Von Ulf-Peter Busse

Lohbrügge.
Bergedorfer sind Kinofans. Das weiß niemand besser als Dieter Lange. Der Inhaber der Hansa Filmstudios an der Lohbrügger Einkaufsstraße ist die graue Eminenz der Kinogeschichte in Hamburgs Osten. Seit 45 Jahren im Geschäft, davon 32 in Bergedorf, ist es ihm zu verdanken, dass es hier bis heute ein Kino gibt - mit 520 Plätzen in drei Sälen und seit 2013 sogar mit 3D-Technik. "Ich habe alles richtig gemacht", sagt er rückblickend und plant "mindestens noch bis 2020, vielleicht auch fünf Jahre länger."

Obwohl er am 15. August 65 Jahre wird, denkt Dieter Lange längst nicht ans Aufhören, feiert lieber mit gut 80 geladenen Gästen, darunter Bezirksamtsleiter Arne Dornquast und Werner Omniczynski (SPD), Präsident der Bezirksversammlung. Tatsächlich knüpft er seit der umfangreichen Modernisierung der Hansa Filmstudios 2013 an die Erfolge der 80er- und 90er-Jahre an, verzeichnet an Wochenenden täglich bis zu 300 Besucher, an Wochentagen regelmäßig über Hundert. Und zeigt er Blockbuster wie "Fack ju Göhte" oder "Hobbit", gibt es Hausrekorde mit 800 Zuschauern am Tag.

Beachtliche Erfolge wie diese sind typisch für die Geschichte der Hansa-Kinos im Großraum Bergedorf. Sie begann Mitte der 70er-Jahre in Geesthacht und ist neben Dieter Lange vor allem mit der Kino-Familie Tontarra verknüpft. Ewald Tontarra (gestorben 1997) und seinem Ziehsohn - zehn Jahre lang auch Schwiegersohn - Dieter Lange gelang es immer wieder, den Krisen der Branche ein Schnippchen zu schlagen und mit frischen Ideen oder störrischer Beharrlichkeit ihre Kinos zu Publikumsmagneten zu machen.

"Das war schon in Geesthacht so, als Ewald und Ehefrau Anne-Grete Tontarra das Kino am Rathaus übernahmen und samt Familie auch gleich von Niendorf dorthin zogen", berichtet Lange, der damals gerade Corsy, die älteste ihrer drei Töchter geheiratet hatte. "Sie machten Geesthacht zu einem der ersten Verzehrkinos in Deutschland, schufen sich mit den damals bald unverzichtbaren Tischchen samt Lampen und der Klingel fürs Personal eine zweite Einnahmequelle."

Schnell kam ein zweiter kleiner Saal hinzu und ein weiteres, buchstäblich atemberaubendes Projekt: In den Spätvorstellungen am Freitag und Sonnabend wurden Pornos gezeigt. "Dieses sogenannte Pam-Kino lockte damals sehr viele Gäste, bewegte sich rechtlich aber in einer Grauzone", erinnert sich Lange. Der Gesetzgeber versuchte, den sich schnell verbreitenden Trend durch den Verbot des Ticket-Verkaufs einzudämmen. Ewald Tontarra konterte mit einem Trick: Wer rein wollte, musste einen Verzehrbon kaufen. Den konnte er drinnen an der Gastronomie einlösen - und natürlich den Film sehen.

Dieter Lange pendelte damals zwischen seinem Beruf als Zeitsoldat in Itzehoe und dem Freizeitjob als Filmvorführer an den Wochenenden in Geesthacht. Als er die Uniform an den Nagel hängte, hatte er eine kaufmännische Ausbildung in der Tasche und trotz Scheidung von Corsy das Vertrauen der Tontarras sicher. Anfang der 80er-Jahre eröffneten sie das Hansa-Kinocenter am Schüsselteichplatz in Lauenburg, übertrugen Dieter Lange die Leitung.

Sie selbst expandierten nach Reinbek, wo sie an der Bergstraße von 1980 bis 1983 ein Kino mit zwei kleinen Sälen betrieben. Es war die Zeit, als sie von der Eroberung Bergedorfs träumten. Denn hier hatte Ende Dezember 1980 mit den Holsten-Lichtspielen an der Lohbrügger Fußgängerzone das letzte Kino geschlossen. Es war der traurige Schlusspunkt des Kinosterbens, ausgelöst durch das in den 70er-Jahren immer weiter verbreitete Fernsehen.

