Hamburg. Nadine Meyer von „The Organized“ weiß, wie man zu Hause endlich dauerhaft Ordnung schafft. Dafür hat sie ganz besondere Tricks.

Die Stellenanzeige wurde ihr von einer ehemaligen Mitbewohnerin weitergeleitet. Das sei doch genau das Richtige für sie, schrieb die Freundin, nicht ganz ernst gemeint – schließlich habe sie doch schon in der damaligen WG immer für Ordnung gesorgt. In der Anzeige suchte eine Frau aus Eimsbüttel jemanden, der bei ihr zu Hause einmal richtig aufräumt. Den ganzen Familienhaushalt ausmisten und neu sortieren, von vorne bis hinten. Nadine Meyer meldete sich bei der Frau und erklärte ihr, dass sie eigentlich einen anderen Job habe – aber nichts besser könnte als Ordnung zu schaffen. Vollkommen ernst gemeint.

Am nächsten Wochenende saß Nadine Meyer im Schlafzimmer der Frau und fing an, deren Kleiderschrank zu sortieren. Ein paar Wochenenden später bekam sie den Haustürschlüssel in die Hand gedrückt, um während des Urlaubs der Familie den Rest der Wohnung auf den Kopf zu stellen. „Ich war bis spät abends dort, habe bei lauter Musik die ganze Küche neu sortiert – und hatte riesige Freude dabei“, erinnert sich Nadine Meyer. Noch größer war die Freude bei Urlaubsheimkehrern.

Ordnung: In Hamburg gibt es mittlerweile zahlreiche Aufräumcoaches

Heute, fünf Jahre später, hat Nadine Meyer das Ordnen zu ihrem Hauptberuf gemacht. Seit März 2020 betreibt sie mit „The Organized“ den nach eigenen Angaben ersten professionellen Ordnungsservice Hamburgs. Das Prinzip ist dasselbe wie damals: Meyer und ihre Mitarbeiterin kommen zu Menschen, die sich ein geordneteres Zuhause wünschen, und schaffen das dafür nötige System. „Unser Ziel ist es, den Kunden das Leben mit Hilfe dieser Ordnung zu vereinfachen“, sagt die 33-Jährige.

Das Aufräumen mit Hilfe von Experten ist zu einer stark wachsenden Branche geworden. Auch in Hamburg und Umgebung gibt es mittlerweile zahlreiche Ordnungscoaches, die es auf das heimische Durcheinander von Küche bis Keller ihrer Kunden abgesehen haben. In den USA gibt es diesen Markt schon länger, in Deutschland hat dieser mit der Pandemie so richtig Fahrt aufgenommen. Wer ständig zu Hause ist, dem geht das bislang ignorierte Chaos plötzlich mächtig auf den Geist. „Corona war wie eine Art Brennglas“, sagt Nadine Meyer. „Die Menschen haben gemerkt, dass viel Besitz nur mit einer entsprechenden Struktur funktioniert.“ Unter Quarantäne gestellte Bewohnern stellten ihre Häuser auf den Kopf, andere sahen ihnen in den sozialen Medien zumindest dabei zu. Auf Instagram machte der Hashtag #aufräumen Furore. Bilder von penibel aufgeräumten Vorratskammern und nach Farben sortierten Bücherregalen befriedigten eine plötzlich erwachte Sehnsucht.

Nadine Meyer hat bei Aufräum-Ikone Marie Kondo gelernt

Und natürlich hat auch Marie Kondo ihren Teil dazu beigetragen. Spätestens seit der Netflix-Serie über die japanische Aufräum-Ikone und Bestseller-Autorin („Magic Cleaning: Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert“) sind weltweit wohl Millionen von Kleidungsstücken nach der sogenannten „KonMari-Methode“ mit einem besonderen Dank ausgemistet und andere von glücklichen Besitzern rechteckig zusammengelegt und hochkant in Boxen verstaut in den Kleiderschrank einsortiert worden. Das Kondo-Motto lautet schließlich: „Organize the World“.

