Hamburg. Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer ordnet Vorfälle rund um den Jahreswechsel ein – und nennt Nationalitäten der Verdächtigen.
Nach der Randale in der Silvesternacht warnt Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer davor, die Ursachen auf ein Migrationsproblem zu reduzieren. „Die kategorische Unterscheidung zwischen Migranten und Deutschen führt hier nicht auf die richtige Fährte“, sagte er dem Hamburger Abendblatt.
Meyer spricht von jugendtypischen Phänomenen. Von „Gruppen junger Männer – von Frauen habe ich nichts gesehen –, alkoholisiert, in Partylaune, sich gegenseitig anstachelnd, gefühlt im Schutz der Anonymität der Gruppe. Und es ist das Alter, in dem einige dieser jungen Männer kriminell werden“, so der Polizeipräsident. Dass zu den Gruppen junge Männer gehörten, die sich „nicht unbedingt in der Mitte unserer Gesellschaft fühlen, sondern eher am Rand“, wisse die Polizei schon länger.
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Die Zahl der Tatverdächtigen korrigiert Meyer nach unten. Ursprünglich war von 22 möglichen Tätern die Rede. „Bei der genaueren Recherche haben wir festgestellt, dass Fälle sich nicht als ,silvestertypisch‘ erwiesen haben. Aktuell ermitteln wir gegen 14 Verdächtige aus drei Nationalitäten: gegen Deutsche, Polen und Iraner.“
Hamburger Abendblatt: Herr Meyer, die Zahl der Polizeieinsätze in der Silvesternacht lag unter der von 2020 und 2021. Aber die Angriffe auf die Rettungskräfte hatten eine neue Qualität. Es waren gezielte Angriffe, mit denen man schwere Verletzungen zumindest in Kauf genommen. Hat Sie die Dimension dieser Angriffe oder der Gewalt überrascht?
Ralf Martin Meyer: Nein, ganz ehrlich nicht. Aus polizeilicher Sicht war das eine insgesamt eher ruhige Silvesternacht. Angriffe auf Feuerwehrleute und Polizisten gehören schon seit einigen Jahren zu unserer täglichen Erfahrung – zum Beispiel am Wochenende auf der Reeperbahn. Da hat dieses Silvester keinen Unterschied gemacht. Es geht mir nicht darum, die Situation in Hamburg zu beschönigen, sondern um die richtige Einordnung und Bewertung. Es handelt sich eher um bekannte Erscheinungsformen von Jugendkriminalität. Etwas überrascht hat mich die Dimension in Berlin. Das war eine ganz andere Größenordnung.
Aber die gezielten Angriffe auf Feuerwehrleute mit Vogelschreckmunition und Pyrotechnik - das ist doch nicht normal.
Das ist es nicht und darf es niemals werden! Die Verletzungen der beiden Feuerwehrkollegen durch Vogelschreckmunition waren schon ein besonderes Ausmaß. Ob das eine neue Qualität ist oder hätte auch schon innerhalb der letzten Jahre passieren können, seit dem wir das Phänomen beobachten, dass Rettungskräfte angegriffen werden, halte ich für spekulativ.
Wenn Feuerwehrmänner und ein Alleinfahrer auf einem Streifenwagen sich nicht mehr zu einem Einsatz in den sozialen Brennpunkt Stubbenhof in Neuwiedenthal trauen, weil sie mit Angriffen rechnen müssen – muss man das wohl No-Go-Area nennen.
Lassen wir die Kirche mal im Dorf! Natürlich geht das überhaupt gar nicht. Wir müssen hinkommen, dass auch diese jungen Männer Rettungskräfte, Helfer, Freiwillige Feuerwehren und Busfahrer in Ruhe ihre Arbeit machen lassen. Und natürlich auch Polizistinnen und Polizisten. Ich bezweifele nur die Bewertung, dass das jetzt eine besondere Qualität ist, was wir Silvester 2022 beobachtet haben. Nein, das sind für meine Kolleginnen und Kollegen und andere Rettungskräfte leider Alltagserfahrungen.
