar gute Chancen auf ein Händel-Hasse-Festspielhaus ausmalen. „Leider scheiterte das Projekt in der aufziehenden Wirtschaftskrise und wurde nach dem Krieg nie wieder aufgegriffen“, sagt der Lohbrügger Chrysander-Experte Horst Zapf (81). „So blieben diese Bergedorfer Musikstränge leider unverbunden.“
Doch auch wenn das ganz große Projekt seinerzeit scheiterte, sieht Zapf die Komponisten noch immer als einmalige Chance für Bergedorf. „Wir haben mit dem Hasse-Haus neben der Kirche St. Petri und Pauli das einzige in Hamburg im Original erhaltene Geburtshaus eines der ganz großen Komponisten. Auch die Hasse-Gesellschaft und das Hasse-Orchester sind bis heute sehr lebendig.“ Für ihn ist klar: Wenn die auch Händel für sich entdecken, könnte es eine Renaissance für die Musikstadt Bergedorf geben. „2017 wäre das perfekte Datum“, sagt Zapf, „weil Friedrich Chrysander sich hier vor 150 Jahren mit seiner Familie an der heutigen Chrysanderstraße einrichtete und die legendäre Druckerei seiner Musikveröffentlichungen baute. Und weil es 90 Jahre her ist, seit der Festspielhaus-Aufruf kursierte.“
Im Gegensatz zu den monumentalen Plänen von einst, freut sich der Lohbrügger heute schon über kleine Schritte. Dazu gehört das Konzert des Hasse-Orchesters bei den Bergedorfer Musiktagen 2017. Am 25. Juni, 19 Uhr, eröffnet das Ensemble seinen Abend in der Kirche St. Marien am Reinbeker Weg mit dem Orgelkonzert Nr. 1 in g-moll von Georg Friedrich Händel. Zudem erklingen Mozarts 4. Hornkonzert und die Frühlingssinfonie von Robert Schumann. „Natürlich werden wir in unseren Eröffnungsworten einiges zur engen Verbindung von Händel über Chrysander zu Bergedorf berichten“, sagt Lothar Schumann, als zweiter Vorsitzender der Hasse-Gesellschaft zuständig für das Orchester. „Wir haben eine sehr hohe Wertschätzung für Händel, auch wenn wir natürlich vor allem Hasse verpflichtet sind.“
Dass heute beides mit viel Musik unterlegt werden kann, liegt am Wirken von Prof. Dr. Wolfgang Hochstein (66), der als Vorsitzender der Hasse-Gesellschaft zahlreiche Werke des großen Komponisten Johann Adolf Hasse wiederentdeckt und neu verlegt hat. „Man könnte sagen, dass er Bergedorf mit seinen Forschungen ein zweites musikalisches Standbein der Klassik geschenkt hat“, sagt Horst Zapf. „Hochstein ist unser Chrysander der Gegenwart.“