Billwerder. Im Gefängnis leiden viele Häftlinge unter Einsamkeit. Ein Seelsorger leistet in der Haftanstalt Billwerder praktische Hilfe.

Wenige Minuten, bevor der Gottesdienst beginnt, kommen etwa vierzig Männer in die Kirche. Sofort riecht es im Raum nach Zigaretten. „Lass mal hier hinsetzen“, „Rutsch mal weiter“. Noch bevor die Gespräche verstummen, beginnt der Pastoralreferent Richard Raming den katholischen Gottesdienst in der Justizvollzugsanstalt Billwerder. Als er sich bekreuzigt, tun es ihm vielleicht fünf oder sechs Leute nach.

„Es sind nicht die Frommen, die hier herkommen. Das ist eine Herausforderung“, erzählt Raming vor dem Gottesdienst. „Hin und wieder gibt es Zwischenrufe. Einige Leute haben Probleme, sich zu konzentrieren. Das liegt oft an Drogen.“

Im Wechsel mit seinem evangelischen Kollegen hält der Laientheologe Raming alle zwei Wochen einen Wortgottesdienst in der Anstaltskirche. Die Kirche ist ein Betonklotz, der sich äußerlich nicht von den anderen Betonklötzen auf dem Gelände der JVA unterscheidet. Drinnen, im ersten Stock, stehen gelbe Rosen auf dem Altar, brennt eine Osterkerze. Sogar eine Orgel gibt es, doch die wird nur selten gespielt.

„Manchmal haben wir zehn, manchmal 60 Besucher. An Weihnachten ist es richtig voll.“ Ob jemand Christ oder Moslem ist oder an gar nichts mehr glaubt, ist egal. Nachdem es eine Schlägerei auf der Kirchentoilette gab, achtet die Anstalt allerdings darauf, dass die Insassen bestimmter Häuser nicht aufeinandertreffen.

Heute ist das sogenannte Zugangshaus an der Reihe. Wer neu in die JVA Billwerder kommt, wird dort bis zu sechs Wochen untergebracht. Etwa 120 der insgesamt rund 520 Insassen leben im Zugangshaus. Sie verbüßen in der Regel eine Freiheitsstrafe von bis zu zweieinhalb Jahren.

„Gott ist bei uns, auch hinter sechs Meter hohen Mauern mit Stacheldraht“, verkündet Raming im Gottesdienst. In seiner Predigt erzählt er von Adam, der die verbotene Frucht aß, von Kain, der den Abel erschlug, vom verlorenen Sohn. Geschichten, die zum Leben der Männer passen.

Für Raming sind es Menschen, die in ihrer Not keine Alternative zu einer Straftat gesehen haben. „Häufig stehen familiäre Probleme dahinter“, sagt er. Und dann gebe es noch die, die ihr Leben einfach nicht geregelt bekämen. Manchen könne die Zeit im Gefängnis helfen, aus dem Strudel von Gewalt und Drogen herauszukommen. Für die meisten aber sei die Haft eine große psychische Belastung. „Hier sind die Leute sich selbst ausgesetzt. Oft kommen sie mit der Einsamkeit nicht klar“, sagt Raming. Gefängnisseelsorge sei daher auch wichtig für die Suizidprävention. „Damit die Leute das mental überleben, muss man ihnen als Menschen begegnen.“

Im Gottesdienst spricht Raming die Fürbitten. Er bittet um ein friedliches Miteinander in der JVA, um Kraft für die Familien der Häftlinge. „Wir bitten dich, erhöre uns.“ Die Männer schweigen. Stimmt Raming aber ein Kirchenlied an, singen viele der Männer mit. Andere nutzen die Geräuschkulisse für einen Plausch. Beim Schlusslied breitet sich eine besondere Unruhe aus – nach einer knappen halben Stunde ist der Gottesdienst vorbei.

Seit zwölf Jahren betreut der 43-jährige Raming die Häftlinge in den Gefängnissen Billwerder und Fuhlsbüttel. Angst vor einem Häftling hatte er noch nie. „Die Kirche wird gerade da gebraucht, wo die Leute am Rand der Gesellschaft stehen“, sagt Raming.

Am Rand des Kirchenraums stehen nach dem Gottesdienst Kaffee und Kekse bereit. Viele Männer sind wegen des Kaffees in die Kirche gekommen und wegen der Gespräche, das geben sie freimütig zu. Andere besuchen den Gottesdienst aus religiösen Gründen. „Wenn bei mir alles drunter und drüber geht, dann schickt mich Gott ins Gefängnis, damit ich wieder zur Ruhe komme“, erzählt einer.

Mit Zigaretten gewinnt der Seelsorger das Wohlwollen der Häftlinge

Neben dem Gottesdienst bietet der Seelsorger Raming auch Einzelgespräche an. Die Häftlinge müssen einen Antrag stellen, innerhalb von zwei Tagen besucht Raming sie in ihrer Zelle. Das ist zumindest sein Anspruch. Manchmal wird er auch von Gefängnismitarbeitern oder Mithäftlingen beauftragt.

Und so wie die Aussicht auf Kekse und Geselligkeit viele Männer in den Gottesdienst lockt, gewinnt Raming bei Einzelgesprächen das Wohlwollen der Häftlinge, indem er ihnen Zigaretten schenkt. Der Nikotinentzug falle vielen schwer. „Für uns ist das eine Brücke. Wir lassen die Männer in ihrer Not nicht allein“, sagt er. „Dadurch öffnen sie sich.“

Mit einigen Männern betet Raming. Bei vielen Treffen steht der Glaube allerdings gar nicht im Vordergrund, eher gehe es um praktische Lebensberatung. „Manche Männer möchten mit wenig Arbeit viel Geld machen. Sie müssen lernen, kleinere Brötchen zu backen. Auch davon wird man satt“, sagt Raming.

In der Billwerder Anstaltskirche ist die Kaffeerunde nach rund 20 Minuten schon beendet. Ein Häftling pustet die Kerzen aus und räumt das Geschirr weg, eine Wärterin bringt die Männer wieder auf ihre Stationen. Zurück bleibt der Geruch nach erloschenen Kerzen und nach Kaffee – wie in jedem Kirchengemeindehaus an einem Sonntagmittag.