95. Geburtstag: Heute feiert Helmut Schmidt - Rückblick auf seine politischen Wurzeln
Er hat Bergedorf deutschlandweit bekannt gemacht - obwohl er gar kein Bergedorfer ist: Helmut Schmidt, der heute seinen 95. Geburtstag feiert, war im Bundestag als "Schmidt-Bergedorf" bekannt. Ein Titel, der zwar nur zur Unterscheidung von den Nachnamensvettern im Parlament diente, aber dem Bezirk doch zu einer gewissen Prominenz bis in höchste Regierungskreise verhalf.
Knapp zwölf Jahre vertrat der Langenhorner Helmut Schmidt Bergedorf in Bonn, gewann den Wahlkreis von 1969 an fünf Mal in Folge, nachdem er zuvor seit 1953 für Hamburg-Nord im Parlament saß. Der Wechsel seiner politischen Heimat war die Folge von Schmidts berühmtem landespolitischen Intermezzo: Der Oppositionsarbeit in Bonn überdrüssig, wurde er im November 1961 Hamburger Innensenator. Vier Monate später forderte die verheerende Sturmflut sein Talent als zupackender Krisenmanager. Gepaart mit Schmidts Rede-Talent, katapultierte ihn das in die Herzen der Deutschen - und in die erste Riege der SPD. 1965 nahm Willy Brandt ihn als Verteidigungsminister in sein Schattenkabinett. Als Wahlkreis wurde Bergedorf ausgeguckt, weil hier Amtsinhaber Nikolaus Jürgensen (* 1971) aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr antrat.
Schmidt schwamm seine gesamte Bergedorfer Zeit über auf einer sagenhaften Popularitätswelle. Sein Name genügte, um Wahlkampfabende aus allen Nähten platzen zu lassen. So reichten im September 1969 die 650 Plätze im Alt-Lohbrügger Hof nicht, weshalb für 300 Gäste eine Außenübertragung organisiert wurde. Und als "Schmidt Schnauze" auf die Schlosswiese lud, kamen gar 4000.
Als Verteidigungs- sowie Finanz- und Wirtschaftsminister wuchs seine Popularität weiter: Bei Umfragen wurde er 1972 "Deutschlands Mann Nummer 1", noch vor dem singenden Leinwandhelden Freddy Quinn. "Trotzdem war Helmut nie abgehoben. Selbst als Bundeskanzler konnte man auf Augenhöhe mit ihm reden", sagt Otto Gehrlich (81) aus Nettelnburg. Der spätere Distriktsvorsitzende lernte Schmidt beim Sturmflut-Einsatz 1962 kennen, als Gehrlich Fahrer des Chefs der Hamburger Freiwilligen Feuerwehren war. Anfang der 80er lud er ihn mehrfach zum Kaffeetrinken mit den Nettelnburgern in die Schule Fiddigshagen ein. "Er kam und brachte seine Frau Loki mit", erinnert sich Gehrlich. "Als ich ihn mit 'Herr Bundeskanzler' ansprach, schaute er verdutzt und fragte, warum ich ihn nicht Helmut nennen würde."
Trotz Karriere in Bonn, wo Schmidt vom 16. Mai 1974 bis zum Misstrauensvotum vom 1. Oktober 1982 Bundeskanzler war, blieb er Bergedorf treu. "Er war immer wieder spontan zu internen Gesprächen hier im Gewerkschaftshaus", erinnert sich Rolf Niese (70), der Schmidt im Januar 1987 als Bundestagsabgeordneter beerbte. "Wenn er kam, war er Zuhörer und gar nicht der Macher, der die Richtung bestimmte. Die Themen überließ er uns Bergedorfern." Gleichzeitig nahm er ihre Projekte mit auf höchste Ebene, setzte etwa den Bau der Marschen-Autobahn durch.
Die Spontaneität Schmidts lernte auch Hans-Helmut Willers (64) kennen. Der Bergedorfer hatte 1981 sein Elterhaus, die Willersche Kate am Mohnhof, restauriert und Schmidt zur Eröffnung eingeladen. "Natürlich hatte ich Verständnis, als aus dem Bundeskanzleramt die Absage kam", sagt Willers, der am Tag nach der Feier plötzlich doch hohen Besuch bekam: "Wir waren beim Aufräumen, als um 13.30 Uhr plötzlich Helmut und Loki Schmidt die Treppe hoch kamen. Sie entschuldigten sich, nicht tags zuvor schon dabei gewesen zu sein, wollten aber jetzt, wo sie ohnehin in Bergedorf waren, doch einfach mal vorbeischauen." Sie plauderten 20 Minuten bei einer Cola, während Willers beim Blick nach draußen vier schwarze Mercedes-Limousinen und zahlreiche Sicherheitskräfte sah.
Die Cola hat Helmut Schmidt auch mit seinem Nachfolger Dr. Rolf Niese gemeinsam - ebenso wie die Zigaretten. "Die Vorlieben stimmen schon mal", schrieb die "Bild" denn auch 1985, als sich abzeichnete, dass Niese auf Schmidt als Bergedorfer SPD-Bundestagskandidat folgt.
Beide verbindet bis heute eine enge Vertrautheit: "Im Sommer bekam ich plötzlich einen Anruf aus Helmuts Büro bei der Wochenzeitung 'Die Zeit'. Er wollte sich einfach mal mit mir verabreden", sagt Niese. "Ich bin dann hin und wir haben zwei Stunden geplaudert - über alte Bekannte und die große Politik. Dazu gab es natürlich Cola und reichlich Zigaretten."
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