Hamburg. Sven Barduas frisch erschienener Bauführer eröffnet neue Blicke auf die Hansestadt und ist eine versteckte Hommage an Ingenieure.
Zugegeben: Der Umschlag des neuen „Ingenieurführers“ ist arg unscheinbar, und auch der Titel wird es nicht in die Top Ten der attraktivsten Titel des Bücherherbstes schaffen – aber das Werk lohnt einen zweiten und dritten Blick. Akribisch und kompetent nähert sich Autor Sven Bardua mit der Ingenieurkammer Meisterleistungen in Hamburg und fördert einiges zutage, was bislang verborgen war. Herausgekommen ist eine beachtliche Pionierleistung über die Kunst des Hamburger Bauens.
Die Hansestadt, so schreibt Bardua, spielte auf dem Gebiet des Ingenieurbaus schon im 19. Jahrhundert europaweit in der ersten Liga. Spektakuläre Bilder aus der Bauzeit erlauben Blicke hinter die Fassade – etwa des Brahms-Kontors gegenüber der Laeiszhalle mit dem damals höchsten Stahlskelett in Europa. Es hätte sogar noch 15 Meter höher werden sollen, doch Oberbaudirektor Fritz Schumacher genehmigte „nur“ 60 Meter. Die Leser erfahren, dass der Klassiker der Nachkriegsmoderne, das frühere Unilever- und heutige Emporio-Hochhaus, mit allen modernen Finessen der Sechzigerjahre glänzte wie Rohrpost und Aktenpaternoster. Das Bürogebäude der Hamburg-Mannheimer in der City Nord, gebaut zwischen 1971 und 1974, besaß sogar Rolltreppen und eine Aktenförderanlage.
Gebäude in Hamburg: Elbphilharmonie teurer als gedacht
Die Speicherstadt, die Schilleroper, die Grindelhochhäuser, die Elbphilharmonie, die Hauptkirchen oder das Rathaus – sie alle werden detailliert besprochen. So lässt sich noch einmal aus Ingenieurperspektive nachlesen, warum das Konzerthaus in der HafenCity alle Kostenkalkulationen sprengte: „Technisch war das Ganze durchaus lösbar. Aber der Aufwand wurde im Laufe der Planung immer größer, der über dem Wasser bis zu 110 Meter hohe Bau schwerer.“ Allein das Riesenei des Großen Saales wiegt 12.500 Tonnen. Die Hamburgische Staatsoper, für die zuletzt Abrisspläne kursierten, lobt der Autor als „unerhört modernen Neubau“.
Immer wieder erfährt der Leser überraschende Fakten: Die Kirche St. Petri war mit ihrem Tragwerk aus Schmiedeeisen ein kleiner Eiffelturm und Vorbild für spätere Funktürme. Die heute von den Hamburgern so innig geliebte Fischauktionshalle Altona hat ihre faszinierende Konstruktion aus Schweißeisen vor allem aus einem Grund – sie war besonders günstig. Und die Rindermarkthalle auf St. Pauli wartet ebenfalls mit einem Superlativ auf als größte freitragende Stahlhalle Europas.
Im „Ingenieurführer“ sind auch unbekannte Werke zu finden
Im „Ingenieurführer“ finden sich unter den 57 porträtierten Bauten auch eher unbekannte Werke wie die Auferstehungskirche in Barmbek-Nord, die Großbäckerei am Isebekkanal, die Stahlhäuser Fuhlsbüttel oder die Eisenbasilika am Beerenweg in Bahrenfeld. Und wer wusste zuvor, dass die Kuppel des Botanischen Staatsinstituts (Bucerius Law School) dem Bode-Museum in Berlin nachempfunden war? Dass das Auditorium Maximum eine 85 Tonnen schwere Trennwand besitzt, die aus dem Keller nach oben gefahren werden kann? Und dass unter der Erde des Desy beim Bau des Hera-Teilchenbeschleunigers ein Technologiesprung im weltweiten Tunnelbau gelang?
Auch Meisterwerke, die längst abgerissen wurden, heute aber vermutlich Wahrzeichen wären, werden behandelt wie Sillems Basar am Jungfernstieg, die Ausstellungshalle auf der Moorweide, an der Gustave Eiffel beteiligt war, oder der erste Eisenbeton-Hochbau überhaupt: die Kunsthalle auf der Hamburgischen Gewerbe- und Industrieausstellung. Auch die Hanseatenhalle in Rothenburgsort mit ihren 40.000 Plätzen ist fast vergessen, sie wurde ein Opfer der „Operation Gomorrha“.
Gebäude in Hamburg: Buch ist eine Hommage an Ingenieure
Das Buch ist eine versteckte Hommage an die Ingenieure. Sie sind eben nicht „die Rechenknechte und Erfüllungsgehilfen“ der Architekten, wie es in der Einleitung heißt, sondern Meister ihres Faches. Und oft auch Meister der Ästhetik. Der große Ingenieur Jörg Schlaich, beteiligt am Bau des Fernsehturms, der Alsterschwimmhalle oder des Glasdaches des Museum für Hamburgische Geschichte, sagte einmal: „Ein vom technologischen Fortschritt abhängiges Land sollte sich hässliche Bauten schon deshalb nicht leisten, weil sie zur Technologiefeindlichkeit beitragen.“
Der „Ingenieurführer“ ist nicht unbedingt ein Lesebuch, aber ein spannendes Nachschlagewerk und nutzerorientiert – auf zwei Karten sind die besprochenen Bauten eingezeichnet. Schon jetzt ist ein zweiter Band in Vorbereitung, der sich Brücken, Hafenbau und Kraftwerken widmen will. Darin geht es dann um die Infrastruktur – die Kanalisation eines William Lindley, die Tunnel, Brücken und den Hochwasserschutz. Ohne den Hochwasserschutz der Ingenieure, erfährt der Leser schon jetzt, stünden 40 Prozent der Hansestadt zweimal am Tag unter Wasser. Nach Lektüre des ersten Bandes darf man sich auf den zweiten freuen.