Hamburg. Eine Pädagogin schreibt dem Bürgermeister – schildert ihre Arbeit und ihre Ängste. Wir dokumentieren ihn in voller Länge.

Schicken zu viele Eltern ihre Kinder während des Lockdowns in die Kita? Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) hat am Donnerstag erneut die Hamburger Eltern dazu aufgerufen, wegen der Corona-Gefahren ihre Kinder – wann immer es möglich ist – zu Hause zu behalten und nicht in die Kitas und Grundschulen zu schicken. Zwar könne es für die Betreuung „sehr unterschiedliche Gründe“ geben, sagte sie dem Abendblatt. Doch solle das Angebot nur dann genutzt werden, „wenn es auch wirklich erforderlich ist“. 

Bisher aber haben Appelle wie diese nicht die erhoffte Wirkung erzielt. In den 1100 Hamburger Kitas werden aktuell laut Sozialbehörde 40 bis 50 Prozent der etwa 90.000 Kinder betreut. Viele Erzieherinnen und Erzieher sind wegen der hohen Zahl alarmiert.

Kita-Betriebsrat fordert Beschränkung auf "Notbetreuung"

Auch an Schulen können Eltern kleinerer Kinder zwischen Präsenzunterricht und Homeschooling wählen. Stand Dienstag wurden an den Gymnasien 2,2 Prozent und an den Stadtteilschulen 5,8 Prozent der Schüler vor Ort betreut, an den Grundschulen aber 23,1 Prozent.

Während der Betriebsrat des Kitabetreibers Elbkinder die freie Wahl für Eltern kritisierte und forderte, es dürfe nur eine „Notbetreuung“ geben, begrüßte der Landeselternausschuss das Angebot: Man sehe „die Elternrechte und vor allem auch das Recht der Kinder auf Bildung gewahrt“. Beim pädagogischen Personal wächst die Angst vor einer Ansteckung. Diesen Brief schrieb eine Erzieherin, die anonym bleiben möchte, an den Senat:

Brandbrief einer Pädagogin: "Wir sind völlig ungeschützt"

„Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren,
diese Mail schreibe ich Ihnen, während mir Tränen der Wut und Sorge herunterlaufen. Ich bin Pädagogin in einer Kindertagesstätte. Seit vielen Jahren arbeite ich nun mit Kindern und ich bin eigentlich sehr glücklich in meinem Beruf … eigentlich, denn die Anforderungen steigen ständig (nicht erst seit Corona), während die Anerkennung meines Berufes in der Gesellschaft sehr gering ist wie auch die Bezahlung. Doch das war mir schon bei meinem Ausbildungsbeginn bewusst, und trotzdem habe ich mich zusätzlich noch für ein Studium der Kindheitspädagogik entschieden, auch wenn sich dadurch meine finanzielle Lage nur gering verbessert hat. Mir ist es wichtig, die Kinder nicht nur zu betreuen, sondern bestmöglich zu bilden und ihnen so eine gute Basis für ihren Lebensweg zu schaffen. Die Elternarbeit hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen und nimmt immer mehr Zeit ei
n.

Und nun Corona… Ich habe meine persönlichen Kontakte enorm eingeschränkt, selbst als ich es laut den offiziellen Maßnahmen (noch) nicht gemusst hätte, zum einem, um die Kinder und Kollegen in der Kita nicht zu gefährden, und zum anderen, um meine Familie und Freunde zu schützen. Denn - und das ist etwas, was viel zu selten bis gar nicht öffentlich besprochen wird - wir arbeiten völlig ungeschützt in ständiger Nähe zu den Kindern. Seit Beginn der Pandemie haben wir keine Maske im Kontakt mit den Kindern getragen, denn sie sollte unsere pädagogische Arbeit nicht beeinträchtigen.

Doch mit den steigenden Zahlen wächst auch unter uns Pädagogen immer mehr die Sorge vor einer Ansteckung. Gleichzeitig ist es absurd: Überall müssen wir Maske tragen, aber dort, wo wir direkte Kontakte zu haushaltsfremden Personen haben, nicht? Die Kinder tragen keine Masken und es gibt auch keine Abstandsregeln. Wie sollten wir als Pädagogen sonst auch arbeiten - füttern, Windeln wechseln, Nase putzen, in den Schlaf wiegen, Wunden verarzten, Tränen trocknen, Ärger beruhigen, Sorgen wegstreicheln und und und...

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Erst seit ein paar Tagen tragen wir nun, auf eigenen Wunsch, durchgängig Masken. Die zuständige Behörde hat uns auch welche gestellt, allerdings keine FFP2- Masken, obwohl wir diese eigentlich bräuchten. Schließlich wollen wir auch uns selbst schützen. Meine Erfahrung ist: Die Eltern unserer Kinder haben teilweise mit Unverständnis auf die Masken reagiert bzw. es erst mit dem Hinweis, dass wir uns selbst schützen wollen, verstanden. In der Impfverordnung mussten wir uns erst mal suchen, denn oft werden in der dritten Impfgruppe nur Lehrer genannt. Lehrer können in der Regel Abstand halten, wir nicht!