Wenn zwei Feuerwehrleute und ein Polizist erst mal längere Zeit auf Verstärkung warten mussten, bis sie sich in den Einsatz trauen – stimmt dann irgendwas im Einsatzkonzept der Polizei nicht?
Das sehe ich anders. Wir waren Silvester personell relativ gut aufgestellt. Im Stubbenhof hat sich der Dienstgruppenleiter vor Ort zunächst ein Bild von der Lage gemacht und dann Kräfte nachgeordert.
Das heißt, Sie sehen im Moment keine Notwendigkeit, Konsequenzen aus polizeilicher Sicht zu ziehen?
Das würde ich ad hoc nicht sagen. Wir müssen schon genau hinsehen. Nach meiner Bewertung hatten wir es hier mit jugendtypischen Phänomenen zu tun. Mit Gruppen junger Männern – von Frauen habe ich nichts gesehen -, alkoholisiert, in Partylaune, sich gegenseitig anstachelnd, gefühlt im Schutz der Anonymität der Gruppe. Und es ist das Alter, in dem einige dieser jungen Männer kriminell werden. Das dazu junge Männer gehören, die sich nicht unbedingt in der Mitte unserer Gesellschaft fühlen, sondern eher am Rand, wissen wir auch schon länger. Die kategorische Unterscheidung zwischen Migranten und Deutschen führt hier nicht auf die richtige Fährte.
Auch wenn neun der ursprünglich 22 in der Silvesternacht ermittelten Tatverdächtigen Migranten waren und einige weitere mit deutschem Pass einen migrantischen Hintergrund hatten?
Es heißt ja nicht, dass nicht auch Jugendliche mit Migrationsgeschichte zur der genannten Gruppe gehören. Soweit ich weiß haben etwa 50 Prozent der Jugendlichen in Hamburg Migrationshintergrund. Die Debatte führt hier so nicht weiter. Ich glaube, es ist komplexer und hängt mit bekannten Phänomen zusammen. Junge Männer, die sich auch noch häufig auf der Straße aufhalten, sich dort treffen, sich abgehängt fühlen und möglicherweise nicht unser Staatsverständnis haben. Da kommen viele Dinge zusammen. Wie gesagt, auch der Migrationshintergrund kann eine Rolle spielen, aber eher im Kontext des sozialen Status und dem daraus empfundenen Zusammengehörigkeitsgefühl bzw. dem fehlenden Zugehörigkeitsgefühl zur Gesellschaft. Und dann kommt hier die Gruppendynamik dazu. Dadurch kann sich dieses „Ich will noch besser, noch größer, noch schlimmer sein als mein Kumpel“ entwickeln. Wenn man sich im Leben abgewertet und nicht zugehörig fühlt kann man sich in der Gruppe aufwerten, fühlt sich als der tollste Macker. Solche Zusammenhänge spielen mehr eine Rolle als die Hautfarbe, die Herkunft, das Herkunftsland.
Welche Konsequenzen müssen denn jetzt folgen?
Wichtig ist, die Vorfälle nicht zu banalisieren und jetzt zu einer schnellen Sanktionierung zu kommen. Wir müssen zeigen, dass wir dieses Verhalten ablehnen. Und deswegen wird es auch spannend sein, welche Verurteilungen folgen. Nur: Aus meiner Erfahrung ist es nicht so, dass wir die schlimmsten und härtesten Urteile erwarten dürfen. Die Richterschaft ist unabhängig und es geht schließlich um Jugendkriminalität. Wichtig ist eine schnelle Sanktion.
Und wir müssen auch andere Ursachen im Blick behalten, was wir in Hamburg bereits langjährig mit Konzepten tun.
Zunächst war von 22 Tatverdächtigen die Rede. Wie schaut es jetzt bei genauerer Überprüfung der Lage aus?
Bei der genaueren Recherche haben wir festgestellt, dass Fälle sich nicht als „silvestertypisch“ erwiesen haben. Aktuell ermitteln wir gegen 14 Verdächtige aus drei Nationalitäten: gegen Deutsche, Polen und Iraner.