Hamburgs größte Justizvollzugsanstalt Billwerder hat Platz für mehr als 800 Insassen. Wecken, arbeiten, Sport, Gespräche und Post von zu Hause: Alles gehört zum Tagesablauf. Ein Besuch hinter Gittern.

Hamburg. Der Weg ins Gefängnis führt durch einen milden Sommerregen. Einer nach dem anderen steigen 33 Justizvollzugsbeamte am Parkplatz vor der sechs Meter hohen Betonmauer der Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerder aus ihren Wagen. Es ist kurz vor sechs Uhr, als sich das Tor und die kleine Stahltür hinter den 31 Männern und zwei Frauen schließen. Im Verwaltungstrakt geht es hinauf zum Morgenappell. Dort liest der leitende Beamte Olaf Wilken die Namen vor. Die Antworten sind kurz, mitunter bleibt es bei einem Brummen. Die Schicht ist vollständig. Die Zeit drängt. Um 6.15 Uhr muss Obersekretär Bernd Fiedler (Name von der Redaktion geändert) 50 Hafträume im Haus 1 aufsperren. Sein „Morgen“ an den Türen gehört zur Lebendkontrolle. Er wartet auf die Reaktionen aus dem Halbdunkel der Zellen. Sie kommen 50-mal.

Fiedler und seine drei Kollegen, die im Haus 1 zwei Stationen mit 100 Häftlingen betreuen, richten sich jetzt im Raum der Stationsaufsicht ein. Die gesicherten Glaskästen sind die Zentralen für die Schicht, die bis zum Einschluss der Insassen kurz vor 19 Uhr dauern wird. Die Routine in allen sechs Häusern, in denen gut 540 Gefangene wohnen, läuft an.

Vor Fiedlers Stationszimmer warten jetzt die ersten Gefangenen. Einer hat Zahnweh, einer gibt einen Brief an seine Mutter ab. Jedes Mal muss die Tür erst von innen geöffnet werden. Weiter hinten auf dem Flur sammeln sich Gruppen, die zur Arbeit, zur Schule oder zur Ambulanz geführt werden. „Unser Alltag ist fest durchstrukturiert“, sagt Fiedler. Das bedeutet: Alles im Gefängnis hat seine Zeit. Um 7.15 Uhr rücken diejenigen ab, die in den Werkstätten und Produktionsbetrieben auf dem Gelände einen Job gefunden haben. Zur Arbeit sind die Gefangenen verpflichtet. Wer nicht will, nicht kann oder verschlafen hat, muss dagegen um 8 Uhr wieder in seine Zelle. Sie bleibt geschlossen bis 11.15 Uhr wenn das Mittagessen kommt. 31 Häftlinge sind an diesem Morgen zur Arbeit oder Schulung, vier säubern Flure und Gemeinschaftsräume und 15 wieder in ihren Hafträumen.

Zeit für die Justizvollzugsbeamten und die vier Abteilungsleiter, sich im Stationszimmer zu treffen. Die Frühbesprechung gibt Gelegenheit, das Verhalten von Gefangenen zu erörtern und sich zur Wachsamkeit zu ermahnen. Erst vor einigen Tagen hatte ein junger Mann versucht, zwei Handys und Cannabis über die Mauer nach innen zu werfen. Das Paket landete vor der Mauer, den Mann schnappte die Polizei. Noch mal gut gegangen.

Doch noch ehe der Tag zu Ende ist, findet Fiedler beim Zellendurchgang eine mit Alufolie zum Haschischrauchen umgerüstete Klopapierrolle und einer seiner Kollegen eine Wanduhr, die offensichtlich nicht ins Haus 1 gehört. Solche Vorfälle können zu Disziplinarstrafen führen, für die es auf der Station extra gelbe Zettel gibt. Bei gröberen Verstößen geht das bis zum Arrest im Gefängnis. Das bedeutet 23 Stunden Alleinsein und nur eine Stunde an der frischen Luft. „Wir wollen erreichen“, sagt einer der Abteilungsleiter, „dass sich die Straftäter wieder an Regeln halten.“ Schwierig bei Menschen, die wegen Diebstahls, Betrugs, Rauschgifthandels oder versuchten Totschlags verurteilt wurden. Eben, weil Regeln für sie bisher keine Bedeutung hatten.

Die Aufgabe von Anja Howe ist es, dies zu ändern. Sie sitzt in ihrem Büro in der ersten Etage des Hauses 1. Der Diplom-Verwaltungswirtin mit 26 Jahren Erfahrung im Vollzug hatte Anstaltsleiter Ullrich Quietzsch 2005 die Leitung der Entlassungsvorbereitungsstation angetragen. Zu Howe kommen Häftlinge, die drei bis sechs Monate vor der Entlassung stehen oder in den offenen Vollzug wechseln. Loben, motivieren, nicht verurteilen, so beschreibt Howe ihr Vorgehen. „Ich will Impulse geben, damit die Menschen draußen die Kurve kriegen“, sagt die 45-Jährige.

