Hamburg. Zwei Hamburger berichten von der Neugier ihres Umfelds, Anfeindungen und wie sie sich selbst im Bezug zu ihrem Glauben verstehen.
Ja, klar kennen sie Anfeindungen und Vorurteile. Doch darauf allein lassen sich junge Juden wie Shelly Meyer und Ari Inger nicht reduzieren. Warum auch? Sie sind junge Hamburger wie alle anderen auch, und sie sind viel mehr als ihr Glaube oder ihre Tradition. Die beiden Hamburger Studenten über das Jüdischsein in Hamburg.
Shelly Meyer, 25 Jahre, studiert Marketing: Shelly ist mit ihren Eltern von Israel nach Deutschland gekommen, als sie knapp sieben Jahre alt war. Sie trägt daher vieles in ihrer Seele: Israel, Deutschland, Hamburg und eben auch das Judentum. Einerseits geht sie in die Offensive und spricht gern über ihr Leben als junge Jüdin. Andererseits ist sie vorsichtig und verrät nicht, in welchem Stadtteil sie wohnt.
Erfahrungen mit antisemitischen Angriffen
„Ich habe im Gegensatz zu meiner Familie bewusst die Entscheidung getroffen, mit meiner Religion in die Öffentlichkeit zu gehen und möchte nicht, dass mir oder meiner Familie etwas zustößt.“ Denn antisemitische Angriffe und Beleidigungen kennt auch sie. „Als Jüdinnen und Juden sind wir in manchen Situationen leider sensibilisierter als andere“, sagt sie.
Sie wurde schon auf der Straße angespuckt und beleidigt. Ihre Kette mit dem Davidstern trägt sie nicht offen, sondern unter dem T-Shirt. Wenn sie in der Öffentlichkeit mit ihren Eltern telefoniert, dann auf Hebräisch. Wechselt sie ins Deutsche oder Englische, ist das für ihre Eltern ein Alarmsignal, dass etwas nicht stimmt. „Das ist unsere interne Absprache“, so Shelly.
"Die meisten sind sehr aufgeschlossen"
Ihr ist es wichtig zu sagen, dass sie auch gute Erfahrungen macht. „Die meisten sind sehr aufgeschlossen dem Thema Judentum gegenüber. Gerade diejenigen, die kaum bis keine Berührungspunkte mit Juden hatten. Menschen aller Altersgruppen und Bildungsgrade kennen das aktive und gelebte Judentum häufig nicht.“ Diese Unwissenheit, sagt Shelly, betrifft nicht nur das Judentum, sondern alle Minderheiten. Während ihrer Schulzeit haben neben Schülern auch Lehrer oft Vorurteile und Halbwissen verbreitet.
„Eine Lehrerin sagte, in Jerusalem müssen Frauen hinten im Bus sitzen. Das stimmt aber einfach nicht. Diese Lehrerin hatte eine Dokumentation über ultraorthodoxe Juden gesehen und diese Situation auf ganz Israel und die Juden übertragen.“ Von ihr als Studentin werde erwartet, ihre Quellen genau zu überprüfen und keine falschen Informationen zu verbreiten. „Das müsste doch für Lehrer auch selbstverständlich sein.“ Sie war oft auch die Vorzeigejüdin im Unterricht. „Aber es war nicht mein Job in der Klassengemeinschaft, das Judentum oder den Nahost-Konflikt zu repräsentieren.“
Engagement in der Jüdischen Gemeinde
Sie selbst engagiert sich in der Jüdischen Gemeinde, momentan ist sie dort Mitarbeiterin im Jugendreferat und bemüht sich darum, junge Jüdinnen und Juden zwischen 18 und 25 Jahren zu vernetzen, sie gestaltet das Jugendzentrum Chasak mit. Außerdem macht sie mit bei Projekten wie „Taglit Birthright“, die Menschen mit jüdischem Hintergrund eine kostenlose Reise nach Israel ermöglicht, und „Meet a Jew“ – lerne einen Juden kennen. Das ist ein bundesweites Projekt, bei dem sich mehr als 300 Menschen engagieren. Sie gehen in Schulen, Universitäten oder Unternehmen und sprechen über ihren jüdischen Alltag.
„Unsere Generation kann nichts für die Taten unserer Großeltern, wir können aber alles dafür tun, dass sich diese Taten niemals wiederholen“, sagt sie. Ihre Generation habe viele Möglichkeiten, miteinander zu sprechen, sich digital zu vernetzen – um Vorurteile abzubauen und sich besser zu informieren.
