Gewalt in der Innenstadt: Drogerie Rosendorff verwüstet, Havanna-Import-Compagnie verriegelt und bewacht
Die Ereignisse um den 9. November markieren einen Wendepunkt im Umgang der Nationalsozialisten mit den Juden. Traten Antisemitismus und Judenfeindschaft seit der Machtübernahme 1933 in diskriminierenden Gesetzen, in Boykott und Verdrängung aus dem Wirtschaftsleben zu Tage, hielt nun die offene Gewalt Einzug. Es ging nicht länger um Ausgrenzung und Schikane, sondern um Vernichtung.
Die SA-Truppen in Bergedorf wussten am 9. November genau, welche Geschäfte und Praxen sie zu belagern hatten. Bereits 1935 kursierte in der öffentlichen Verwaltung eine "Nichtarier-Liste". Darin waren alle Bergedorfer Ärzte, Anwälte und Inhaber eines Geschäftes mit ihren Adressen aufgelistet. Am 11. September 1935 wies Bürgermeister Hermann Matthäs alle Dienststellen an, dies zur Kenntnis zu nehmen.
Beim Pogrom in Bergedorf wurde vergleichsweise nur wenig Schaden angerichtet. Der Grund liegt nicht etwa darin, dass die örtlichen Reichsvertreter die Aktionen ablehnten, sondern vielmehr darin, dass viele Geschäftsleute und Fabrikbesitzer bereits im Vorfeld das Land verlassen hatten. Wer allerdings noch ein Geschäft, eine Praxis oder eine Kanzlei hatte, wurde belagert und bedroht. So wurden in der Nacht zum 10. November die Schaufenster von Hugo Rosendorffs Drogerie am Neuen Weg zerstört und die Einrichtung beschädigt. Vor der Zahnarztpraxis von Dr. Ernst Tichauer in der Holstenstraße (heute: Alte Holstenstraße) wurde ein "Jude"-Schild angebracht. Die benachbarte Filiale der Havanna-Import-Compagnie an der Ecke Holstenstraße/Reetwerder wurde in der Nacht zum 10. November verriegelt und bewacht. Als der Geschäftsführer der Filiale, Adolf Schaper, am nächsten Morgen das Geschäft öffnen wollte, wurde er zurückgewiesen. Ihm wurde von uniformierten NS-Schergen erklärt, die Filiale gehöre zu einem jüdischen Unternehmen, das geschlossen worden sei. In wieweit auch die Fabrik Stobwasser (Besitzer: André Froszt), das Bekleidungsgeschäft Bauer, das Kaufhaus Schäfer (Leiter: Friedrich Fehlandt) oder das Schuhgeschäft Strauß betroffen waren, ist nicht dokumentiert.
Die "Germania-Drogerie" befand sich seit 1910 in der Sachsenstraße 23 (heute Sachsentor 75). Zwei Jahre nach der Gründung wollte Inhaber Heinrich Schönfeld das Geschäft wieder veräußern, obwohl es gut lief. Zeitgleich hatte Hugo Rosendorff sein Pharmaziestudium abgeschlossen und die Approbation erhalten. Sein Traum, eine eigene Apotheke zu betreiben, ließ sich allerdings nicht umsetzen. Wer nicht einen elterlichen Betrieb übernehmen konnte, musste mit langen Wartezeiten rechnen. Um wenigstens in einem anverwandten Beruf arbeiten zu können, erwarb er 1912 Schönfelds Drogerie.
Von 1933 an bekam Rosendorff die systematische Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben deutlich zu spüren. Die Räume in der Sachstraße wurden ihm gekündigt, und er musste das gut laufende Geschäft in die Seitengasse Neue Straße 18 (heute Neuer Weg) verlegen. Die Ladenfläche war viel kleiner, und es fehlte die Laufkundschaft. Die Einnahmen gingen merklich zurück. Die Familie musste aus ihrer Wohnung in der Ernst-Mantius-Straße in eine kleinere im Reinbeker Weg 36 (heute 46) umziehen.
In den folgenden Jahren zeigten die Boykottmaßnahmen Wirkung, und die Zahl der Kunden ging stetig zurück. Nachdem in der Nacht des 9. November 1938 die Schaufensterscheiben der Drogerie zertrümmert und die Fassade beschmiert worden war, erschienen im Dezember auch bei Hugo Rosendorff Beamte mit der Anordnung, das Geschäft zu schließen. Zwangsweise musste er die Drogerie verkaufen, doch der niedrige Erlös konnte nicht einmal die Außenstände decken. Familie Rosendorff war ihrer Einnahmequelle beraubt und fortan auf Zuwendungen der jüdischen Gemeinde angewiesen.
Nach Entziehung seiner Approbation wurde Hugo Rosendorff 1940 zur Zwangsarbeit herangezogen. Sein Wochenverdienst von 32 Reichsmark reichte zum Überleben nicht aus. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Hertha wurde er am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, ihre gesamte restliche Habe beschlagnahmt. Fortan tauchen sie nur noch als VI/1-743 und VI/1-744 in den Akten auf. Hertha Rosendorff starb am 7. Oktober 1942 in dem überfüllten Lager. Hugo Rosendorff wurde am 15. Mai 1944 nach Auschwitz-Birkenau transportiert. Vermutlich wurde er am 7. Juli 1944 in den Gaskammern dieses Lagers ermordet.
Der Text entstammt Auszügen aus dem "Schlossheft Nr. 8" des Museums für Bergedorf und die Vierlande: "Juden in Bergedorf: Die nationalsozialistische Verfolgung 1933-1945" von Stefan Petzhold und Alfred Dreckmann