Hamburg. Kapitän Gustav Schröder irrte mit Flüchtlingsboot 1939 auf dem Ozean herum. Wo seine Seekiste mit Erinnerungen bald ausgestellt wird.
Das Maritime Museum in der HafenCity wird um eine spannende Hamburgensie reicher: Im März findet das Vermächtnis des Seefahrers Gustav Schröder Aufnahme in die Dauerausstellung der Institution an der Koreastraße. Sie erinnert an eine dramatische Geschichte und an einen Kapitän mit Charakter, der sich als „leiser Held“ einen Namen machte.
An Bord des Ozeanriesen „St. Louis“ steuerte Schröder unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mit 937 jüdischen Passagieren über den Atlantik – mit tragischem Ausgang. Nach seinem Tod 1959 im Alter von 73 Jahren wurde er vom Staat Israel offiziell in den Kreis der „Gerechten unter den Völkern“ aufgenommen. Heutzutage erinnern ein kleiner Park in Altona, eine Straße in Langenhorn sowie eine Ehrentafel an den Landungsbrücken an einen Kapitän und eine Seereise, die frösteln lässt. Viele der nur vorübergehend geretteten Passagiere wurden später von den Nationalsozialisten in Konzentrationslagern ermordet.
Ausstellung Hamburg: Vermächtnis noch in Othmarschen
Um der Entwicklung auf den Grund zu gehen, laden Karin und Jürgen Glaevecke in ihr Haus nach Othmarschen. In der 1893 errichteten Villa lebte früher Kapitän Gustav Schröder. In einem stilvoll restaurierten Zimmer im Dachgeschoss wird sein Vermächtnis aufbewahrt. Kernstück ist eine gut erhaltene, rund 120 Jahre alte Seekiste aus Kiefernholz. Sie birgt einen maritimen Schatz einmaliger Art. Zu den Erinnerungsstücken eines turbulenten Lebens gehören ein Grammofon, ein Globus, Schiffsmodelle, eine Bibliothek sowie ein Tropenhut aus Indien. Zwischen 1914 und 1920 war der deutsche Seemann von britischen Soldaten in Kolkata inhaftiert, dem ehemaligen Kalkutta.
Jürgen Glaevecke ist Schröders Großneffe. Früher hatte er sich nicht weiter um die mit hellbraunem Segeltuch ausgeschlagene und auf dem Deckel mit dem Namen des Kapitäns versehene Seekiste im obersten Stockwerk gekümmert. „Nicht die Schröder-Sachen kaputt spielen“, rieten die Eltern. Drei Fernsehfilme brachten Einsichten in eins der dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte. Der NDR sendete ein „Doku-Drama“ über die Irrfahrt der „St. Louis“. Im Wohnzimmer des Ehepaars Glaevecke hängen Bilder des imposanten Ozeandampfers mit den markanten Schornsteinen. Im Auftrag der Reederei Hapag verkehrten die „St. Louis“ und ihre Schwester „Milwaukee“ Anfang des vergangenen Jahrhunderts als Teil der Hamburg-Amerika Linie auf dem Atlantik.
Kiefernholzkiste brachte entscheidene Erkenntnisse
Zwar wusste Industriekaufmann Jürgen Glaevecke aus Erzählungen seiner Vorfahren von Werdegang und Verdiensten seines Großonkels Gustav Schröder, doch brachte erst die verblüffend stabil erhaltene Kiefernholzkiste detaillierte Erkenntnisse. Der Inhalt mit eng beschriebenen Manuskripten dokumentiert ein bewegendes Leben: vom Leichtmatrosen aus Nordschleswig zum Kapitän auf großer Fahrt. Zum nun ins Maritime Museum überstellten Erinnerungsschatz zählen Schröders Spange als Kap Hoornier sowie das zwei Jahre vor seinem Tod überreichte Bundesverdienstkreuz am Bande.