Howes Stationsstatistik weist überproportional viele Ausgänge aus, mit denen die Häftlinge auf die Welt draußen vorbereitet werden sollen. Ohne Zweifel ist der Weg zurück in die Gesellschaft schwer. „Ich habe alles verloren“, sagt ein Insasse, der wegen Hehlerei verurteilt wurde und wieder einsitzt, weil er sich nicht an seine Bewährungsauflagen gehalten hatte. Die Wohnung und die Möbel gibt es nicht mehr, die Freundin ist gegangen. „Ich muss draußen bei null anfangen“, sagt der 36-Jährige.

Wie ihre Kollegin versucht auch Steffi Hagemeister, die Leiterin der Station für Jungtäter, sich dem Denken der Häftlinge über einen selbst ausgearbeiteten Fragebogen zu nähern. Werte und Normen will sie vermitteln. Dabei hat sie es auch mit Verurteilten zu tun, die vor schwerer Gewalt gegenüber ihren Opfern nicht zurückschreckten. Als Frau sieht sie sich hier sogar im Vorteil: „Das Machogehabe gegenüber Männern im Vollzug fällt bei mir weg“, sagt die 31-jährige Verwaltungswirtin.

Resozialisation? Manchmal hilft es, wenn Hagemeister an die Gefangenen appelliert, trotz aller Verfehlungen einmal über ihre Stärken nachzudenken. Oftmals empfinden sie sich als Verlierer, die zwangsläufig in der Gosse landen, straffällig und drogensüchtig werden mussten. „Aus diesem Teufelskreis müssen die Betroffenen raus“, sagt sie. Howe und Hagemeister, denen die Gefangenen Bestnoten ausstellen, wissen, dass viele Gefangene rückfällig werden. Dennoch wirken beide entspannt. „Natürlich bin ich enttäuscht, wenn es einer nicht schafft“, sagt Howe. „Aber ich beziehe es nicht auf mich.“

In der Schreinerei wartet jetzt Ralf Möller. Der Vollzugsbeamte und Tischlermeister Ralf Möller leitet die Werkstatt, in der derzeit acht Häftlinge beschäftigt sind. Voraussetzung um in die modern eingerichteten Räume zu kommen, sei vor allem guter Wille, sagt der 51-Jährige. „Wir können den Häftlingen jeden Handgriff beibringen.“ Jobs sind beliebt in der JVA, weil sich in den acht Betriebsstätten jeden Tag rund zehn Euro verdienen lassen statt der gerade gut 30 Euro Taschengeld, die Arbeitslose erhalten.

Inzwischen ist Anstaltsleiter Quietzsch aus seinem Büro auf den Hof zwischen den Häusern 1 und 3 gekommen. Der Psychologe und Kriminologe ist seit Oktober 2004 Chef von 360 Mitarbeitern in Billwerder. Er lobt den Teamgeist: „Man kann sich auf die Mannschaft verlassen, sonst wäre es schwer, solch eine Einrichtung zu leiten“, sagt er. Die nächste Aufgabe wartet schon. Denn im Haus 3 sollen nach einem Um- und Ausbau künftig 102 Plätze für Frauen geschaffen werden.

Um 14.45 Uhr ist in den Werkstätten Dienstschluss. Im Haus 1 steht die Ausgabe des Abendessens und des Frühstücks für den nächsten Morgen an, das Insassen auf Servierwagen durch die Flure rollen. Nach der Postausgabe hat sich Bernd Fiedler nach draußen gesetzt. Bei einer Zigarette nimmt er sich ein paar Minuten zum Erzählen. Der Mann, der seine Laufbahn bei der Bundeswehr begann, setzt auf klare Umgangsformen. Dazu gehört für ihn Respekt gegenüber den Gefangenen und das Sie. Im Gegenzug besteht er ebenso auf eine höfliche Anrede. So bleibe die Lage unter Kontrolle. „Denn wir dürfen nicht vergessen: Wir sind für die die Bösen, weil wir die Regeln bestimmen, weil wir verbieten und weil wir Disziplinarstrafen verhängen.“ Fiedler steht auf. Er hat jetzt Aufsicht bei der Freistunde, die um 18.15 Uhr endet. Eine halbe Stunde später schließen er und ein Kollege die Zellen ab. Es wird ruhig im Haus 1.

Auch für die 33 Justizvollzugsbeamten ist Feierabend. Aber nur wenn sie vollzählig am Eingang stehen, wird das Tor geöffnet. Sollte einer fehlen, könnte er in Not sein. Zwar hat wieder Regen eingesetzt, aber die Anspannung ist gewichen. Es geht hinaus ins Freie.