Hamburg. Volle S-Bahnen und hohe Nachfrage nach Taxen und Moia. Donnerstag wieder Normalbetrieb – und neue Verhandlungsrunde.
Es ist ein ungewohntes Bild an diesem Morgen: Am Busbahnhof Barmbek bewegt sich nichts. Auf den elektronischen Fahrzielanzeigern sind keine Busse angekündigt. Der Abfahrtsbereich ist verwaist. Auch auf den Bahnsteigen der U-Bahn ist es leer – bis auf wenige Ausnahmen. Marsella M. steht dort und ist ein wenig verzweifelt. Die Reinigungskraft möchte von Barmbek mit der U 3 zur Hoheluftbrücke fahren, dort in der Nähe ist ihr Arbeitsplatz. „Ich habe keine Ahnung, wie ich jetzt zu meinem Ziel kommen soll. Ein S-Bahnhof ist dort nicht in der Nähe.“
Die S-Bahnen waren die einzigen Züge, die am Mittwoch im Hamburger Nahverkehr unterwegs waren. Die Hochbahn hatte den Betrieb ihrer Busse und U-Bahnen eingestellt – wie ankündigt kam es zu einem Totalausfall. Ver.di hatte die rund 6300 Mitarbeiter des städtischen Verkehrsunternehmens zu einem 24-stündigen Warnstreik aufgerufen, nachdem auch der zweite Verhandlungstermin der Tarifrunde aus Sicht der Gewerkschaft ergebnislos verlaufen war. Mit massiven Folgen für alle, die mit dem ÖPNV unterwegs sein wollten – an normalen Werktagen sind das rund eine Million Menschen.
HVV: Hochbahn-Streik – ein Tag ohne Busse und U-Bahnen
Am Bahnhof Barmbek herrscht dennoch Hochbetrieb. Hier fahren nicht nur zahlreiche Buslinien ab, sondern in der Regel auch die U-Bahn und die S-Bahn. Auf dem Bahnsteig der U 3 in Richtung Schlump stehen Mitarbeiter der Hochbahn-Wache, um die wenigen Kunden, die hier auftauchen, auf die S-Bahn zu verweisen. Dort stehen die Menschen dicht gedrängt. Die Züge sind brechend voll. Der Großteil trägt am ersten Tag nach Ende der Pflicht keine Maske mehr.
Eine Sprecherin bestätigte dem Abendblatt: „Wir konnten ein höheres Reisendenaufkommen in unseren S-Bahnen verzeichnen.“ Die DB-Tochter reagierte auf die Nachfrage. „Wir haben zwischen Berliner Tor und Ohlsdorf die S 11 heute ganztägig im Einsatz, die Linie fährt sonst nur in den Hauptverkehrszeiten, da gerade am Berliner Tor, Barmbek und in Ohlsdorf zahlreiche Fahrgäste die U-Bahn nutzen.“
Ver.di fordert mehr Lohn für Hochbahn-Mitarbeiter
Im Abfahrtsbereich der Busse hat Ver.di einen Streikposten eingerichtet. Zahlreiche Hochbahner sind vor Ort, stehen um einen Aufsteller mit der Aufschrift „Warnstreik“ herum. „Unser Arbeitgeber hat unsere Forderungen bislang nicht erfüllt.
Wir werden einfach nicht angemessen bezahlt, und deshalb haben wir keine andere Wahl, als heute zu streiken und Druck auf die Hochbahn auszuüben, damit sich das Unternehmen bewegt“, sagt Markus Fuhlendorf. Der U-Bahn-Fahrer und Rangierer arbeitet seit 20 Jahren für das Verkehrsunternehmen und ist Vertrauensmann bei Ver.di.
Wie berichtet, fordert die Gewerkschaft für die Hochbahn-Mitarbeiter bei einer Vertragslaufzeit von zwölf Monaten eine Erhöhung der monatlichen Tabellenentgelte um jeweils 600 Euro brutto. Die Hochbahn hat der Gewerkschaft aus ihrer Sicht ein „attraktives Angebot“ vorgelegt, das jedoch nicht den Ver.di-Forderungen entspricht. An diesem Donnerstag trifft man sich zur dritten Verhandlungsrunde.
Die Hamburger müssen an diesem Streiktag aber erst mal umsteigen: Am U-Bahnhof Lattenkamp steht eine Frau, die hier nicht weiterkommt und deshalb versucht, erstmals ein StadtRad zu leihen. „Die Alternative wäre, dass ich eine Stunde bis zur Christuskirche laufe“, sagt sie. Auch Adrian Kamp muss sich ein anderes Fortbewegungsmittel suchen.
Der Online-Marketing-Experte kommt aus Frankfurt am Main, ist geschäftlich in der Stadt und hat von dem Warnstreik nichts mitbekommen. Eigentlich wollte er von Barmbek mit dem Bus zum Termin in der Otto-Zentrale fahren. „Zu Fuß kann ich die Strecke nicht zurücklegen“, sagt er. „Ich werde mir ein Taxi oder Uber bestellen.“
HVV-Streik: Hochbahn fährt ganztägig nicht
Die Taxi-Unternehmen gehören in jedem Fall zu den Profiteuren des Tages. Das bestätigt Thomas Lohse, Vorstand von Hansa-Taxi: „Aktuell brummt unser Geschäft. Wir sind rund 30 Prozent mehr Touren gefahren im Vergleich zu anderen Tagen.“ Glücklich waren diejenigen, die überhaupt durchkamen. „Rund 15 Prozent mehr Autos von Hansa-Taxi, Autoruf, 6x6 und Das Taxi sind im Einsatz“, erklärte Lohse.
Zahlreiche Hochbahn-Kunden stiegen auch auf den Fahrdienst Moia um. Eine Sprecherin sagte dem Abendblatt. „Wir verzeichnen heute seit Betriebsstart eine deutlich höhere Nachfrage. Wir tun, was wir können, um kurzfristig mehr Fahrzeuge als geplant auf die Straße zu schicken.“
Das befürchtete Chaos auf den Straßen blieb dennoch aus. Am frühen Morgen lief nach Polizeiangaben zunächst alles wie gewohnt. Im Laufe des Morgens nahm der Verkehr dann aber doch zu. „Die Verkehrslage ist etwas dichter, insbesondere auf den Einfallstraßen“, sagte ein Sprecher der Verkehrsleitzentrale gegen 8.30 Uhr. Richtige Staus gebe es aber nicht.
Hochbahn-Streik bindet 1200 Mitarbeiter
Mit Streikende am Donnerstagmorgen um 3 Uhr „werden wir den kompletten U-Bahn- und Busbetrieb und den regulären Fahrplan wieder aufnehmen“, sagte Hochbahn-Sprecher Christoph Kreienbaum. Und so kam es dann auch. Gleichwohl erneuerte Kreienbaum die Kritik des Unternehmens am Warnstreik: „Angesichts der massiven Auswirkungen auf unsere Fahrgäste, des aus unserer Sicht guten Angebots und der schon vereinbarten 3. Verhandlungsrunde fehlt uns für diesen Streik das Verständnis.“
Ver.di-Gewerkschaftssekretärin Magdalene Waldeck zeigte sich hingegen hoch zufrieden. Bis zum Mittag schätze sie die Zahl der Streikenden auf 1000 bis 1200. Einig waren sich Hochbahn und Gewerkschaftler zumindest in einem: Ein Notfahrplan wäre angesichts der hohen Beteiligung nicht sinnvoll gewesen.