„Der historische Wert der Unterlagen ist enorm“, sagt Museums-Chef Peter Tamm jun. „Wir sind stolz auf die neuen Ausstellungsstücke.“ In Tamms Maximilian Verlag erschien 2019 ein Buch mit dem Titel „Kapitän Schröder und die Irrfahrt der St. Louis“. 160 Seiten sind mit Fotos, Schriftstücken und Reportagen packend gefüllt. Neben Schröders Großneffen Jürgen Glaevecke gehören Stefan Lipsky, Experte für Maritimes, und der Filmemacher Manfred Uhlig zum Autorentrio. Die einmalige Chronik ist Schröders Ordnungssinn zu verdanken. Die Stationen seiner Kapitänskarriere mit anschließendem Einsatz für die Deutsche Seewarte auf dem Stintfang ist präzise erhalten.
Jüdischen Passagieren drohte das Vernichtungslager
Beispiel ist ein mit „Heil Hitler!“ unterzeichneter Brief der Nautischen Abteilung der Hamburg-Amerika Linie vom 24. Januar 1939. Adresse: das Wohnhaus der Glaeveckes, in dem die Seekiste noch untergebracht ist. Wenige Monate vor Kriegsbeginn wurde die „St. Louis“ damit in Schröders Kommando übergeben.
Am 13. Mai 1939 legte der Hapag-Dampfer in Hamburg ab. Auf nach Kuba. Von dort wollten die 937 Passagiere, fast ausnahmslos Juden, in die USA weiterreisen. Im Deutschen Reich drohten Transporte in Vernichtungslager. Nachdem Kuba wider Erwarten mehr als 900 Menschen die Einreise verweigerte, bemühte sich Kapitän Schröder um Anlegeplätze in den Vereinigten Staaten und in Kanada. Trotz diplomatischer Unterstützung jüdischer Organisationen gab es kein Pardon. Die Reederei erteilte schließlich den Rückkehrbefehl.
„Mein Großonkel führte ein spannendes Leben“
Kapitän Schröder verhinderte das Anlegen in einem deutschen Hafen. Am 17. Juni 1939 gingen die Flüchtlinge in Antwerpen von Bord. Sie blieben in Belgien oder wurden nach Frankreich, Großbritannien und in die Niederlande aufgeteilt. Da drei dieser Länder später deutsche Besatzungsgebiete waren, wurde ein Teil der Passagiere doch deportiert und ermordet. Unfassbare Schicksale lassen einem noch Jahrzehnte später den Atem stocken.
Kapitän Gustav Schröder musterte bei der Reederei ab – aus freien Stücken. Lautlos. Details der Irrfahrt veröffentlichte er erst nach Kriegsende. Briefe an seinen Sohn Rolf unterschrieb er als „Papitän“. Dies und viel mehr haben der jetzt 69 Jahre alte Großneffe Jürgen Glaevecke und seine Ehefrau Karin den Akten in der Seekiste entnommen. „Mein Großonkel führte ein ereignisreiches, spannendes Leben“, weiß Glaevecke. „Das Drama auf der Kapitänsbrücke der „St. Louis“ hat er natürlich nicht vergessen können.“ Sein Leben lang.
Ausstellung Hamburg: Erinnerungen wandern ins Museum
Damit auch andere von den Vorfällen vor mehr als acht Jahrzehnten erfahren, entschloss sich die Familie zur Weitergabe des Erinnerungsschatzes an das Internationale Maritime Museum. Der Vertrag gilt mit Wirkung vom 15. März 2022. Dann erinnert nicht nur das Familiengrab auf dem Nienstedtener Friedhof an einen stillen Helden. Und an eine traurige Geschichte.
Sie begann, als Gustav Schröder vom Fernweh gepackt wurde und 1902 mit Zustimmung des Vaters das Gymnasium nach der Obersekundarreife verließ. Er heuerte auf dem Segelschulschiff „Großherzogin Elisabeth“ an. Mit dem Patent zum Leichtmatrosen fuhr er später mehrfach über alle Weltmeere. Zu den Schätzen seiner Seekiste gehört ein Foto von damals. Es zeigt den jungen Seemann Gustav Schröder an Bord des Dreimasters. Es ist ein Wunder, dass auch diese Aufnahme bestens erhalten blieb.