Bergedorf. Unter den Grundwasser-Verschmutzern Bergedorfs gibt es Gute und Böse. Die Fiesen sind die Chemischen Reinigungen Riemann und Christen. Denn sie schlossen ihre Tore, bevor sie für die erheblichen Mengen an Reinigungsmitteln belangt werden konnten, die sie ins Erdreich sickern ließen.
Die Guten sind Hauni und Boehringer. Denn diese beiden Unternehmen bezahlen die viele Millionen Euro teure Sanierung ihrer Altlasten im Grundwasser.
"Man kann die Verursacher also nicht über einen Kamm scheren. Auch wussten manche bis in die 1990er-Jahre nicht, dass giftige Substanzen versickerten", sagt Dr. Hans Wirth, Chef der Abteilung Bodenschutz/Altlasten der Umweltbehörde. Rechtlich ist die Sache in jedem Fall aber eindeutig: Grundwasser gilt als absolutes Schutzgut. Wer es verschmutzt, muss für die Sanierung aufkommen. Damit das auch nach Jahrzehnten noch gelingt, gibt es die Experten um Hans Wirth. Wird etwa bei Bauarbeiten eine Verunreinigung festgestellt, machen sie sich wie Detektive auf die Suche nach dem Verursacher - mit Bodenproben, Bohrungen und Analysen. Zudem ordnen sie die nötigen Sanierungsmaßnahmen an und überwachen ihren Verlauf.
In Bergedorfs Grundwasser kennen sie heute elf große Giftfahnen (siehe Karten). Acht davon schwimmen unter Bergedorfs Zentrum - und dehnen sich überwiegend Richtung Südwesten aus. Zum Glück, denn östlich vom Curslacker Neuen Deich beginnt das Einzugsgebiet des Trinkwasser-Werks Curslack. Drei weitere Verunreinigungen gibt es im Westen des Bezirks nahe der Autobahn 1. Sie bewegen sich kaum.
1. Die größte Giftfahne stammt von der Hauni. Das Unternehmen betrieb bis in die 1980er-Jahre diverse Entfettungsbäder für seine Zigarettenmaschinen. Aus ihnen sickerten über Jahrzehnte giftige chemische Substanzen, die leichtflüchtigen Chlor-Kohlenwasserstoffe (LCKW) in den Boden. Sie erstrecken sich heute in etwa 20 Metern Tiefe vom Firmengelände an der Kurt-A.-Körber-Chaussee über den Nordwesten Nettelnburgs bis nach Neuallermöhe. In den dortigen Fleeten treten erste Substanzen bereits wieder aus - laut Dr. Wirth aber in einer für die Gesundheit unbedenklichen Konzentration. Seit 2001 läuft die Sanierung der Giftfahne über mehrere Brunnen auf dem Hauni-Gelände. Die Kosten trägt das Unternehmen.
Die kleinen roten Flecken südlich der Kurt-A.-Körber-Chaussee stammen noch vom alten Gaswerk. Zwar wurden dessen Teergruben (Teer entstand als Abfallprodukt bei der Vergasung von Kohle) 1993 saniert. Aber offenbar waren sie nicht ganz dicht. Zudem war die Zufahrtsstraße mit giftigem Zyanid blau gefärbt worden.
2. Unter dem heutigen TÜV gibt es eine Giftfracht unbekannter Herkunft. Die Experten sind sich sicher, dass sie nicht von der einst hier stehenden Druckerei von Have stammen kann. Die Vermutung: Eine chemische Reinigung hat ihre Substanzen illegal in die Kanalisation geleitet - und die hatte genau hier ein Leck.
3. Die von der Intensität her stärkste Verunreinigung unter dem Bergedorfer Zentrum stammt von der chemischen Reinigung und Färberei Riemann, die von 1947 bis 1970 an der Ecke Chrysanderstraße/Bergedorfer Schloßstraße stand. "Es wirkt, als wären hier die Chemikalien direkt in den Boden geleitet worden", sagt Dr. Wirth. Schon seit mehr als zehn Jahren arbeitet die Pumpstation im Schlosspark, um die Giftfracht langsam wieder aus dem Boden zu holen. Die Relikte der Reinigung fließen gleich in mehreren Grundwasserleitern und reichen bis zum Schleusengraben. Die Sanierungskosten muss die Stadt Hamburg tragen, weil die Erben der Firma Riemann nicht mehr aufzufinden sind.
