Hamburg. Marco Sinervo ist Chef von Hamburgs größter Modelagentur. Er gibt exklusive Einblicke in die Realität zwischen Mappen und Laufstegen.
Er stand auf jeder VIP-Liste, tanzte auf den Partys der Schönsten, jettet durch die Welt – und feierte die Nächte durch. Marco Sinervo war Teil der schillernden Modelparty-Blase der 90er-Jahre – auch in Hamburg floss damals der Champagner auf den Modelpartys. Für den damals 19-jährigen Sinervo eine anziehende, fast surreale Welt: nachts Party, tagsüber kopierte er – weitaus unglamouröser – Massen an Modelmappen.
So weit die Anfänge im Berufsleben von Marco Sinervo. Heute ist der 45-Jährige weniger am Feiern, vielmehr führt er Deutschlands, nach eigenen Aussagen auch Europas, renommierteste Modelagentur mit Hauptsitz in Hamburg am Mittelweg: MGM Models gründete er 2007.
MGM Models: Sinervo kann Gesichter lesen
Sinervo weiß, wie Gagen zu verhandeln sind, kennt das Booking von Models, kann mit Bildmaterial umgehen. Der Sohn einer Finnin und eines Italieners lernte in der ersten Hälfte seiner bislang 25 Jahre währenden Karriere im Modelbusiness dabei das Essenzielle: Gesichter lesen. Er sieht, ob ein Mensch fotogen ist, kann den Schnitt, die Proportionen eines Gesichts beurteilen. „Das muss man lernen wie ein Handwerk, es dauert Jahre, bis es sitzt“, sagt Sinervo über diesen für ihn so signifikanten Erfahrungswert.
Heute spielt sich das Geschäft vorwiegend tagsüber in seiner Agentur ab, insgesamt hat er 1500 Models und Influencer unter Vertrag und 65 Mitarbeiter. Ausgiebig gefeiert werden eher die Geburtstage seiner vier Kinder, Familienmensch Sinervo lebt mit Ehefrau Maike und seinen drei Töchtern und einem Sohn in Rotherbaum.
Sinervo verdient heute noch an Kate Upton und Eva Herzigova
Sein Blick, gepaart mit den langjährigen weltweiten Kontakten und Verhandlungsgeschick hat Hunderten Models den Weg auf die internationalen Laufstege geebnet, Models in Fotoproduktionen für Zeitschriften, Werbung, Internet oder Bewegtbild gebracht. Männer wie Frauen, Influencer und „New Faces“.
Dass beispielsweise Kate Upton mittlerweile ein Superstar ist, geht auf Sinervos Konto. Er nahm sie als 14-jährige Teenagerin in Hamburg unter Vertrag, zwei Jahre später feierte sie ihren internationalen Durchbruch. Ebenso machte Sinervo Eva Herzigova groß und weltbekannt.
„In den meisten Fällen passt es einfach nicht“
Mittlerweile bewerben sich monatlich „fünf- bis sechshundert Leute“ bei seiner Agentur, online über die Agenturwebsite. „In den meisten Fällen passt es aber einfach nicht“, so Sinervo. Wer sich nicht an die Kriterien halte in Bezug auf Größe oder Alter, sei sofort raus. Was hart klinge, sei der Realität sowie seiner persönlichen Verantwortung geschuldet. Nach all den Jahren im Geschäft kam in dem Familienvater der Wunsch nach mehr Transparenz auf. Das Bild von dauerfeiernden Models, Fotografen und Agenten war sowieso schon überholt, vielmehr hatte das Privatfernsehen die sagenumwobene Modelwelt als gewinnbringendes Genre entdeckt.
Die 18. Staffel der Castingshow „Germany’s Next Topmodel“ (GNTM), in welcher Heidi Klum mit teilweise ausgefallenen Mitteln Nachwuchsmodels auf die Probe stellt und schlussendlich eine oder einen zum „Topmodel“ kürt, startet im kommenden Frühjahr. Die Folgen sind dominiert von Dramen, Eskapaden, Zusammenbrüchen von jungen Frauen in emotionalen Ausnahmesituationen. In Sinervo, für den die Staffeln aufgrund ihrer Realitätsferne zum wahrhaftigen Alltag eines Models kaum auszuhalten waren, wie er sagt, reifte der Entschluss, für echte Einblicke zu sorgen.
Sinervo schrieb ein Buch
Also hat Sinervo ein Buch geschrieben, eines, das mit seinem Erscheinen im März dieses Jahres für viel Furore gesorgt hat: „Fame vs. Fake“, so der Titel. Doch ist es nun mehr Aufklärung über die Model- und Modebranche oder gar eine Abrechnung mit einer, die schon lange dabei ist, mit „Modelmutter“ Heidi Klum? „Eine Abrechnung habe ich so nicht nötig, aber es gibt Themen, die man in der Gesellschaft diskutieren sollte“, meint Sinervo. Auf den 221 Seiten beleuchtet Sinervo weit mehr als nur die Missstände bei der TV-Show, die es nun mittlerweile im 17. Jahr gibt.
Doch auch er befriedige das öffentliche Interesse, jedoch bleiben die Charaktere geschützt und treten nur auf Wunsch nicht anonymisiert auf. „Ich gebe da Hintergrundinfos und es kommen Kandidatinnen zu Wort – was es so noch nicht gab“, sagt Sinervo, der die offenen Worte von Anuthida Ploypetch, Zweitplatzierte der zehnten Staffel, in seinem Buch aufnahm.
„GNTM“ verbreite ein verzerrtes Bild der Modelbranche, so Sinervo
Im Abendblatt-Videopodcast spricht er vom „Entzaubern der Branche“, plädiert für mehr Realität. „,GNTM“‘ stellt nicht die Modelwelt dar, es ist ein total verzerrtes Bild. Mir war es wichtig zu sagen, dass man eben nicht nackt über den Laufsteg laufen muss.“ Vielmehr sei sein Business ein „klares Geschäft mit klaren Spielregeln“, „GNTM“ hingegen lasse Charaktere „eskalieren“, isoliere die Mädchen von ihrem sozialen Background und überfordere die Teilnehmerinnen durch sogenannte Challenges, also Wettbewerbe. Dabei gehe es um die Quoten und nicht darum, die Teilnehmerinnen bestmöglich auf die Welt des Modelns vorzubereiten.
Was im wirklichen Alltag den Models Probleme macht, sei von ganz anderer Art. Auch, welche unerwarteten Wege Anwärterinnen gehen, welche ungeheuerlichen Szenen Sinervo schon erlebt hat in Bezug auf Absagen und wie er als Agent gemeinsam mit den Models mit Krisen umgeht, erzählt er im Podcast.
MGM Models: Soziale Medien nicht mehr wegzudenken
Und Marco Sinervo beleuchtet, warum die sozialen Medien nicht „mehr wegzudenken“ sind. In den nun alle zwei Wochen folgenenden Gesprächen erläutert er – gemeinsam mit unterschiedlichsten Gästen der Modelwelt – warum jedes Model unbedingt einen Instagram-Account braucht und was zur „Schwarzbrot-Arbeit“ der heutigen Models gehört.