Hamburg. Der 47-jährige Hanseat leitet als Geschäftsführer den Museumshafen Oevelgönne. Und hat dort noch einige Pläne. Ein Porträt.

Die Höflichen klopfen an. Forschere Besucher stoßen kurzerhand die Tür auf: „Gibt’s auch Matjesbrötchen?“ Andere erkundigen sich nach den Klos, nach dem Baujahr einzelner Schiffe oder nach Abfahrtzeiten der Fährlinie 62 steuerbords auf dem Anleger. So ist es eben, wenn das winzige Kontor mittenmang ist – und sich neben einem Imbiss befindet. Typisch Oevelgönne. Steuermann des Museumshafens ist Björn Nicolaisen.

Aus wirklich nahe liegenden Gründen schlägt der ­Geschäftsführer des Vereins vor, das ­Gespräch in die Mannschaftsmesse des Schwimmkrans nebenan zu verlagern. Nicolaisen lockt mit Ruhe, frischen Franzbrötchen und einem Pott Kaffee. Es gibt eine Menge Spannendes und Neues zu berichten. Als Chef des von der Stadt gepachteten Hafenareals am Altonaer Elbufer darf der 47-jährige Hanseat Absperrungen ignorieren, Ketten abnehmen und den Weg an Bord des 40 Meter hohen Hafengiganten frei machen. Anno 1928 auf der Deutschen Werft gebaut, war der Schwimmkran „Karl Friedrich Steen“ bis 1986 tagtäglich mit schweren Lasten zugange. Mit vereinten Kräften haben es die 600 Mitglieder des Vereins Museumshafen Oevelgönne geschafft, das maritime Denkmal zu restaurieren. Heute steht man staunend davor.

Überragender Blick über den Museumshafen Oevelgönne

Zutritt gibt’s aus besonderem Anlass. So wie an diesem Wahlwochenende, wenn die Tage der Industriekultur am Wasser zelebriert werden. Dann wird noch mehr los sein als sonst schon. Täglich nutzen rund 3500 Passagiere die Fähre zwischen Landungsbrücken und Finkenwerder. Profis schätzen, dass die Pontons mit den maritimen Kostbarkeiten pro Jahr im Schnitt von einer Million Menschen frequentiert werden. Zu gucken gibt es reichlich. Und kostenlos. Bevor Björn Nicolaisen in die Messe unter Deck geht, klettern wir über Eisentreppen auf das obere Brückendeck.

An einem gewaltigen, mannshohen Steuerrad dirigierte früher der Schiffsführer den selbstständig fahrenden Kran an den Einsatzort im Freihafen. In der Kanzel darüber sorgte ein Kranführer dafür, dass Ladung präzise geladen oder gelöscht wurde. Aus dem verglasten Ruderstand ergibt sich ein überragender Blick über den Museumshafen. Mehr Hamburg geht nicht. Wer die Anlage von Land entert, passiert den Leuchtturm „Pagensand Süd“. Das elf Meter hohe Schifffahrtszeichen wies früher am Haseldorfer Elbufer den Weg. Hätte man sich nicht um das urige Wahrzeichen gekümmert, wäre es schrottreif gewesen. Es ist ein passendes Beispiel für einen Verein mit 200 aktiven Ehrenamtlichen, in dem ausschließlich Björn Nicolaisen hauptberuflich wirkt.

Björn Nicolaisen lenkt alle Aktivitäten

Er lenkt die Aktivitäten, um in historischer Umgebung maritime Vergangenheit am Leben zu erhalten. Wer möchte, kann die Historie an Bord eines der Traditionsschiffe erleben. Es handelt sich um eine Erfahrung – im wahrsten Sinn des Wortes. Der jeweilige Obolus fließt in die Vereinskasse. Jährlich müssen 400.000 Euro an Beiträgen, Spenden und Fahrteinnahmen aufgebracht werden, um den Betrieb des Museumshafens zu gewährleisten. Restaurierungen und Reparaturen gehen extra. Während der Corona-Krise half staatliche Unterstützung, um nicht zu kentern und auf Grund zu sinken. Björn Nicolaisen deutet auf die mehr als 90 Jahre alte Polizeidampfbarkasse „Otto Lauffer“ vis-à-vis. Das Boot ist ein wunderbarer, nostalgischer Blickfang. Bund, Stadt und Verein war es eine Million Euro wert, das Schmuckstück aus Holz und Stahl aufzumöbeln. Ähnlich groß ist der Aufwand, das 1888 in Dienst gestellte Feuerschiff „Elbe 3“ in Form zu bringen. Aktueller Standort ist die Peters-Werft in Wewelsfleth. Ebenso wie der Hochseekutter „Präsident Freiherr von Maltzahn“, der Dampfschlepper „Tiger“ oder die Dampfpinasse „Mathilda“ befindet sich das Feuerschiff im Vereinsbesitz. Weitere 20 Liegeplätze des Museumshafens sind von historischen Schiffen belegt, die anderen Vereinen oder Privatpersonen gehören. Beispiele sind der Dampfeisbrecher „Stettin“ sowie die alte Hafenfähre „Bergedorf“.

Dort werden deftige Gerichte, Butterkuchen, Kaffee und Bier serviert. Gäste aus nah und fern können sich an den 30 Schiffen, Kränen, der Wartehalle „Döns“ und dem Leuchtturm ergötzen. Nicolaisen lebt seinen Beruf, das wird rasch klar. Begeistert erläutert er Besonderheiten und Reize der schwimmenden Denkmäler. Denn genau darum handelt es sich. Dem vor 45 Jahren gegründeten Oevelgönner Verein ist es zu verdanken, dass die restaurierten Berufsschiffe in die Hamburger Liste der beweglichen Denkmäler aufgenommen wurden. Somit stehen die schwimmenden Erinnerungsstücke unter besonderem Schutz. „Dieser Status ist der Schlüssel zu Fördergeldern“, sagt ­Nicolaisen beim Rückzug unter Deck. Messe und Kombüse präsentieren sich in mustergültigem Zustand.

