Die Richterin lehnte eine Aussetzung zur Bewährung ab. Der 44-Jährige hatte acht polnische Ehrengäste bei der Enthüllung eines NS-Mahnmals in Bergedorf verletzt. Jetzt muss er für 18 Monate ins Gefängnis.

Hamburg. Von den Nationalsozialisten wurden sie im Konzentrationslager Neuengamme bis aufs Blut gequält. Und dann das, ausgerechnet auf deutschem Boden: Auf einer Gedenkveranstaltung in Bergedorf sprühte ein Mann sieben geladenen polnischen Ehrengästen – alles ehemalige Zwangsarbeiter im KZ Neuengamme – Reizgas ins Gesicht. Die hochbetagten Opfer der NS-Diktatur erlitten zum Teil schwere Augen- und Atemwegsreizungen. Vom Schock über das Attentat ganz zu schweigen.

Das Attentat vom September 2012 hatte ein arbeitsloser Mann verübt, der ein halbes Jahr zuvor dem Holocaust-Leugner Horst Mahler judenfeindliche Hetzschriften ins Gefängnis geschickt hatte. Im September 2013 verurteilte ihn das Amtsgericht wegen gefährlicher Körperverletzung und Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten – ohne Bewährung. Staatsanwaltschaft und Verteidigung gingen darauf in Berufung.

Frank A. ist ein untersetzter Mann, die halblangen Haare fallen ihm in den Nacken. Bei der neuen Verhandlung am Mittwoch geht es dem bisher nicht vorbestraften 44-Jährigen vor allem um eins: Nicht um einen Freispruch, sondern um eine Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung.

„Eigentlich wollte ich mich an dem Tag umbringen“

Auch in der zweiten Verhandlung bleibt im Dunkeln, was den Mann zu seiner tückischen Attacke getrieben hat, denn er beruft sich lediglich auf sein Geständnis aus dem ersten Prozess. Dort hat Frank A. die Tat auf seine psychischen Probleme und Depressionen geschoben – von irgendwelchen rechtsradikalen Umtrieben wollte er nichts wissen. „Eigentlich wollte ich mich an dem Tag umbringen.“

So bleibt als einzige frische Quelle zur Beurteilung des Angeklagten die Expertise des psychiatrischen Gutachters Jochen Brack, dem Frank A. eine abenteuerliche Geschichte über sich und sein Leben erzählte. Es geht darin drunter drüber, es geht um seine Zeit als Vermögensberater, um Millionen-Investments in Aktien, um den jähen Abstieg nach dem Börsen-Boom, um ein Aussteiger-Leben und exzessiven Kokain-Konsum. Nach 2000 sackte Frank A. weiter ab, wurde arbeitslos und griff zum Alkohol. Am Ende deutet viel daraufhin, dass ein im Leben Gescheiterter mit dem tückischen Angriff auf sieben greise und traumatisierte Menschen vor allem Aufmerksamkeit gesucht hatte. Immerhin ist sich Brack am Ende sicher, dass Frank A. zwar schizophren und depressiv sein mag, das Attentat aber gewiss nicht in einem psychischen Ausnahmezustand verübt habe.

Angeklagter habe sich über zu teuren Radiowecker geärgert

Ob der als sehr schmerzlich empfundene Tod seiner Mutter im Sommer 2012 der Auslöser für die Reizgas-Attacke war, ist ungewiss. „Auch auf mehrmalige Nachfrage“, sagt Brack, „sagte Herr A., dass er zwar von der Tat wisse, aber nicht, warum er sie begangen hat.“ Für regelrecht bizarr hält der Gutachter indes die Erklärung des Angeklagten, er habe sich an jenem Tag, es war der 21. September 2012, über einen zu teuren Radiowecker geärgert und habe „irgendwie“ auf seine finanzielle Situation aufmerksam machen wollen.

Mit zwei Reizgasdosen in der Tasche hatte sich Frank A. auf die Veranstaltung am City Center Bergedorf geschlichen. Ein Mahnmal zum Gedenken an die Zwangsarbeiter im KZ Neuengamme, wo fast 43.000 Menschen von den Nationalsozialisten umgebracht worden waren, sollte vor 300 Besuchern eingeweiht werden. Auf Einladung der Stadt Hamburg waren sieben ehemalige, großenteils gebrechliche Zwangsarbeiter zum Festakt gekommen. Plötzlich kreuzte vor den Ehrengästen in der ersten Reihe Frank A. auf, zückte die Dosen und sprühte los. Die Gaswolke erwischte drei weitere Personen auf einer nahegelegenen Brücke. Neben den Verletzungen saß bei den Opfern der Schock über die Untat tief: Zwei der attackierten Ex-Zwangsarbeiter lehnten eine weitere Einladung der Stadt Hamburg zu „Wiedergutmachungszwecken“ rigoros ab.

Ein Neo-Nazi indes will Frank A. nicht sein. Dem Gutachter versicherte er, er sei „weder rechtsradikal noch ein Polen-Hasser“. Man mag das kaum glauben, zumal Frank A. bereits im Februar 2012 dem in Brandenburg inhaftierten Holocaust-Leugner Horst Mahler 15 Flyer mit der Aufschrift „Die Juden sind unser Unglück“ geschickt und um Weiterverbreitung der Pamphlete gebeten hatte. Deshalb musste sich der 44-Jährige in der Verhandlung am Mittwoch auch wegen Volksverhetzung verantworten.

Die Vorsitzende Richterin spricht in ihrem Urteil von einer „verachtenswerten Tat, auf sittlich unterster Stufe“, deren Umstände eine Aussetzung zur Bewährung nicht möglich machen. Die ehemaligen Zwangsarbeiter nach Deutschland gekommen seien, um sich auszusöhnen und ausgerechnet hier ein Attentat auf sie verübt worden sei. Sie hält an dem Urteil des Amtsgerichts fest: 18 Monate, ohne Bewährung. Damit will sich Frank A. Verteidiger indes nicht zufrieden geben, er kündigte bereits Revision an.