Bergedorf. Zu früh gefreut: Die Bergedorfer 850-Jahr-Feier findet offenbar ein Jahr zu früh statt. Die erste Erwähnung stammt nicht von 1162, sondern aus dem Jahr 1163. Entdeckt wurde der Irrtum durch den Historiker Christian Römmer, den neuen Leiter des Kultur- und Geschichtskontors.

Mit der ersten Erwähnung eines Ortes ist das immer so eine Sache. Vor allem, wenn sich Jahrhunderte später Menschen darauf beziehen wollen, um ein großes Jubiläum zu feiern. So wie jetzt Bergedorf seine 850 Jahre. Stimmt das Datum wirklich? Welcher Historiker legt die Hand dafür ins Feuer?

Seit gestern ist klar: Wer behauptet hat, im Jahr 1162 sei „Bergerdorp“ in einer Urkunde des Hamburger Erzbischofs erstmals erwähnt worden, liegt falsch. Tatsächlich stammt das Dokument von 1163. Bergedorf feiert in diesem Jahr mit großem Festakt am 26. März und den weit über 100 Veranstaltungen also erst seinen 849. Geburtstag.

„Davon würde ich mir den Spaß am Jubiläumsjahr nicht verderben lassen. Eigentlich ist es doch nur eine kleine Korrektur für Historiker“, versucht Christian Römmer den Aufschrei unter den Geschichtswissenschaftlern nicht in der breiten Öffentlichkeit nachhallen zu lassen. Dabei hätte der 39-jährige Historiker und neue Leiter des Kultur- & Geschichtskontors allen Grund, die Entdeckung zu feiern. Denn er war es, der bei den Recherchen für das neue Kontor-Buch „850 Jahre Bergedorf – Eine Stadtgeschichte“ auf die Nachlässigkeit der Kollegen stieß.

Wie Römmer nachwies, haben sich alle von der falschen Behauptung in der ersten umfangreichen Veröffentlichung zur Geschichte Bergedorfs blenden lassen. Im Auftrag des Hausmaklers Georg Staunau hatte Dr. Johann Friedrich Voigt in „Geschichte der Stadt Bergedorf“ 1894 erstmals das Jahr 1162 als älteste urkundliche Erwähnung angeführt. Dabei trägt das fragliche Dokument des Erzbischofs gar kein Datum. Trotzdem bestätigte zuletzt sogar der Leiter des Museums für Bergedorf und die Vierlande, Dr. Olaf Matthes, dem Bezirksamt gegenüber, dass in diesem Jahre „sehr wahrscheinlich“ der 850. Geburtstag Bergedorfs gefeiert werden könne, wie Rathaussprecher Dr. Andreas Aholt gestern gegenüber unserer Zeitung sagte.

Allen war dabei eine Fußnote entgangen, die von Voigts Quellen zu einem Werk des Kieler Juristen und Universitätskurators Ernst Joachim von Westphalen führte. Er hatte um 1740 eine viele Tausend Seiten starke Sammlung von Gesetzen und Verordnungen zusammengetragen, die Christian Römmer jetzt erstmals in Augenschein nahm. „Dort steht neben dem Bergedorfer Dokument die Jahreszahl 1163. In Ermangelung des Originals müssen wir dieser ältesten bekannten Abschrift Glauben schenken“, sagt Kontor-Vorstand Dr. Geerd Dahms. „Bergedorf ist ein Jahr jünger, als wir dachen.“

Auch das Bezirksamt nimmt die neue Entdeckung gelassen: „Wir beabsichtigen nicht, die Pläne für das Festjahr zu ändern“, sagte Sprecher Andreas Aholt gestern. „Die Bewertung und Einordnung möglicher neuer Erkenntnisse überlassen wir der Fachwelt.“

Eine Reaktion, die vielleicht auch ein bisschen Schadenfreude beinhaltet. Denn auch für das Kultur- & Geschichtskontor kam die Entdeckung so spät, dass in seiner Ende März erscheinenden Stadtgeschichte kaum mehr als das Vorwort geändert werden konnte. Der Titel lautet weiter „850 Jahre Bergedorf“.

Christian Römmer ist neuer Leiter des Kultur- & Geschichtskontors

Das ist ein Einstand nach Maß für den neuen Chef des Kultur- und Geschichtskontors. Erst seit 15. Januar ist Christian Römmer (39) Chef des kleinen Teams in den Kontor-Räumen am Reetwerder 17. Doch jetzt kennt den Historiker ganz Bergedorf.

In der Abschluss-Recherche für das Ende März erscheinende Werk „850 Jahre Bergedorf – Eine Stadtgeschichte“ stieß Römmer heute vor zehn Tagen auf eine Sensation: „Ich bin im Internet alle wichtigen Daten zur Bergedorfer Geschichte noch mal durchgegangen. Einschließlich der ersten Erwähnung durch den Hamburger Erzbischof, die undatiert ist, aber laut bisheriger Forscher-Meinung aus dem Jahr 1162 stammt. Da habe ich im Hamburgischen Urkundenbuch von 1842 eine Fußnote entdeckt, der offensichtlich niemand bisher nachgegangen ist“, wundert sich der im Bereich Mittelalter bisher eher wenig bewanderte Dritte-Reich-Experte. „Der Verweis führte mich zu einem ähnlichen Werk von 1740, das neben der Urkunde des Erzbischofs die Jahreszahl 1163 vermerkt.“ Eine Entdeckung, die er nach weiteren Recherchen gestern gemeinsam mit Kontor-Vorstand Dr. Geerd Dahms unserer Zeitung vorstellte. Dass sich Christian Römmer am Reetwerder wohlfühlt, zeigt sein Engagement: Im September per Honorar-Vertrag für das 850-Jahre-Buch gewonnen, stimmte er der Festanstellung sofort zu, als Vorgängerin Svenja Bachert das Kontor verließ: „So hatte ich zwar gemeinsam mit Kontor-Grafikerin Angelika Neiser die Fertigstellung des Buches samt Layout und Lektorat auf dem Tisch. Aber dafür nach Jahren der Projektarbeit in NS-Forschungsstellen eine Festanstellung.“

Gemäß seines Spezialgebietes will der verheiratete Vater von vier Kindern mit Wohnsitz in Nettelnburg künftig verstärkt Themen des Dritten Reichs im Kontor aufgreifen. „Gleichzeitig freue ich mich, die Geschichtswerkstätten-Szene kennenzulernen. Und nicht zuletzt auch die Bergedorfer Welt und ihre handelnden Personen.“