Bezirksporträt: Pochen auf Eigenständigkeit - Perspektive als Forschungsstandort
Eine Großstadt in der Metropole Hamburg, so versteht sich Bergedorf gern - und sieht sich in einer Liga mit Schwerin, Lüneburg und Lübeck. Bei gegenwärtig 121 885 Einwohnern, Hamburgs vom Umsatz her zweitwichtigster Einkaufsstraße und einem Einzugsbereich von gut 250 000 Menschen durchaus realistisch. Dabei ist Bergedorf in guter hanseatischer Tradition sozialdemokratisch. Nie stellte hier eine andere Partei als die SPD den Bezirksamtsleiter, den die Bergedorfer natürlich ihren "Bürgermeister" nennen. Allerdings hat Bergedorf mit dem Groß-Hamburg-Gesetz 1938 seine Stadtrechte verloren, ist seither zum Verwaltungsbezirk der Hansestadt geworden.
Um das bis heute große Selbstbewusstsein der Bergedorfer zu verstehen, braucht es also einen kleinen Ausflug in die Geschichte. Die Hamburger Zeit an der Bille beginnt mit einem handfesten Krieg gegen die renitenten Bergedorfer: Um dem Raubrittertum ein Ende zu machen, heuerten die Hansestädte Hamburg und Lübeck 1420 ein Söldnerheer an. Sie eroberten Bergedorf und bescherten ihm 447 "beiderstädtische" Jahre.
Das schweißte die Bergedorfer zusammen, auch weil sie bei der neuen Obrigkeit wenig zu melden hatten. Erst 1868 treten sie aus dem Schatten der Geschichte, dafür aber mit Macht: Als das verarmte Lübeck seine Hälfte an Hamburg verkauft, wird Bergedorf eigenständige Stadt im Staat Hamburg. Eine Chance, die die Bergedorfer nutzen: Bis zum Ersten Weltkrieg wächst die Bevölkerung um 500 Prozent, weil Glas-, Rattan- und Eisenindustrie sich ansiedeln. Die 70 Jahre von 1868 bis zum Ende der Bergedorfer Eigenständigkeit 1938 markieren die Entwicklung von der ländlichen Kleinstadt mit kaum mehr als 3000 Einwohnern zum Zentrum der Region östliches Hamburg.
Aktuell sind neben dem Wohnungsbau, der pro Jahr rund 1000 neue Bürger nach Bergedorf ziehen lässt, vor allem die Erneuerbaren Energien Thema im Bezirk. Während das gerade entstehende Windkraft-Forschungszentrum "Energie-Campus" der Hochschule für Angewandte Wissenschaften breite Zustimmung findet, sehen zahlreiche Bürger den Bau von 150 bis 180 Meter hohen Windkraftanlagen in den Vier- und Marschlanden kritisch. Doch die Bürgerschaft ließ sich nicht beeindrucken und schuf das Planrecht für die vier vorgesehenen Windparks.
Derweil laufen die im Februar begonnenen Arbeiten am 7,5 Millionen Euro teuren "Energie-Campus" in der Schleusengraben-Region auf Hochtouren. Hier wird ab 2015 an allen Details der Windkraft geforscht, bis hin zur Speichertechnologie. "Ein wichtiger Schritt, um Bergedorf als Hightech-Standort mit gut bezahlten Arbeitsplätzen zu etablieren", sagt Bezirksamtsleiter Arne Dornquast. "Neben dem bereits angesiedelten Laserzentrum-Nord kann sich durch die Windkraft- und Speicher-Forschung ein ganzer Innovationspark entwickeln. Auch Siemens und das Fraunhofer-Institut sind schon vor Ort."
Beim Wohnungsbau hat sich der Bezirk im Vertrag für Hamburg zur Genehmigung von 600 Wohnungen pro Jahr verpflichtet. "Absehbar liegen wir in den kommenden Jahren sogar darüber", sagt Baudezernent Uwe Czaplenski.
"Wir haben Entwicklungsmöglichkeiten ohne neue Großsiedlungen auf der grünen Wiese", betont Arne Dornquast mit Blick auf umfangreiche Projekte im Zentrum. So soll neben der Schleusengraben-Region unter anderem im Stuhlrohrquartier und auf dem Gelände des heutigen Lichtwarkhauses gebaut werden. Ebenfalls in den Startlöchern steht das "Bergedorf Tor" auf dem heutigen Gelände der Hauptpost. Und für das Areal des alten Glunz-Kaufhauses am Mohnhof ist gerade schon der Architekten-Wettbewerb abgeschlossen. Bezug der Neubauten: Herbst 2016.
Bergedorfer Sorgenkind bleibt der Verkehr. Hoffnungen auf eine Ost-Umgehung, die die B 207 direkt an die A 25 anschließt, zerschlagen sich seit Jahren immer wieder an der Unnachgiebigkeit der Nachbargemeinden. Arne Dornquast sieht das Thema anders gelagert: "Die eigentliche Herausforderung ist, viele Autofahrer auf den ÖPNV umzulenken. Für die S-Bahnen wird ein Zwei-Minuten-Takt angestrebt. Die Kapazitäten auf der Schiene sind noch längst nicht ausgereizt."