Speckenhäuser: Im Juni 1984 stürmt die Polizei - Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Bezirksamt und politischer Jugend

Vor 30 Jahren hatte Bergedorf seine eigene Hafenstraße: Fast gleichzeitig mit den militanten Hausbesetzern von St. Pauli eroberte Bergedorfs politische Jugend aus SPD- und FDP-Nachwuchs im Frühsommer 1982 die Speckenhäuser. Das geschah zwar friedlich, doch es gab massive Gegenwehr aus dem Rathaus.

"Bezirksamtsleiterin Christine Steinert überzog uns mit Anzeigen. Das hat die ganze Sache eigentlich erst zur öffentliche Konfrontation gemacht und damit so richtig ins Rollen gebracht", erinnert sich Dr. Geerd Dahms, damals einer der Köpfe der hiesigen Hausbesetzer, die regelmäßig Straßenfeste, Diskussionen, Infoabende und Ausstellungen in und bei den gut 300 Jahre alten Speckenhäusern organisierten. Fernsehen, Radio, Bild, Morgenpost und Bergedorfer Zeitung waren oft vor Ort im Specken, jener heute vom Stadtplan verschwundenen winzigen Straße, die gleich neben dem Verwaltungssitz der Baugenossenschaft Bergedorf-Bille über die Bergedorfer Straße verlief.

In der zweiten Juni-Woche 1984 kündigte sich der große Showdown an: Nach zwei Jahren Hausbesetzung erhielten die rund 25 Aktivisten von Polizei und Medien Hinweise, dass die Räumung unmittelbar bevorstand. Steinert hatte eine neue Anzeige wegen Hausfriedensbruchs eingereicht, denn Dahms & Co. saßen in einer städtischen Immobilie, die für die Aufwertung der Bergedorfer Straße durch den heutigen Bau der Bergedorf-Bille fallen sollte.

"Die Polizei stürmte die Speckenhäuser um 4 Uhr in der Nacht vom 16. auf den 17. Juni", erinnert sich Dahms. "Zwei Hundertschaften kamen im Laufschritt, traten Türen und Fenster ein und holten uns raus. Manche mussten getragen werden." Die Hausbesetzer wurden zur Billstedter Wache gebracht, erkennungsdienstlich erfasst und wieder auf freien Fuß gesetzt.

Zumal Sympathisanten hinterher gefahren waren, kamen alle schon morgens zurück. Da war am Specken schon das Abrisskommando angerückt. Die Hausbesetzer versuchten wieder ins Gebäude zu kommen, die Polizei trug sie mehrfach wieder raus. "Am Ende stellten sich die Uniformierten im Spalier um das Haus, um den Abriss zu schützen", erinnert sich Dahms. "Weil wir nicht zuschauen wollten, gingen wir zum Rathaus und besetzten mit etwa 60 Leuten für eine Stunde das Büro von Christine Steinert."

Die fast zweijährige Hausbesetzung im Zentrum Bergedorfs, gut sichtbar gleich neben dem damaligen Hansa-Kino, prägte den Alltag im Bezirk. Die riesige Resonanz auf die Aktionen der Besetzer lockte Menschen jeden Alters. "Es entwickelte sich ein Bewusstsein, verantwortungsvoll mit alter Bausubstanz und dem historischen Stadtbild umzugehen. Nachdem die Bergedorfer Straße in den 50er-Jahren einfach mitten durch die Stadt geschlagen worden war, galt diese Politik jetzt als unhaltbar", fasst Geerd Dahms zusammen.

Trotz scheinbarer Niederlage haben die Hausbesetzer von damals also Erfolg. Aus der spontan gegründeten "Initiative zur Erhaltung historischer Bauten" ist eine Institution geworden, die unter anderem den Lohbrügger Wasserturm vor dem Abriss rettete und heute das Kultur- & Geschichtskontor betreibt. Auch weitere Hausbesetzungen gab es, darunter das legendäre Café Möller an der Alten Holstenstraße.

Zur tragischen Figur der Speckenhäuser wurde 1984 Else Stelzner. Die damals 84-jährige Seniorin, von den Hausbesetzern liebevoll "Oma Stelzner" genannt, war hier geboren und betrieb in einem Teil des Doppelhauses noch einen kleinen Trödelladen. Mit den nebenan "eingezogenen" jungen Leuten entwickelte sich ein enges Miteinander. Die alte Dame hatte ihr Eigentum auf intensives Drängen zwar schon an die Bergedorf-Bille verkauft, wollte aber nicht ausziehen. Ein Ansinnen, für das sie in den neuen Nachbarn natürlich gute Freunde fand.

Als die Räumung immer wahrscheinlicher wurde, halfen sie ihr dann aber beim Umzug in die längst von der Genossenschaft zur Verfügung gestellte Wohnung an der Bergedorfer Straße 122. Makaber: Die hatte Blick auf den Abrissplatz. Else Stelzner (* 1989) war in den zwei Jahren der Besetzung zum Gesicht der Opfer rigoroser Stadtentwicklungspolitik geworden - und ihr Trödelladen zum Kult. An ihr altes Zuhause erinnern bis heute zwei Bäume aus ihrem Garten. Sie stehen gleich neben der Tiefgaragen-Einfahrt der Baugenossenschaft Bergedorf-Bille.