4. Unter dem heutigen Bürgerzentrum an der Wentorfer Straße machten die Altlastenexperten 2008 ebenfalls Hinterlassenschaften einer chemischen Reinigung aus. Es handelt sich um die Wäscherei Christen, die hier von 1954 bis 1987 aktiv war. Die Bodensanierung nach dem Abriss 1996 war nicht tief genug. Deshalb reicht ihre chemische Fracht unter der Erde bereits bis zum Glunz-Areal und könnte ins Grundwasser-Schutzgebiet Curslack eindringen. Sie wird gegenwärtig beobachtet. Ob Hamburg auf den Kosten sitzen bleibt, ist noch unklar.
5. Am Glaeßweg stand bis vor etwa 100 Jahren Bergedorfs erstes Gaswerk. Seine Bodenverunreinigungen scheinen nach Erkenntnissen der Altlasten-Fachleute biologisch fast abgebaut zu sein.
6. Am Ende der heutigen Straße Lehfeld produzierte bis in die Nachkriegszeit die Farbenfabrik Springer & Möller. Sie verarbeitete offenbar eine ganze Reihe von Abfallprodukten anderer Branchen, darunter ölgetränkte Bleicherden. Beim Blick auf die Bodenwerte ist Dr. Wirth entsetzt: "Die scheinen ihre Abfälle einfach hinters Haus gekippt zu haben." Das Areal war in den 1980er-Jahren die erste großflächige Bodensanierung Hamburgs. Kosten: sechs Millionen Mark. Doch es wurde nicht tief genug gegraben. Die Sanierung auf öffentliche Kosten läuft noch immer.
7. Die Umweltbehörde geht davon aus, dass es sich bei dieser schwachen Grundwasserverunreinigung um Relikte des einst hier stehenden Kraftwerks der Glasfabrik Hein & Dietrichs handelt. Der Fall wird beobachtet.
8. Direkt unter den bis heute stehenden Hallen der einstigen Flugzeugmotoren-Fabrik HMG scheint im Zweiten Weltkrieg großflächig Öl ins Erdreich geflossen zu sein. Vielleicht auch weitere Substanzen. Dieser Fall ist die jüngste Entdeckung der Bodenschützer in Bergedorf. Sie gehen davon aus, dass sich die Giftfahne bis nach Nettelnburg hinein erstreckt. Bodenproben werden noch gezogen. Die Suche nach dem Verursacher läuft auf Hochtouren.
9. Pflanzenschutz-Hersteller Boehringer produzierte von 1950 bis 1984 an der Andreas-Meyer-Straße in Moorfleet. Unter dem Gelände entstand über die Jahrzehnte ein vielfältiger Giftcocktail. Es folgte die umfangreiche Sanierung des Firmenareals, doch das Gift steckt weiterhin im Untergrund, reicht fast bis zum Autobahn-Dreieck und wird wohl nie mehr ganz verschwinden. Für Dr. Hans Wirth hat Pharma-Riese Boehringer trotzdem Vorbildcharakter: "Es ist der am besten aufbereitete Schadstoff-Fall der Bundesrepublik Deutschland." Zudem drücke sich das Unternehmen mit Sitz in Ingelheim bei Mainz nicht vor den Kosten. "Boehringer zahlt bis heute alles."
10. Für den Grundwasser-Schaden am Huckepack-Bahnhof Moorfleet ist die Bahn verantwortlich. Sie hatte hier über Jahrzehnte Abfälle gelagert. Gegenwärtig überwacht die Umweltbehörde die Ausdehnung, hält eine Sanierung nicht für nötig.
11. Direkt am westlichen Rand des Naturschutzgebietes Boberger Niederung befindet sich die alte Hausmüll-Deponie Havighorster Moor, in der auch Gifte wie Arsen eingelagert wurden. Ihre auf der Karte erkennbaren Grundwasser-Ausläufe nach Süden werden über eine Pumpanlage an die Oberfläche gefördert und in einem Schilffeld gereinigt.