Hamburg. Das Bundesverfassungsgericht muss entscheiden, ob die neuen Möglichkeiten zur Datensammlung gegen das Grundgesetz verstoßen
Am Dienstag verhandelt das Bundesverfassungsgericht darüber, ob das Hamburger Polizeigesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Konkret geht es um Paragraf 49 des Hamburgischen Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei von 2019. Demnach darf die Polizei „in begründeten Einzelfällen in polizeilichen Dateisystemen gespeicherte personenbezogene Daten mittels einer automatisierten Anwendung zur Datenauswertung verarbeiten“.
Dabei können laut Gesetzestext „insbesondere Beziehungen oder Zusammenhänge zwischen Personen, Personengruppierungen, Institutionen, Organisationen, Objekten und Sachen hergestellt, unbedeutende Informationen und Erkenntnisse ausgeschlossen, die eingehenden Erkenntnisse zu bekannten Sachverhalten zugeordnet sowie gespeicherte Daten statistisch ausgewertet werden“.
Polizei Hamburg: Klage kam aus Berlin
Geklagt haben Mitglieder der in Berlin ansässigen Gesellschaft für Freiheitsrechte, darunter offenbar auch Hamburger Bürger. Sie sehen durch die maschinelle Auswertung von potenziell allen bei der Polizei vorhandenen Daten aller Bürger einen Verstoß gegen die im Grundgesetz garantierte informationelle Selbstbestimmung. Als Sachverständiger zu dem Fall ist auch der Hamburgische Datenschutzbeauftragte Thomas Fuchs geladen.
„Aus unserer Sicht sowie aus der Sicht der Beschwerdeführenden liegt ein ungerechtfertigter Grundrechtseingriff vor, da die Befugnisse die Auswertung umfangreicher Datenmengen zu konkreten Personen durch komplexe IT-Programme erlauben, ohne dafür ausreichende Anforderungen vorzusehen“, sagte Fuchs dem Abendblatt. „So gibt es nahezu keine Eingrenzung, wer von einer derartigen Auswertung betroffen sein kann. Grundsätzlich ist die Einbeziehung aller bei der hamburgischen Polizei vorhandenen Daten erlaubt.
Es geht um vorbeugende Bekämpfung von Straftaten durch Datenanalyse
Da auch das sogenannte Vorgangsbearbeitungssystem der Polizei einbezogen werden könne, in dem jeder Hamburger Bürger gespeichert ist, der warum auch immer mal Kontakt mit der Polizei hatte, also zum Beispiel jeder, der einen Fahrraddiebstahl anzeigt oder Zeuge eines Verkehrsunfalls war, kann quasi jeder Hamburger von dieser Maßnahme betroffen sein“, so Fuchs. „Und falls seine Daten ausgewertet wurden, wird er darüber nicht informiert.“
Es gehe dabei nicht um die Strafverfolgung Verdächtiger oder bekannter Krimineller, sondern um die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten durch Datenanalyse, sagt der Datenschutzbeauftragte. Die Gesetzesformulierung, nach der„Beziehungen zwischen Personen, Personengruppierungen, Institutionen, Organisationen, Objekten und Sachen“ hergestellt würden, sei eine „uferlose Zielbeschreibung“ und so „nicht hinnehmbar“. Denn die Auswertungsmöglichkeiten von durch künstliche Intelligenz unterstützte Software nähmen rasant zu, so Fuchs – etwa durch Softwaresysteme, wie sie die Firma Palantir anbiete.
In Hessen wird Software bereits eingesetzt
Ziel des Verfahrens vor dem Verfassungsgericht sei nicht das generelle Verbot des Einsatzes von Auswertungssoftware durch die Polizei, betont der Datenschützer. „Es geht vielmehr darum, die Möglichkeiten viel genauer zu definieren, etwa durch eine Begrenzung auf sehr schwere, bevorstehende Straftaten. Oder durch das Erfordernis einer konkreten Gefahr, um anlasslose Datenauswertungen zu verhindern. Zudem wird zu prüfen sein, wie die Kontrollmöglichkeiten durch den hamburgischen Datenschutzbeauftragten im Interesse der Bürgerinnen und Bürger verbessert werden können.“
Auch interessant
Bisher verfügt Hamburg laut Polizei zwar noch nicht über das nötige System. Man kenne aber Erfahrungen aus Hessen, wo eine solche Software bereits eingesetzt werde, hieß es. Dort würden nicht nur polizeiliche Datenbanken, sondern auch, so hieß es aus Polizeikreisen, Daten aus dem Internet durchsucht. Das sei in Hamburg nicht geplant. Zudem muss in Hamburg laut Gesetz jeder Fall vom Polizeipräsidenten oder seinem Vertreter genehmigt werden. Zudem könne man sich vorstellen, bei dem Einsatz so einer Softwareunterschiedliche Berechtigungsstufen zu vergeben, die je nach schwere des Anlasses die „Tiefe“ der Datenerhebung festlege, hieß es.
Polizei Hamburg: „Wir wissen nicht, was wir alles wissen“
Ohnehin wäre die Anwendung der Software auf Delikte limitiert, die nach der Strafprozessordnung auch den Einsatz von Telefonüberwachung zulassen. „Wir wissen nicht, was wir alles wissen“, so ein Beamter. Offiziell hält sich die Polizei zu dem Thema zurück. „Wir warten das Urteil und die schriftliche Begründung ab und werden daraus die entsprechende Schlüsse ziehen“, sagte Polizeisprecher Holger Vehren dem Abendblatt.