Bergedorf. Stuhlrohr-Areal 600-Quadratmeter-Bild muss weichen
Seit der Hanseatische Drahthandel (Hadra) seine Kisten Ende des Jahres auf dem Stuhlrohr-Areal zusammengepackt hat, ist Bergedorfs Rekord-Graffito vom Sander Damm aus wieder gut zu sehen. Von der Seite des Opel-Händlers aus bietet sich ein farbenfroher Anblick auf „Das neue Hamburg und seine Partnerstädte“. Mit 600 Quadratmetern Größe ist es eines der größten Graffiti der Hansestadt, das – vergrößert als Foto-Plane – im Hafen für Furore sorgte. Mit dem geplanten Hallen-Abriss droht so einem Stück Zeitgeschichte das Ende.
Die Idee zu dem Kunstwerk hatte Ende der 1990er-Jahre eine internationale Gruppe von zehn Künstlern um den Bergedorfer Sascha Siebdrat (alias „Vaine“). Er zeichnete unter anderem für die Bemalung des Turms der Auferstehungskirche in Lohbrügge verantwortlich und betreibt ein Atelier in Kirchwerder. Die Leitung hatte das Atelier getting-up, das noch heute im Mercedes-Hochhaus an den Elbbrücken zu finden ist.
Die Sprayer hatten einen ehrgeizigen Plan: Sie wollten das bekannteste Dock im Hafen – Dock 10 von Blohm+Voss – verschönern und so gleichzeitig die Graffiti-Kunst aus ihrem Underground-Dasein herausholen. Hierzu sollte eine 2000 Quadratmeter große Plane mit einem spektakulären Graffito bedruckt werden – doch wo sollte die Vorlage dafür entstehen? Die Wahl fiel auf eine Lagerhalle der Gebrüder Glunz GmbH, die in den Backsteinbauten nebenan früher ihren Japan-Import betrieb. Zuvor war hier die Kartonagenfabrik Max Armbruster untergebracht.
„Das war ein tolles Projekt, wir haben sofort Ja gesagt“, erinnert sich Glunz-Geschäftsführerin Julia Hartenstein. Nach zweieinhalb Jahren Vorbereitung ging es los: Binnen zwei Wochen fertigten die Graffiti-Künstler ein Gemälde mit kräftigen Farben an. Im Fokus standen die Hamburger Partnerstädte Chicago, Prag, Dresden, Marseille, St. Petersburg, Osaka, Shanghai und Leon (Nicaragua). Sie bekamen jeweils eigene Motive – neben seiner Fahne steht für Hamburg auch die Cap San Diego. Dazu brachten die Künstler Farbfelder an der Wand an, für den Farbabgleich des Druckers. Im April 2001 wurde dann die fertige Plane im Hafen enthüllt.
Zu den Künstlern, die das riesige Kunstwerk gestalteten, gehörte auch Mirko Reisser (alias „DAIM“). Er sieht den drohenden Abriss recht pragmatisch: „Das Bild war ohnehin nur als temporäre Geschichte angelegt. Wenn wir Aufträge annehmen, werden die Graffiti mit einer Spezialversiegelung geschützt. Das gab es bei diesem Projekt nicht“, sagt der 45-Jährige, der in der Ateliergemeinschaft getting-up arbeitet. Zu ihr gehört neben Heiko Zahlmann („RKT one“) auch Gerrit Peters („Tasek“), der 2001 ebenfalls in Bergedorf dabei war.
Und in der Tat hat das Kunstwerk gelitten. Einzelne Teile fehlen – so wurde eine Darstellung des afrikanischen Kontinents herausgesägt, um hier eine Einfahrt für die Hadra zu schaffen, an einzelnen Stellen blättert die Farbe. Für Mirko Reisser ist das nicht so dramatisch. „DAIM“ blickt lieber in die Zukunft: „Ich würde mir wünschen, dass auf dem Stuhlrohrgelände neue Dinge entstehen. Vielleicht gibt es ja einen Platz für Graffiti-Kunst“, sagt er in Richtung des Wohnbaukonzerns BUWOG, der ab 2018 abreißen lassen will.