Nadine Meyer sortiert alle Gegenstände nach Kategorien – und sortiert dabei aus, was zu viel ist und nicht gebraucht wird.
Nadine Meyer sortiert alle Gegenstände nach Kategorien – und sortiert dabei aus, was zu viel ist und nicht gebraucht wird. © Unbekannt | The Organized

Auch Nadine Meyer hat von Marie Kondo gelernt, nach einen Seminarteilnahme in New York darf sie sich zertifizierte „KonMari-Beraterin“ nennen. Heute arbeitet sie jedoch nach ihrer eigenen Methode. Anders als Marie Kondo und die meisten Aufräumcoaches mistet sie nicht zusammen mit ihren Kunden deren Besitz aus, sondern übernimmt alles für diese (so übrigens auch das Prinzip einer anderen erfolgreiche Netflix-Serie „The Home Edit“). „Ich bin zu ungeduldig, um mit jemandem gemeinsam da zu sitzen“, sagt Nadine Meyer und lacht. „Wenn ich Unordnung sehe, will ich einfach Ordnung schaffen – und ich weiß, wie es geht.“

Lektion Nummer eins: Der Anfang ist das Schwierigste

Aufräumen, kann das nicht jeder? Ja, das schon. Doch hier geht es nicht darum, einmal alles in den Schrank zu räumen, damit man den Teppich davor saugen kann. Es geht darum, seinen Besitz zu ordnen, Überflüssiges loszuwerden und eine Struktur zu schaffen, und zwar nachhaltig. Das wollen viele, schaffen es aber nicht – während es anderen schon immer leicht gefallen ist. So wie Nadine Meyer, die ursprünglich Veranstaltungskauffrau gelernt und BWL studiert hat. Ihr routiniertes Vorgehen kann auf jeden Haushalt angewendet werden. Was kann man also von ihr lernen?

Lektion Nummer eins: Der Anfang ist das Schwierigste. Nadine Meyer arbeitet immer Raum für Raum, und darin dann Gegenstand für Gegenstand. „Ich würde immer mit dem Raum beginnen, der am meisten Bauchschmerzen bereitet und bei dem man danach die größte Erleichterung verspürt“, sagt die Expertin . Das seien oft die Küche, das Bad oder die Ankleide – Orte, an denen man ständig Dinge brauche, sie im Gewusel aber schwer finde.

Nadine Meyer fasst jeden Gegenstand im Haushalt an

Zweiter Schritt: Alles aus den Schränke holen. Und zwar wirklich: alles. Dann geht es ans Sortieren. Nadine Meyer und ihre Mitarbeiterin, die am Ende eines Ordnungsprozesses jeden Gegenstand im Haushalt einmal angefasst haben werden, bilden dafür Kategorien, nach dem Motto: „Gleiches zu Gleichem“. In der Küche geht das Kategorisieren zum Beispiel so: alle Kochutensilien kommen zusammen, alles zum Servieren, alles zum Backen. Viele Kategorien seien sehr individuell. Wenn eine Familie beispielsweise jeden Morgen Müsli esse, käme alles dafür – Haferflocken, Nüsse, Rosinen, getrocknete Früchte und andere Zutaten – in die Frühstückskategorie.

Das Aussortieren oder Ausmisten passiere dabei ganz von alleine. Denn bei diesem Prinzip falle schnell auf, wie groß der Berg an Tuppertöpfen ist und ob jemand vier Dosenöffner besitzt. Man sieht, was zu viel ist oder nie gebraucht wird, weil es in keine Kategorie passt, und weg kann. Den „Aha-Effekt“ nennt es Nadine Meyer, die alles raus legt, von dem sie denkt, das es weg kann. Am Ende entscheide natürlich der Kunde, was wirklich aussortiert wird – doch wenn alle anderen Dinge erst einmal hübsch sortiert seien, hätten die meisten plötzlich kein „Verlust-Gefühl“ den übrigen Gegenständen gegenüber mehr. In der Regel würden ein bis zwei Umzugskisten pro Raum aussortiert, kaputte und abgelaufene Dinge nicht mit eingerechnet.

Das Einräumen ist ein bisschen wie Tetris spielen

Nächster Schritt: Überlegen, wo alles aus einer Kategorie am besten hin kommt. „Wir nennen das Zonen bestimmen“, sagt Meyer. „Wenn jemand oft kocht, sollte das Kochzubehör praktischerweise nah am Herd aufbewahrt werden.“ Was weniger oft verwendet werde, wie beispielsweise die Kuchenform oder der Schmortopf, können höher oder weiter hinten gelagert werden. Und andere Dinge, wie das Raclettegerät, lieber im Keller oder der Abstellkammer. „So verschieben sich die Dinge nach und nach an den richtigen Ort“, sagt Ordnungsprofi Meyer, die alle „Zonen“ zunächst mit Tape markiert, um den Überblick zu behalten. Wichtig dabei: „Wir sind alle faul – Dinge, die man regelmäßig nutzt, müssen mit ein oder zwei Handgriffen erreichbar sein.“

Dann folgt das Einräumen – mit Hilfe von passenden Kisten, Körben, Boxen und Vorratsbehältern. „Das ist ein bisschen wie Tetris spielen“, sagt Nadine Meyer und lacht. Sie hat dafür ein großes Sortiment auf Lager, aus dem der Kunde wählen könne. Das kann so weit gehen, dass alle Nudelsorten in einzelne Glasbehälter umgefüllt werden – manche reiche es aber auch, eine Kiste zu haben, in die alle Pastapackungen reinkommen.

