“Bergedorfer Verkehrsrätsel“: Polizei appelliert an Fairness
Besucher Bergedorfs stehen mit ihrem ersten Schritt aus dem Bahnhof gleich vor dem größten Verkehrsrätsel des Bezirks: Wer hat Vorrang auf dem Bahnhofsvorplatz, der ganz ohne Ampel oder Zebrastreifen täglich von fast 10 000 Autos und einem Vielfachen an Fußgängern gequert wird?
"Die Antwort ist einfach, wenn auch für manche deutsche Ohren schwer verständlich", sagt Rainer Wilke von der Bergedorfer Verkehrspolizei und zitiert Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung: "Wer am Verkehr teilnimmt, hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen vermeidbar, behindert oder belästigt wird." Im Klartext definiere das italienische Verhältnisse mitten in Bergedorf: Wenn sich jeder mit Rücksicht auf den anderen bewegt, wie es in Rom oder Neapel Alltag ist, kommen alle voran und niemand braucht zu warten.
"Das funktioniert auch auf dem Bahnhofsvorplatz überraschend gut", sagt Hauptkommissar Wilke beim Blick auf die Unfallzahlen: Nur zwei leicht verletzte Fußgänger in gut zweieinhalb Jahren stehen in der Statistik. Doch weil Bergedorf in Deutschland liegt, haben Autofahrer trotz aller Rücksicht am Bahnhof formaljuristisch erst mal Vorfahrt. "Die Fahrbahn des Weidenbaumswegs ist hier durch den sogenannten Hamburger Bordstein klar abgetrennt", bestätigt Wilke, der den daraus resultierenden Vorrang für Kfz und Radfahrer aber gleich wieder einschränkt: "Grundsätzlich muss der Stärkere auf den Schwächeren Rücksicht nehmen. Damit das auch passiert, haben wir auf dem Bahnhofsvorplatz ja die 20 km/h vorgeschrieben."
Sorgen bereitet dem Verkehrsexperten, dass diese Geschwindigkeitsbeschränkung aber nur auf dem besonderen Straßenpflaster des Platzes besteht: Sobald wieder der Asphalt beginnt, gilt auch Richtung Bergedorfer Innenstadt Tempo 50 - obwohl dort vor Woolworth Autos parken, zwischen denen plötzlich Fußgänger auf die Fahrbahn treten könnten. "Ein bedauerliches, rechtlich aber leider notwendiges Übel", sagt Rainer Wilke. "Wären es nur 20 oder 30 km/h, dürfte es die Ampel an der Kreuzung mit der Alten Holstenstraße nicht geben." Entsprechend sieht er die politisch geforderte Kreisellösung ohne Lichtzeichenanlage positiv: "Dann können wir endlich durchgängig auf Tempo 20 gehen."
Weiteren Bergedorfer Verkehrsrätseln widmen wir in den nächsten Tagen eine Serie. Nächstes Thema: Wo dürfen Radler auf die Fahrbahn?