Die Tontarras und Dieter Lange schockte diese Vorgeschichte nicht. Als ihnen die Gebr. Glunz die Integration eines Kinos mit drei Sälen im Neubau an der Bergedorfer Straße nahe des Mohnhofs vorstellten, schlugen sie zu. Am 9. Dezember 1983 eröffnete das Hansa-Kinocenter mit dem Atom-Endzeitdrama "The Day after" und dem Oscar prämierten Musikfilm "Flashdance". Für den Wechsel nach Bergedorf trennte sich die Kinofamilie von den Häusern in Geesthacht und Reinbek. Lauenburg lief unter Dieter Langes Leitung weiter bis 1993. Dann musste er sich der übermächtigen Konkurrenz des Lüneburger Multiplex-Kinos geschlagen geben.

Das Hansa-Kinocenter entwickelte sich derweil sehr gut. "Die Bergedorfer waren dankbar, nach drei Jahren ohne Kino nicht mehr für jeden Film nach Hamburg reisen zu müssen. Es lief so erfolgreich, dass wir zusammen mit dem Kino verrückten Architekten Herbert Paege ein weiteres Haus in Lohbrügge projektierten", erinnert sich Lange. Tatsächlich wurde es am 22. Dezember 1989 genau dort eröffnet, wo neun Jahre zuvor die Holsten-Lichtspiele für immer geschlossen hatten. Sein Name: Hansa-Filmstudios.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Ewald Tontarra einen wichtigen Sieg für die Attraktivität der Bergedorfer Kinos gegen die Konkurrenz der großen Häuser in der Hamburger City erkämpft. Durch geschickte Lobbyarbeit war es denen gelungen, dass alle Filmpremieren in der Hansestadt grundsätzlich bei ihnen liefen, während die Kinos in den Stadtteilen erst Wochen später bedient wurden. Tontarra lief gegen diese "hanseatische Tradition" Sturm, wurde zur Speerspitze der Betreiber kleiner Kinos. Lange: "Am Ende hat er sich durchgesetzt und das Kartellamt wies an, dass auch in Hamburg Erstaufführungen gleichzeitig in allen Kinos möglich sein müssen. Das halte ich bis heute für sein wahres Meisterstück."

Nach dem Aus in Lauenburg kam auch Lange nach Bergedorf. Er unterstützte Anne-Grete Tontarra nach dem Tod ihres Mannes und übernahm bereits vor ihrem Tod 2010 die Geschäftsführung. Gemeinsam hatten sie im Jahr zuvor noch eine der schwersten Entscheidungen der Unternehmensgeschichte gefällt: Ende 2009 schlossen sie das Hansa-Kino an der Bergedorfer Straße. Hintergrund war nicht etwa ihre eigene Konkurrenz durch die Hansa-Filmstudios in Lohbrügge, sondern eine Entscheidung ihres Vermieters, der Gebr. Glunz. "Um den Discounter Aldi neben uns anzusiedeln, kündigten sie den Vertrag für den größten unserer drei Kinosäle. Damit war ein wirtschaftlicher Betrieb nicht mehr möglich", bedauert Lange bis heute.

Er weitete daraufhin das Programm in Lohbrügge auf die bis heute üblichen 27 Vorstellungen pro Woche aus. In den folgenden Jahren wurde investiert - in gemütlichere Bestuhlung, Digitalisierung und zuletzt 220 000 Euro in die 3D-Technik. "Die Besucherzahlen geben mir Recht, es ist gut angelegtes Geld", freut sich Lange heute. Sein Personal konnte er dank der großen Nachfrage auf 20 Mitarbeiter verdoppeln. Nun setzt Lange auf die nächsten Blockbuster, darunter die "Minions" und den am 10. September startende "Fack ju Göhte 2". Pornos wie in den 80er-Jahren braucht es da nicht mehr als "heimliches" Kino-Förderprogramm. "Aber die würden heute auch nicht mehr die Masse ziehen."

Der Blick in die Zukunft fällt positiv aus: "Ich mache mit den Hansa-Filmstudios mindestens weiter, bis ich 70 bin. Was dann kommt, hängt davon an, ob das jetzt diskutierte Großkino an der Stuhlrohrstraße Wirklichkeit wird. Falls ja, könnte ich mir ab 2020 einige Jahre als Programmkino à la Abaton vorstellen."