Der Kern jeder Ordnung: Alles hat seinen festen Platz

Letzter Schritt: Alles wird beschriftet. Und damit meint Meyer erneut: wirklich alles. Bis zu jedem einzelnen Fach für Gabeln, Messer und Löffel. Ist das nicht übertrieben? Nadine Meyer lächelt wissend. „Das ist das Geheimnis dafür, dass die einmal hergestellte Ordnung auch hält“, sagt sie. „Wenn etwas beschriftet ist, wissen alle Bescheid und tun es auch wirklich wieder dorthin, sogar ohne Nachzudenken.“

So ordentlich kann ein Regal sein: Alle Elektroartikel sind in Kisten sortiert und – natürlich - beschriftet.
So ordentlich kann ein Regal sein: Alle Elektroartikel sind in Kisten sortiert und – natürlich - beschriftet. © Unbekannt | The Organized

Denn das sei der Kern jeder funktionierenden Ordnung: Alles – jeder Gegenstand im Haushalt – hat seinen festen Platz. „Wenn das einmal festgelegt ist, kann es auch zwischendurch mal unordentlich werden – das Aufräumen geht dann ganz schnell und einfach.“ Wichtig sei nur, sich eine Routine zu schaffen, wann alles an seinen Ort zurückgelegt werde. Das könne sofort sein, jeden Abend oder einmal die Woche. Natürlich hat der Profi aber auch eine Faustregel: „Alles, was in zwei Minuten erledigt werden kann, erledige sofort“, rät Meyer, die von sich selbst sagt, feste Plätze zu brauchen, um nicht täglich ihren Haustürschlüssel suchen zu müssen.

Der Sinn des Ganzen: Zeit und Geld sparen

Und das sei schließlich der Sinn des Ganzen – neben der Ästhetik, die nicht unwichtig, aber zweitrangig sei: Zeit und Geld zu sparen. Also nicht ständig nach etwas suchen zu müssen oder es im Zweifel doppelt zu kaufen, weil man es nicht mehr wiederfindet.

„Zu wissen, was man hat und wo es ist, gibt einem eine große Ruhe“, sagt Meyer. „Und mit einer guten Struktur geht man automatisch wertschätzender mit den Dingen um.“

Sängerin Jasmin Wagner und Influencerin Caroline Daur gehören zu ihren Kunden

Dieses Gefühl lassen sich ihre Kunden – darunter auch prominente wie Sängerin Jasmin Wagner und Influencerin Caroline Daur – gerne etwas kosten: Die Ordnung für einen Raum, für den Nadine Meyer zwei bis drei Tage braucht, gibt es ab etwa 1500 Euro, inklusive der Aufbewahrungsprodukte.

Im Übrigen dürfe jeder sein persönliches Maß an „genug“ Dingen haben, so Nadine Meyer. Der viel gehypte Minimalismus sei nicht für jeden etwas und müsse es auch gar nicht sein. Sich mit anderen zu vergleichen bringe ohnehin gar nichts, jede Ordnung sei individuell und jeder Haushalt brauche ein anderes System. Auch der Anlass, das Thema anzugehen, könne ganz unterschiedlich sein: eine neuer Job, die Geburt eines Kindes, ein Umzug, eine Trennung vom Partner, der Tod von Verwandten, der Auszug der großen Kinder. Manche seien es aber auch einfach leid, sich in ihrer eigenen Küche nicht richtig zurechtzufinden.

Ordnung: Niemand muss sich für Unordnung schämen

Schämen müsse sich jedenfalls keiner für seine Unordnung, so Meyer – auch wenn die meisten „Betroffenen“ das täten. „Wir bekommen oft Fotos zugeschickt mit dem Hinweis: Aber zeigen Sie es keinem!“, erzählt die Ordnungsexpertin. Der verborgene Komplex einer Konsumgesellschaft. „Dabei haben wir doch alle dieselben Probleme, einen hektischen Alltag, wenig Zeit“, sagt Meyer. „Ich kann versichern: Das sieht bei allen so aus.“ Sie selbst sehe bei solchen Fotos sowieso nur eines: das geordnete Nachher.

Weitere Informationen auf Instagram unter @theorganized.de sowie im Netz unter theorganized.de