Meyers Familie feiert jüdische Feiertage nicht religiös sondern traditionell
Shellys Familie ist nicht streng religiös. Sie bezeichnet sich als säkular. Das bedeutet, dass sie die jüdischen Feiertage feiern, aber nicht religiös, sondern eher traditionell. „Wir haben nie koscher gegessen. Gebete sprechen, das Singen von Liedern und traditionelle Speisen gehören aber zu den Feiertagen einfach dazu.“
Als Kind besuchte sie die jüdische Sonntagsschule und hat dort später selbst Kindern Hebräisch beigebracht. „Die Gemeinschaft, die wir bilden, und die Kinder, die wir zur Aufgeschlossenheit, Reflektiertheit und Selbstbewusstsein erziehen, bestärkt mich in der jüdischen Jugendarbeit.“
Gemeinschaft der Juden ist bundesweit vernetzt
Shelly bezeichnet sich als „stolze Jüdin“. Stolz, weil sie mit dem Judentum viel Gutes verbindet und in einer Gemeinschaft aufgewachsen ist, eine Gemeinschaft, die bundesweit vernetzt ist. Aber eigentlich, sagt sie, ist sie einfach nur Shelly. „Ich bin ich, für meine Freunde bin ich Shelly, ich bin erst Mensch, dann Frau und anschließend Jüdin.“
Ari Inger ist 18 Jahre und Jurastudent aus Bramfeld. Seine Eltern kommen ursprünglich aus der Ukraine, er selbst ist in Hamburg geboren und aufgewachsen. Die Ingers sind sehr gläubig, nicht streng-orthodox, aber die jüdische Religion spielt eine große Rolle. Ari selbst würde auch häufiger in die Synagoge gehen, wenn es das Studium und das viele Lernen am Sonnabend zuließen. „Außerdem schlafe ich sonnabends auch ganz gern mal aus“, sagt er und lacht. „Ich würde schon gern häufiger in die Synagoge gehen, aber sie ist eine Dreiviertelstunde entfernt, und oft bin ich einfach zu faul.“
Koschere Lebensmittel in Deutschland nicht weit verbreitet
Er versucht, so weit es im Alltag in Hamburg möglich ist, sich koscher zu ernähren. Aber ganz so streng nimmt er es nicht, einfach weil koschere Lebensmittel in Deutschland nicht so verbreitet sind. „Ich verzichte auf Cheeseburger oder Hamburger. Koscheres Fleisch ist in Hamburg sehr teuer. In den USA oder Israel wäre das leichter für mich.“
Seine Kippa, die traditionelle Kopfbedeckung jüdischer Männer, trägt Ari nicht die ganze Zeit. „Aus praktischen Gründen“, wie er sagt. Außerdem machten sich seine Eltern durchaus Sorgen, dass ihr Sohn mit der Kippa Anfeindungen ausgesetzt sein könnte. Bei ihm, sagt er, seien die Anfeindungen, weil er Jude ist, „nicht so krass“. Er glaubt, einfach Glück zu haben und auf die richtigen Menschen zu treffen. In seinem Freundeskreis sei das nicht bei jedem der Fall. Beleidigungen, körperliche Angriffe, kennen fast alle.
Erfahrungen mit antisemitischen Beleidigungen
Auch er wurde auf seiner früheren Schule, einem Gymnasium, mit „Du Jude“ angesprochen, ja beschimpft. Antisemitismus, so scheint es, ist an Hamburgs Schulen verbreitet. „,Du Jude´ als abwertende Beschimpfung ist Alltag.“ Ari bleibt dann in solchen Situationen ruhig. „In der Regel erkläre ich der Person direkt, dass es verletzend ist. Früher habe ich mich in der Schule an die Lehrer gewandt.“ Nichts zu sagen und zu ignorieren, komme für ihn nicht in Frage. Das ist auch immer wieder Thema mit den jungen Juden in der Jüdischen Gemeinde, wo Ari sich als Betreuer im Jugendzentrum „Chasak“ engagiert.
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Es geht darum, das Selbstbewusstsein der jüdischen Kinder und Jugendlichen zu stärken, ihnen beizubringen, Positives mit dem Judentum zu verbinden und sich zu behaupten, ohne sich in Gefahr zu begeben – aber eben doch ihren Standpunkt zu vertreten. Auch bei dem Projekt „Meet a Jew“ ist Ari dabei, um weiter Vorurteile abzubauen und dem Judentum ein „Gesicht“ zu geben.
Jüdisch zu sein fällt in der Gesellschaft auf
Jüdisch zu sein, ist doch ein Thema in unserer Gesellschaft. Aber Ari geht damit entspannt um und sagt: „Viele reagieren interessiert und sind neugierig.“ Auch wenn er sein Jüdischsein nicht zur Schau trägt, so fällt es den Menschen eben auf, dass er kein Schweinefleisch und keine Gummibärchen isst. „Viele denken dann, ich sei Moslem. Dies zeigt, dass das Judentum nicht so präsent ist, wie ich es mir wünsche“.