Den Anfang macht eine Bekanntmachung in der Bergedorfer Zeitung: Zwei Herren aus Hamburg haben das Grundstück neben der Glasfabrik am Schleusengraben erworben, um dort eine Petroleum-Raffinerie zu bauen.
Die Politik will das Vorhaben schon genehmigen, da lässt die Meldung unserer Zeitung einen Proteststurm der Bürger losbrechen. Die Bergedorfer fürchten Feuer, Explosionen und die Verschmutzung von Wasser und Luft.
Was nach einem typischen Fall moderner Bürgerproteste klingt, ist in Wahrheit schon 137 Jahre alt: 1871 machten die Bergedorfer mobil gegen eine Anlage, die aus heutiger Sicht sehr wahrscheinlich die schlimmsten Befürchtungen erfüllt hätte. "Es war die erste bekannte und zudem erfolgreiche Initiative zur Erhaltung einer intakten Umwelt in Bergedorf - und es sollte über gut 100 Jahre auch die einzige bleiben", schreibt Historikerin Christel Oldenburg, die diesen erstaunlichen Protest in alten Akten entdeckt hat. Ihr Aufsatz über das vergessene Thema ist Teil des aktuellen Lichtwark-Heftes (5,20 Euro) und bildet heute den Auftakt zu unserer Serie über das kürzlich erschienene 52 Seiten starke Werk.
Ungewöhnlich ist die Verhinderung der Petroleum-Raffinerie vor allem, weil Deutschland in den 1870er-Jahren noch am Anfang seiner Industrialisierung stand und die große Mehrheit der Menschen begeistert über alle neuen Techniken waren. Gerade erst war aus den 44 selbstständigen Kleinstaaten das Deutsche Reich gegründet worden, war die Begeisterung über die neue nationale Einheit und Stärke, gepaart mit spürbarem wirtschaftlichen Aufschwung dazu angetan, alle Bedenken über mögliche "Nebenwirkungen" beiseite zu wischen.
Bergedorfs Schleusengraben wurde damals noch kaum von Fabriken gesäumt. Lediglich die Zuckersiederei Theodor Tönnies (heute steht dort das Bauhaus) und die Glasfabrik (später Hein & Dietrichs) standen schon. Markante Gebäude wie die Stuhlrohrhallen und die weißen Hallen der Hanseatischen Motoren-Gesellschaft (HMG) wurden erst Jahrzehnte später gebaut.
Umso erstaunlicher, dass die 1871er-Protestbewegung über Monate überaus aktiv blieb. Zahlreiche Gespräche mit Politikern, Baupolizei, Behörden und nicht zuletzt mit den Investoren wurden geführt. Am Ende scheinen die Hamburger Herren aufgegeben zu haben - obwohl das aus den Akten nicht eindeutig zu belegen ist. Christel Oldenburgs Fazit: Damit ist Bergedorf "ein potenzieller Umweltsünder und ein befürchteter Umwelt-'Gau' erspart geblieben".
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