Bergedorf. Den heutigen Umgang der Krankenhäuser mit ihren Patienten sieht Dr. Rolf Becher kritisch: “Der Mensch spielt praktisch keine Rolle mehr. Statt seines (Wohl-)Befindens stehen seine Krankheiten und deren Dokumentation im Mittelpunkt.

Natürlich ist die Medizin heute weiter als zu meiner Zeit. In Sachen Menschlichkeit waren wir damals aber um Längen besser."

Klare Worte von einem, der eindeutig für das Gute in der alten Zeit steht - und dem in Bergedorf bis heute zugehört wird: Dr. Rolf Becher, seit 1965 Chef der Frauenklinik und von 1985 bis zu seiner Pensionierung 1989 Ärztlicher Direktor des Bethesda-Krankenhauses, hat in dieser Zeit mehr als 20 000 Bergedorfern auf die Welt geholfen. Am morgigen Sonntag feiert der noch immer sehr agile Mediziner seinen 90. Geburtstag. Gäste sind von 11 bis 13 Uhr bei einem kleinen Empfang willkommen, den Dr. Becher und seine Frau Brunhild bei sich zu Hause am Gojenbergsweg geben.

"Wenn ich durch das Sachsentor gehe, werde ich bis heute von Müttern angesprochen, die bei mir entbunden haben. Nur wenn sie mir jetzt zeigen, was aus den kleinen Säuglingen geworden ist, stehen leicht mal zwei Meter große Muskelpakete vor mir - und immer öfter auch Menschen mit grauen Haaren", sagt der Mediziner, der seinen Job immer gern gemacht hat. "Nur für meine Familie war das wenig angenehm. Aber die haben akzeptiert, dass der Papa auch nachts, am Wochenende und selbst zu Weihnachten für Entbindungen in die Klinik gerufen wurde."

Dort war Becher bekannt dafür, alle von ihm betreuten Frauen mit Namen zu kennen - und sogar viele der Säuglinge. "Das liegt aber auch daran, dass die Mütter damals acht bis zehn Tage bei uns blieben", sagt er fast entschuldigend. Bei bis zu 1200 Geburten im Jahr ist das trotzdem beeindruckend, lagen doch leicht 30 oder mehr Säuglinge auf einmal im Säuglingszimmer.

"Damals hatten wir 72 Betten in der Frauenklinik. Das war fast das Vierfache der heutigen Zahl", sagt Dr. Becher, der sein Handwerk in den 1950er-Jahren am Johanniter-Krankenhaus in Bonn gelernt hatte. Dort war er unter anderem verantwortlicher Arzt im Kreißsaal, als ein Enkel des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer auf die Welt kam. "In der folgenden Woche war Adenauer täglich bei uns. Ich habe viel mit ihm gesprochen", erinnert sich Becher. Solche Prominenz sei ihm am Bethesda zwar nicht begegnet, "aber es dürfte kaum eine Familie in und um Bergedorf geben, mit der ich nicht zu tun hatte".