Hamburg. Ein neues Architekturheft beschreibt den Deichtorplatz und seine Bauten. Für den Umbau gab es immer wieder spektakuläre Pläne.
So ziemlich alle Hamburgerinnen und Hamburger kennen die denkmalgeschützten Deichtorhallen, die schon lange ein wichtiger Kulturmagnet in der Stadt sind – jedenfalls vor Corona. Von Autoschneisen umtost, liegen sie heute zwischen Hauptbahnhof, Bahngleisen und dem Rand der HafenCity etwas geduckt als Inseln der Ruhe im Großstadtgetümmel. Dass hier einst über viele Jahrzehnte der wichtigste Markt Hamburgs lag und die Hallen eine bedeutende Funktion hatten, ist nur noch wenig bekannt.
Ein neues Bauheft (Nr. 34), geschrieben von Holmer Stahncke, liefert dazu jetzt viele verblüffende Informationen und faszinierende Fotos. Die Arbeiten an der Marktfläche begannen 1902 und dauerten alles in allem rund zehn Jahre. Von 1911 an wurden Nord- und Südhalle auf dem Deichtorplatz gebaut. Zuvor mussten Keller und Kasematten angelegt werden, was sich in dem „schwimmenden Baugrund“ als höchst kompliziert erwies. Im November 1910 stürzte eine der beiden Kasematten auf ganzer Länge ein und riss mehrere Bauschuppen mit in die Tiefe. In letzter Sekunde konnten sich die 14 beteiligten Arbeiter retten.
1914 Eröffnung der Blumenmarkthalle
Nach der Fertigstellung war die Nachfrage so groß, dass die Nordhalle bereits 1913 um weit mehr als die Hälfte erweitert wurde. Im Jahr 1914 wurde dann, als dritte, am Klostertor die Blumenmarkthalle mit dem markanten Uhrturm eröffnet, die heute direkt neben der Ausfahrt des Wallringtunnels steht.
Der neue Markt war aus dem Stand heraus ein großer Erfolg – ein zu großer. Denn von Anfang an löste er nicht nur Begeisterung, sondern auch ein regelmäßiges Chaos aus, das an ähnliche Veranstaltungen in heutiger Zeit erinnert. An den Markttagen brach seit der ersten offiziellen Marktwoche 1911 in der gesamten Gegend regelmäßig der Verkehr zusammen – inklusive langer Staus und massiver Beschwerden aus der Bevölkerung.
Kleiner Markteingang zwischen heutigem Meßberghof und Wandrahmsteg
Der Bereich zwischen dem heutigen Meßberghof und dem Wandrahmsteg war als Markteingang ein Nadelöhr, in dessen Umfeld Fuhrwerke und Karren lange Staus bildeten. Manche reichten bis zur Lombardsbrücke zurück, sodass auf dieser Achse über Stunden fast nichts mehr ging. Rund 4000 Fuhrwerke verstopften die Straßen, teilte die „Hamburger Fruchthandels-Zeitung“ ihren Lesern 1921 mit, und an der Nordseite des Marktes habe sich regelmäßig eine regelrechte „Wagenburg“ gebildet.
Alte Fotos zeigen, dass sich die Marktstände und -karren vom Meßberghof auf einer riesigen Fläche bis zu den Bahngleisen dicht an dicht drängten. „Die Straßenbahn Rothenburgsort–Eppendorf brauchte im Schritttempo eine Viertelstunde von einem Marktende zum anderen“, schreibt Stahncke. Anfang der 1920er-Jahre musste sie deshalb an den drei Haupt-Markttagen, Montag, Mittwoch und Freitag, nachmittags umgeleitet werden.
Frühe Pläne für Umgestaltung des Marktes
Kein Wunder, dass es schon früh Bestrebungen gab, den Markt umzugestalten – auf welche Weise auch immer. In dem neuen Bauheft sind einige der damals entwickelten spektakulären Entwürfe zu sehen – unter anderem ein gemeinsamer der Architekturbüros Fritz Höger sowie Hans und Oskar Gerson von 1931. Danach sollten die Fahrzeuge der Marktleute ebenerdig auf einer Art überdachtem Parkplatz abgestellt werden, während die eigentliche Marktfläche eine Etage höher lag und über Treppen und Fahrstühle zu erreichen war.
Alle Pläne verliefen im Sande – zum Glück für die alten Hallen. Es ist eine makabre Tatsache, dass die massiven Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs der Stadtentwicklung auch im Umfeld des Deichtormarkts neue Dynamik gegeben haben. Mit dem Bau der damaligen Ost-West-Straße entwickelte sich die Gegend endgültig zum Verkehrsknotenpunkt, und die Blumenmarkthalle wurde völlig von ihren „Schwestern“ abgeschnitten.
Kurt A. Körber stellte Finanzierungskonzept für Hallen auf
Es war dann bekanntlich der Mäzen Kurt A. Körber, der die Hallen über ein komplexes Finanzierungskonzept für die Nachwelt rettete. Wie bei derartigen Projekten üblich, blieb auch Körber nicht von massiven Vorhaltungen von allen möglichen Experten verschont. Wie diese kritische Diskussion damals aussah, macht Autor Stahncke im Bauheft ebenfalls deutlich.
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Wer, wann auch immer, die Anlage künftig einmal wieder besucht, sollte bei der Gelegenheit die architektonische Finesse und besondere ästhetische Ausstrahlung der Hallen auf sich wirken lassen. Das neue Bauheft liefert viel Wissenswertes über die drei Gebäude, deren Inhalt logischerweise meist mehr Interesse weckt als ihr Äußeres. Ein Beispiel von vielen: Nord- und Südhalle wurden einst komplett als Eisenträger-Konstruktionen gebaut. Die vorgesetzten Backsteine haben gar keine tragende Funktion, sollten aber von Anfang an den Eindruck eines Steinbaus erwecken.
„Die Markthallen am Deichtorplatz. Vom Agrarhandel zum Kunstbetrieb“ (Hamburger Bauheft 34) von Holmer Stahncke ist im Schaff Verlag erschienen. Es hat 70 Seiten, viele Fotos und Pläne und kostet 9 Euro.