Viele Eltern sind gestresst und lassen ihren Frust bei uns. Das kann ich gut verstehen, wohin auch sonst damit? Aber auch hier müssen wir uns einschränken, da die Eltern nur möglichst kurz in der Kita bleiben sollen… So habe ich schon einige Gespräche nach meinem Feierabend geführt, wenn mich Eltern beim Verlassen der Kita erwischen. Ich habe großes Verständnis für die Sorgen der Eltern.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Nun sind wir in einer bedrohlicheren Coronalage als jemals zuvor. Alle Maßnahmen werden verschärft… Alle? Nein, denn die Kitas bleiben geöffnet. Ja, es gibt den Wunsch und den Appell der Politik an die Eltern, ihre Kinder nach Möglichkeit zu Hause zu lassen. Wir betreuen nur zwischen 8 und 15 Uhr, die Randzeiten bleiben weiterhin für alle systemrelevanten Berufe geöffnet.

Spüren wir einen Unterschied in der Kita? Nein, nicht wirklich. Es fühlt sich eher nach einer Erkältungswelle an, bei der auch ca. 20 Prozent der Eltern ihre Kinder zu Hause lassen. Dafür betreuen wir z.B. Kinder, deren kleinere Geschwister zuhause sind.

Wir erhalten Mails oder Anrufe von Eltern, die uns die schwierige Situation bei sich zu Hause schildern, und sagen ihnen, dass wir geöffnet haben und sie, wenn es nicht anders geht, kommen können. Denn das sind die Richtlinien, die die Politik uns gegeben hat. Und warum sollte eine Familie leiden, wenn die anderen auch von uns betreut werden? Eltern berichten uns, dass Arbeitgeber fragen, warum sie ihr Kind betreuen müssen. Die Kitas hätten ja schließlich geöffnet.

Wie sollen Eltern da entscheiden, wenn sie die Wahl haben zwischen einer professionellen Betreuung mit anderen Kindern oder Homeoffice und nebenbei Betreuung (was bei kleinen Kindern wohl nur während des Mittagsschlafes wirklich möglich ist)?
Für die Kinder, die zu Hause bleiben, schaffen wir es kaum, ein Angebot – z.B. Bastelideen per Mail, Videos, Fotos, etc. - vorzubereiten (wie wir es noch im ersten Lockdown gemacht haben), da wir ja fast im Normalbetrieb arbeiten. Wir versuchen, den Kontakt zu halten, und hören an jedem Tag Unverständnis über die hohe Kinderzahl in der Kita. Das kann ich gut verstehen
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Corona: Diese Testverfahren gibt es

  • PCR-Test: Weist das Virus direkt nach, muss im Labor bearbeitet werden – hat die höchste Genauigkeit aller Testmethoden, ist aber auch die aufwendigste
  • PCR-Schnelltest: Vereinfachtes Verfahren, das ohne Labor auskommt – gilt als weniger zuverlässig als das Laborverfahren
  • Antigen-Test: weniger genau als PCR-(Schnell)Tests, dafür zumeist schneller und günstiger. Laut RKI muss ein positives Testergebnis durch einen PCR-Test überprüft werden, ein negatives Ergebnis schließt eine Infektion nicht aus, insbesondere, wenn die Viruskonzentration noch gering ist.
  • Antigen-Selbsttest: Die einfachste Test-Variante zum Nachweis einer Infektion mit dem Coronavirus. Wird nicht von geschultem Personal, sondern vom Getesteten selbst angewandt. Gilt als vergleichsweise ungenau.
  • Antikörper-Test: Weist keine akute, sondern eine überstandene Infektion nach – kann erst mehrere Wochen nach einer Erkrankung sinnvoll angewandt werden
  • Insgesamt stellt ein negatives Testergebnis immer eine Momentaufnahme dar und trifft keine Aussagen über die Zukunft

Im Ergebnis ist trotz der angespannten Corona-Lage bei uns also eigentlich fast alles wie immer… Meine Kollegen und ich verzichten auf so gut wie alle privaten Kontakte, betreuen aber zugleich unzählige „Haushalte“ über unsere Kitakinder. Kollegen haben z.B. ihre Großeltern seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen und werden sie vielleicht auch nie wiedersehen (während Kitakinder von Großeltern abgeholt werden). Andere sehen ihre eigenen Eltern nicht mehr (während Kitakinder noch zum Musikunterricht gehen) und ich habe mein Patenkind, das im Frühjahr geboren wurde, noch nie auf dem Arm gehabt (während ich jeden Tag viele Kitakinder auf eben diesem trage). Ich mache meine Arbeit nach wie vor gern, aber die Diskrepanz zwischen den Einschränkungen im Persönlichen und der „Normalität“ in der Kita erscheint mir oft absurd. Auf jeden Fall raubt sie mir (zu) viel Kraft.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, ich wollte diese Gedanken, die bestimmt fast alle anderen Kita-Mitarbeiter mit mir teilen, einfach mal bei ihnen los werden.
Mit freundlichen Grüßen
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Eine Erzieherin aus Hamburg