Hamburg. Herabschauender Hund gegen Pausenprügel: In einem Projekt machen Kinder aus schwierigen Verhältnissen regelmäßig Yoga im Unterricht.

Herabschauender Hund gegen Schulhof-Schlägereien, Klangschalen-Sound für bessere Matheleistung?

Genau das, sagt Cornelia Brammen, Vorstand des Vereins Yoga für alle. Sie bringt mit ihrem Team Yoga zu den Menschen, deren Lebenswelt auf den ersten Blick nichts mit hippem Trainings-Loft, schicken Matten und bewusstem Lifestyle zu tun hat: zu Menschen in Altersarmut, ins Seniorenheim, zu Trauernden, Menschen im Strafvollzug oder im Frauenhaus. Und zu Grundschülern. Deren Schule mit einem niedrigen Sozialindex belegt ist, bekannt als Kess-1-Schulen mit „nachteiligen Voraussetzungen und hohem Förderbedarf“.

Also kommen die Yogalehrerinnen zu den Kindern, die mit so genannten „Multiproblemlagen“ zu kämpfen haben: Pro­bleme im Elternhaus, daraus resultierende mangelnde Bindungserfahrungen, stetiger massiver Stress.

Kinder lernen zuzuhören und halten die Stille aus

Hier setzten sie mit PrÄViG an – Prävention im Grundschulalter, so heißt ihr innovatives Projekt. Das hat bereits 2020, in der Phase der Entwicklung, den Ideenpreis im Wettbewerb „Gesellschaft der Ideen“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gewonnen, und bis Oktober 2022 haben 50 Einheiten á 30 Minuten für insgesamt 90 Kinder stattgefunden.

„Schon im Piloten konnten wir feststellen, dass die Pädagogin bereits nach sieben Einheiten zurückgemeldet hat, dass es Einfluss auf das soziale Lernen hat“, sagt Brammen. „Die Kinder können besser zuhören, sie können sich zurücknehmen, sie entwickeln das, was man Frustrationstoleranz nennt: Wenn sie im Unterricht nicht sofort dran sind, dass sie dann nicht reinrufen. Sie lernen, sich selbst zu beruhigen. Oder dass sie bis zu drei Minuten Stille aushalten, drei Minuten Stille!“

Yoga für Kinder: Die Ruhe ist ein Schlüssel

Im Podcast-Studio lässt Brammen eine Klangschale ertönen, eine, mit der die oftmals vernachlässigten, traumatisierten oder misshandelten Kinder Bekanntschaft machen.

Die Ruhe ist ein Schlüssel, mit dem die Kinder im übertragenen Sinne die Möglichkeit bekommen sollen, die Tür zu sich selbst aufzusperren. Denn: „Wenn ein Kind nicht zuhören kann, weil es nicht still sitzen kann, kann es auch nicht lesen und schreiben lernen, das ist leider das Problem“, sagt Brammen.

Stigmatisierung durch Nachhilfe, die nicht helfen kann

Das Ergebnis seien schlechte Bewertungen und Noten, weitere Negativerlebnisse für die Kleinen, dann noch Nachhilfe, die die gleichen Lern-Rahmenbedingungen wie der Unterricht hat, dazu die Stigmatisierung.

Stefanie Witt, Erziehungswissenschaftlerin am Institut für psychosoziale Medizin am UKE, evaluiert und begleitet die Implementierung des Projekts und sammelt wissenschaftliche Daten. Auch sie weiß um die Spirale, in der sich die Grundschüler befinden.

„Es geht um Bewertung von außen, es geht um Vergleiche mit anderen, und das die ganze Zeit. Und wenn Schüler da an diese Stelle kommen und das Gefühl haben, sie sind schlechter als andere, bekommen Feedback, dass sie etwas nicht können, macht das ganz viel mit den Kindern und mit deren Motivation. Und genau an dieser Stelle soll das Programm eben auch ansetzen: Das heißt, einen Raum im Kontext Schule zu schaffen, der die Möglichkeit bietet, einfach mal Abstand zu nehmen von diesen ständigen Vergleichen. Herauszufinden, wer ich bin. Was kann ich? Und wie entwickle ich mich weiter? Nicht im Vergleich mit anderen. Dabei zu akzeptieren, dass ich nicht jede Woche gleich funktioniere, auch beim Yoga nicht.“

In den 30 Minuten PrÄViG-Yoga, in denen die Selbstwahrnehmung und Selbstwirksamkeit sowie Resilienzentwicklung geschult wird, gibt es körperliche Übung mit den Kindern, auch kleine Meditationen – „dabei darf aber auch getobt und gelacht werden“, sagt Brammen, die betont, dass Nebenaspekte, wie wertschätzend über sich und andere zu sprechen, dadurch gelernt werden, wie die Yogalehrenden beispielsweise mit den Pädagogen vor Ort und allen Kursteilnehmern umgehen.

Der Familienpodcast mit Cornelia Brammen und Stefanie Witt:

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Kinderyoga bedeutet auch Toben und Lachen


Die Stimmung solle heiter sein, ohne Druck. „Kinderyoga ist wirklich wild und bunt und sehr viel abwechslungsreicher und lauter als das, was wir als Erwachsene mit Yoga assoziieren“, erklärt Witt, die auch selbst unterrichtet.

Eine kleine Überraschung, die die Initiatorinnen aus einer Einrichtung der offenen Kinder und Jugendarbeit gespiegelt bekamen, in welcher auch PrÄViG-Kurse gegeben wurden, war, dass besonders Jungen Gefallen am Yoga fanden.

„Die Jungens bekommen dort eine andere Form des körperlichen Austauschs oder der körperlichen Wahrnehmung, der Selbstwahrnehmung als beim Raufen oder beim Fußball. Tatsächlich kommen die Jungs dort besonders gerne“, sagt Brammmen. Ihr Ziel: Bis Ende 2024 soll PrÄViG 340 Kinder in Hamburg und München wöchentlich über ein Schuljahr erreichen und als Teil des Curriculums für Grundschulen diskutiert werden.