Ausflug in vergangene Jahrzehnte

Es fällt leicht, sich in vergangene Jahrzehnte hineinzuversetzen. Damals leistete der Schwimmkran „Karl Friedrich Steen“ wertvolle Dienste. Er trug zur Blüte des Freihafens bei. Der Großvater war ein Hafenschipper Björn Nicolaisen fühlt sich an Bord und auf dem Wasser wie zu Hause: „Unsere Familie lebt seit einem Jahrhundert von und mit dem Hafen.“ Vater Helmut hatte als Zollbeamter mit dem Freihafen zu tun. Auch Großvater Arnold war als Hafenschipper auf der Elbe in seinem Element – an Bord des Schleppers „Claus D“. Das 110 Jahre alte Denkmal gehört heute zu den ­Oevelgönner Schätzen. Vor dem Zweiten Weltkrieg arbeitete ein St. Paulianer namens Kalli Albers als Decksmann auf diesem Schlepper, bei Björns Großvater Arnold. Als dem Jungen Björn Mitte der 1980er-Jahre Fotos davon gezeigt wurden, wurde eine Leidenschaft entfacht: „Von dem Moment an wollte ich mitmachen.“

Als Zehnjähriger trat er in den Museumshafen-Verein ein. Am vergangenen Donnerstag war das auf den Tag 37 Jahre her. Mit 15 betreute der Gymnasiast aus Groß Flottbek im Auftrag des Museums für Hamburgische Geschichte ein historisches Zollboot, die „Präsident Schäfer“. Ehrenamtlich, in der Freizeit. Aus jugendlicher Begeisterung wurde mehr. Viel mehr. Als 19-Jähriger erwarb der schiffsbegeisterte Hanseat „sein“ Zollboot kurzerhand. Heute zählt die „Präsident Schäfer“ zu den Attraktionen des Museumshafens. Den Kaufpreis von 16.000 D-Mark hatte sich der Abiturient während des Zivildienstes an einer Schule für körperbehinderte Menschen in Othmarschen erspart. Da er im Elternhaus nichts zu bezahlen brauchte, nährte er sein Konto. Mutter Rosemarie arbeitete seinerzeit als Rezeptentwicklerin bei einer Zeitschrift für Essen und Genuss. An der Seite einer professionellen Betreuerin lebt die heute 82-Jährige unverändert im Haus von früher.

Ein Mann mit sozialem Herz

Dass sich ihr Sohn Björn intensiv um seine an Demenz erkrankte Mutter kümmert, ist für ihn selbstverständlich – und keine Ausnahme. Er selbst hält sich bescheiden zurück, doch wird auf Nachfrage deutlich: Der Mann hat ein soziales Herz. Und zwar in ausgeprägter Form. „Ich bin Beziehungsarbeiter“, sagt Nicolaisen selbst. Vor seinem Diplom als Sozialpädagoge an der Universität in Lüneburg engagierte er sich in der Aids-Hilfe. Zudem betreute er ein gehandicaptes Kind. Später begleitete er seine Tante bis ans Lebensende. Mitmenschen die Hand zu reichen ist für Nicolaisen eine Frage der Ehre: „Ich habe erfahren, wie begrenzt und endlich das Leben ist.“ Grund genug, sich inbrünstig mit Dingen zu beschäftigen, die Sinn bringen – und Spaß machen. Im April 2008 ging er als hauptamtlicher Geschäftsführer des Museumshafens Oevelgönne an Bord. „Ich habe ein Hobby verloren“, befindet er, „aber einen großartigen Beruf gewonnen.“ Seitdem setzt er Zeichen. Im Team mit den Aktivisten des Vereins initiierte Nicolaisen Restaurierungsmaßnahmen, die sich sehen lassen können.

Er ist nicht nur Organisationschef und Öffentlichkeitsarbeiter, sondern auch Beschaffer öffentlicher Gelder und Spenden. Zum Job als Tausendsassa zählt es, Sponsoren zu finden und Werbepakete zu schnüren. Aktuelles Großprojekt neben der Schönheitskur für das Feuerschiff „Elbe 3“ ist der Bau eines Informationszentrums. Dieser „Lieger“, ein auf einem Ponton schwimmendes Haus mit einer Fläche von 300 Quadratmetern, soll im kommenden Jahr gebaut und eingerichtet werden. Das Privatleben passt ins maritime Bild eines Machers, Bewahrers und passionierten Seebären. In der dunkleren Jahreszeit wird die geerbte Wohnung auf Sylt zu Nicolaisens zweiter Heimat. Das 25 Quadratmeter umfassende Refugium in den Lister Dünen ist wie geschaffen, um Ruhe zu haben und Kraft zu tanken.

Björn Nicolaisen liebt die lustvolle Entschleunigung

Im Sommer bleibt er seiner Leidenschaft treu. Gemeinsam mit seinem Mann Detlef, einem selbstständigen Tischler aus Niedersachsen, ist Nicolaisen an Bord der „Arvon“ auf der Elbe, der Oste sowie an Nord- und Ostsee auf Tour. Das 10 Meter lange Schiff ist die älteste klassische Yacht unter deutscher Flagge. Dieser 1884 in England gebaute Fünf-Tonnen-Rennkutter bietet ideale Bedingungen zur lustvollen Entschleunigung.