Hamburg. Er war einst der jüngste Ballett-Direktor Deutschlands und ist jetzt der dienstälteste Ballett-Chef der Welt: John Neumeier. In der kommenden Saison nimmt der 83-jährige Amerikaner Abschied. Aber er geht nicht so ganz.
Eine Ära geht im kommenden Jahr zu Ende: Nach 50 Jahren verabschiedet sich Ballett-Chef John Neumeier von seinem Hamburg Ballett. Das soll mit einem vierwöchigen Ballett-Festival, einer Open-Air-Aufführung auf dem Rathausmarkt und mit seiner "Matthäus-Passion" im Hamburger Michel gefeiert werden. "Als ich vor knapp 50 Jahren nach Hamburg kam, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich in dieser Stadt die längste Zeit meines Lebens verbringen würde", sagte der 83-Jährige am Montag in Hamburg bei der Vorstellung des Jubiläumsprogramm. Was ihn stets neu überzeugt habe zu bleiben: das Gefühl, dass etwas beständig wächst - gewachsen ist.
Bei den 48. Hamburger Ballett-Tagen vom 11. Juni bis zum 9. Juli 2023 werden die wichtigsten Werke von John Neumeier zu sehen sein, darunter "Ein Sommernachtstraum", "Nijinsky", sowie ein neues Ballett "Dona Nobis Pacem" (Gib uns Frieden) mit Musik von Johann Sebastian Bach, das am 4. Dezember Premiere feiert. "Angesichts der um sich greifenden Unversöhnlichkeit in unserer Welt bot dieser Gedanke eine wichtige Anregung, mich mit Johann Sebastian Bachs vielschichtiger Komposition zu befassen", sagte Neumeier, der das Stück schon vor dem Krieg in der Ukraine ausgesucht hatte.
Außerdem werden einige der wichtigsten seiner Ballette wieder aufgenommen, darunter die "Dritte Sinfonie von Gustav Mahler" (18.9.), "Préludes CV" (27.10.), "Illusionen - wie Schwanensee" (11.2.) und "Romeo und Julia" (11.6.) "Als ich 1975 die "Dritte Sinfonie von Gustav Mahler" choreographierte, war das revolutionär", sagte der Ballett-Chef. Damals hätten viele gefragt, ob man dazu überhaupt ein Ballett kreieren könne. "Mittlerweile sind wir mit diesem Ballett um die Welt gegangen, haben 186 Vorstellungen in 47 Städten gezeigt", sagte Neumeier.
Die neue Saison führt das Hamburg Ballett auch wieder auf Gastspielreise ins In- und Ausland. Erste Station ist im Oktober diesen Jahres das Herbstgastspiel im Festspielhaus Baden-Baden. Im Januar 2023 ist das Hamburg Ballett in Venedig zu Gast und präsentiert "Die Kameliendame". Die Wintertournee führt die Ballettcompagnie im Februar zunächst nach Chicago, wo sie mit mehreren Aufführungen von "Die Glasmenagerie" gastiert. Im Anschluss daran fliegt das Hamburg Ballett Anfang März weiter, einmal um den Globus nach Tokio.
Eingeladen zu den Ballett-Tagen wurden auch drei Gastcompagnien, die eng mit dem Wirken John Neumeiers verbunden sind: das Royal Danish Ballet mit "Othello", das Stuttgarter Ballett mit "Die Kameliendame" und das Ballett des Bolschoi-Theaters mit "Anna Karenina". Ob es zu diesem Gastspiel kommt, ist jedoch ungewiss. Grund dafür sind Medienberichte, wonach der russische Präsident Wladimir Putin Waleri Gergijew angeboten hat, das Bolschoi-Theater zu übernehmen. Die Stadt München hatte Gergijew, der als Freund Putins gilt, als Chef der Münchner Philharmoniker entlassen.
"Solange Wladimir Urin Direktor des Bolschoi-Theaters bleibt, würde ich versuchen, das Bolschoi-Ballett hierher zu bringen. In dem Moment, wo Waleri Gergijew Direktor des Bolschoi-Theaters ist, ich glaube, dass es dann nicht richtig wäre", sagte Neumeier.
1973 hatte der damalige Staatsopern-Intendant August Everding den gebürtigen Amerikaner nach Hamburg geholt. 1978 gründete Neumeier die Ballettschule des Hamburg Balletts, die im Herbst 1989 zusammen mit der Compagnie in ein von der Stadt Hamburg eingerichtetes Ballettzentrum zog.
Wer Neumeiers Nachfolge beim Hamburg Ballett antreten wird, steht noch nicht fest. "Ich werde das machen, wonach ich mich manchmal gesehnt habe: dass ich ein freischaffender Künstler werde", sagte Neumeier, der auch Hamburger Ehrenbürger ist. Die ersten beiden Jahre seien bereits voll mit Aufträgen. Er werde außerdem Intendant des Bundesjugendballetts bleiben, das ihm besonders am Herzen liege. Wer sein Nachfolger beim Hamburg Ballett wird, darüber entscheide die Hamburger Kulturbehörde mit Hilfe einer Findungskommission.
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