Diskussion: Handwerker, Experten und Politiker kritisieren EU-Pläne - Meisterbrief steht für Qualität
In der wesentlichen Frage herrschte Einigkeit im Saal: Die 41 in Deutschland verbliebenen Handwerksberufe mit Meisterzwang dürfen auf keinen Fall der Nivellierungswut der EU zum Opfer fallen. Sie sollen nicht so weit dereguliert werden, dass Betriebe auch von Chefs ohne Meisterprüfung geführt werden dürfen. Beim alljährlichen Handwerkerforum im Alt-Lohbrügger Hof meldete niemand auf dem Podium und keiner der etwa 80 Zuhörer im Publikum Zweifel daran an.
Bereits im Jahr 2004 hatte die EU dem deutschen Handwerk eine Novelle beschert und den Meisterzwang in 53 Gewerken abgeschafft, für Fliesenleger und Uhrmacher ebenso wie für Schuhmacher, Müller und Brauer. Zehn Jahre später stehen diese Berufe nach Worten von Jörg Ungerer vor einem Scherbenhaufen: "In solchen Handwerksberufen wird kaum noch ausgebildet, und es werden deutlich weniger Mitarbeiter beschäftigt als vor der Deregulierung", erklärte der Chef des Geschäftsbereichs Interessenvertretung und Politik der Handwerkskammer Hamburg. "Stattdessen gab es anfangs eine Welle von Solo-Selbstständigen." Wer noch tätig ist, "arbeitet heute häufig in prekären Unternehmerverhältnissen." Vor Wegfall des Meisterzwangs hätten 20 Prozent der Betriebe dieser Gewerke Lehrlinge ausgebildet, heute seien es nur noch drei Prozent. Sein Fazit: "Der Wegfall des Meisterzwangs ist ein Ausbildungs- und Beschäftigungskiller."
Dr. Stefan Stork vom Zentralverband des deutschen Handwerks in Berlin kritisierte das wirtschaftspolitische Ziel der EU- Kommission. Auf dem Weg zu einem offenen, weitgehend deregulierten Arbeitsmarkt setze sie auf Gütesiegel und Einzelzertifizierungen - statt auf die umfassende Qualität von dualer Ausbildung über den Gesellenbrief bis zur Meisterprüfung im Handwerk: "Das verursacht jährliche Kosten im vier- bis fünfstelligen Bereich je Betrieb und bedeutet eine Nivellierung der Ausbildungsqualität nach unten." Stork fordert Politik und Handwerk auf, gemeinsam die anderen EU-Staaten von den Vorzügen des dualen Ausbildungssystems mit Ausbildung in den Betrieben und an staatlichen Berufsschulen zu überzeugen.
Auch Martin Rumpff, Hauptgeschäftsführer der Kraftfahrzeug-Innung Hamburg, warnte vor einer Abwärtsspirale in der Ausbildungsqualität im Handwerk. "Bis zu 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in EU-Ländern ohne Meisterzwang sollten Warnung genug sein." Die von Brüssel favorisierten Zertifizierungssysteme könnten niemals Zulassungspflicht und Ausbildungsordnung ersetzen, lediglich ergänzende Qualitätsmaßstäbe setzen.
Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) nannte es als Gastteilnehmer auf dem Podium zwar "im Kern richtig, EU-Normen zu schaffen. Bei der Novellierung der Meisterpflicht von 2004 ist dies aber gründlich missraten". Rabe nutzte die Gelegenheit für einen Appell an Bergedorfs Handwerksmeister: "Stellen Sie nicht nur 20-jährige Lehrlinge mit Führerschein ein. Derzeit findet nur etwa jeder fünfte Schüler, der mit Mittlerer Reife oder Hauptschulabschluss jung unsere Stadtteilschulen verlässt, beruflichen Anschluss. Die anderen hängen oft jahrelang herum, bis sie alt genug für eine Handwerkslehre sind."
Bergedorf-Bille-Geschäftsführer Marko Lohmann wies als wohl größter Auftraggeber des örtlichen Handwerks darauf hin, dass "die Auftragslage für Handwerksbetriebe von Jahr zu Jahr komplexer wird". Sinkende Anforderungen an die Ausbildungsqualität wiesen da in die völlig falsche Richtung. "Wir arbeiten bevorzugt mit den örtlichen, zertifizierten Betrieben, weil wir es dann mit der Gewährleistung einfacher haben. Es wird nachhaltiger gearbeitet als von einem billigeren Betrieb aus einem europäischen Nachbarland."
"In den Handwerksberufen mit abgeschafftem Meisterzwang wurde das duale Ausbildungssystem schlichtweg vernichtet", beklagte abschließend Bezirkshandwerksmeister Christian Hamburg. "Wir haben tolle Berufe ausradiert, Ausbildungszentren geschlossen, Betriebe können nicht mehr ausbilden. Was droht, ist eine weitere schleichende Vernichtung unserer Handwerksberufe. Dagegen müssen wir kämpfen."
Zu den 41 Handwerken mit Meisterzwang gehören Maurer und Dachdecker, Metallbauer, Heizungsbauer, Elektrotechniker, Bäcker, Fleischer, Augenoptiker, Zahntechniker, Kfz-Techniker wie auch Friseur.
Seit 2004 ohne Meisterzwang arbeiten Parkettleger, Gold- und Silberschmied, Maßschneider, Raumausstatter, Drechsler, Gebäudereiniger. Hier ist die Meisterprüfung freiwillig.
Als handwerksähnliche Berufe ohne Meister gelten Handschuhmacher, Metallsägen-Schärfer oder Fahrzeugverwerter.