Hamburg. Spitzensportlerin und Therapeutin: Seit einem Behandlungsfehler sitzt Edina Müller im Rollstuhl. Doch nun hilft sie selbst anderen.

Edina Müller ist für viele ihrer Patientinnen und Patienten eine echte Mutmacherin. Sie sitzt selbst im Rollstuhl und kann sich in die Sorgen und Verzweiflung gut einfühlen, die viele überfällt, wenn sie sich nach einem Unfall wieder zurück ins Leben kämpfen müssen. Die Hamburgerin ist als Spitzensportlerin bekannt – sie hat im Rollstuhlbasketball viele Erfolge gefeiert und im vergangenen Jahr bei den Paralympics in Tokio Gold als Kanutin geholt. Was viele nicht wissen: Edina Müller arbeitet im Hauptberuf als Sporttherapeutin im BG Klinikum Hamburg, vielen besser bekannt als Unfallkrankenhaus Boberg. „Es ist faszinierend, was da jeden Tag geleistet wird, wie oft der Hubschrauber landet“, sagt sie.

Seit zehn Jahren arbeitet die 38-Jährige als Therapeutin mit Menschen, die Arbeitsunfälle hatten, kleinere und größere – vom amputierten Finger über Kreuzbandriss bis zur Querschnittlähmung. Edina Müller ist seit ihrem 16. Lebensjahr auf den Rollstuhl angewiesen, nachdem ihre Rückenprobleme falsch behandelt worden waren. Für sie sei damals die Sporttherapie das „Highlight des Tages“ gewesen und daraus ihr Berufswunsch geboren worden. „Ich habe meinen Traumjob gefunden“, sagt Müller. Ihr gefalle die Vielfältigkeit ihrer Aufgabe.

Hamburger Klinikhelden: Von einer Patientin zum starken Vorbild

Ihre Arbeit sei immer mehr als einfach nur Sporttherapie, sagt die vielfach preisgekrönte Sportlerin: „Ich kann den Patienten auf einer ganz eigenen Ebene begegnen, es ist authentisch, was ich mache, weil ich das selbst alles durchgemacht habe. Sie können mit ganz anderen Fragen zu mir kommen, beispielsweise: Wie kann ich mit meinen Kindern wieder im Garten spielen?“

Ihr Arbeitsplatz sei eine große Sport­halle mit unterschiedlichen Trainings­geräten. „Mein eigentliches Ziel ist, den Patienten wieder in das normale Arbeits- oder Alltagsleben zu integrieren.“ Das könne drei Wochen bis zu mehreren Monaten dauern, je nach Verletzungsbild. Neben unterschiedlichsten Kraftgeräten und Kraftmessgeräten gebe es beispielsweise eine Kletterwand in der Halle, wo Klettertherapie angeboten wird. Dass sie selber im Rollstuhl sitzt, beeinträchtige sie in ihrer Arbeit üblicherweise nicht, versichert Edina Müller. Und wenn sie eine Übung mal nicht selbst vormachen könne, dann könne sie einen ihrer etwa 15 Kollegen fragen, aber das komme fast nie vor.

Auch Gespräche großer Teil der Arbeit

Sie im Rollstuhl zu sehen setze bei manchen Patienten die eigenen Probleme in Relation. „Was einem passiert ist, ist für jeden schlimm, ob es die Amputation einer Fingerkuppe ist oder ein Kreuzbandriss, der auch dazu führen kann, dass man seine Arbeit nicht mehr machen kann.“ Aber es bewirke etwas bei den Patienten, wenn sie jemanden im ganz normalen Arbeitsleben erleben, der selbst im Rollstuhl sitzt und das alles schon erlebt hat.“

Edina Müller macht damit auf besondere Weise Mut. Die Gespräche mit den Patienten seien auch ein großer Teil ihrer Arbeit. Sie habe eine große sportliche Karriere hinter sich, aber wenn jemand noch mit Gedanken beschäftigt sei, wie er künftig seinen Alltag schafft, „dann kann ich nicht mit meinen Medaillen wedeln und sagen: ,Hey, guck mal, was du alles schaffen kannst.‘ Ich muss immer sensibel darauf reagieren, an welchem Punkt der Patient grade ist.“ Manche würde ihr Vorbild total motivieren, andere nicht.

Sporttreiben auf Langfristigkeit ausgelegt

Wie bringt man jemanden, der lieber auf dem Sofa sitzt, dazu, bei der Therapie mitzumachen? Wenn sie sähen, dass sie Fortschritte machten, sei das eine sehr gute Motivation, sagt Edina Müller. Auch für die Zeit danach sei es wichtig, unterschied­liche Sportangebote auszuprobieren, um dranzubleiben. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen vermitteln daher Kontakte zu Vereinen, um Patienten einen guten Einstieg zu ermöglichen.

Ihr selbst habe in jungen Jahren geholfen zu spüren, dass der eigene Körper trotzdem leistungsfähig sei – das habe ihr ihre eigene Sporttherapie gezeigt. „Ich habe immer schon gern Sport gemacht und wollte das weitermachen.“

Neben Hauptjob auch Spitzensportlerin

Seit ihrer Jugend, als sie selbst Patientin war, habe sich einiges getan in der Sporttherapie, der Blick habe sich geweitet, so gebe es beispielsweise Kajaktherapie. „Wir gucken dann auf das Gleichgewicht, aber für den Patienten ist es vielleicht einfach nur eine Stunde Spaß im Kajak.“

Ihr eigenes Arbeits- und Alltagspensum ist enorm. Neben ihrer Arbeit im Krankenhaus trainiert Edina Müller regelmäßig auf dem Wasser. „Ich habe das große Glück, dass mich mein Arbeitgeber für Training und Wettkämpfe freistellt“, sagt die Mutter eines drei Jahre alten Sohnes. Sie sei vormittags beim Training, nachmittags bei der Arbeit und am Abend noch einmal beim Training. Ihr Sohn sei im BG-Kindergarten und bei den Trainingseinheiten oft dabei. „Nur so konnten wir uns da ein System aufbauen, das funktioniert.“

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Und sie habe sich eine Portion Gelassenheit verordnet. Dann liege die Wäsche eben mal einen Tag länger rum – der Wäsche sei das egal, dann werde das eben am nächsten Tag gemacht.

Wenn die Sportkarriere eines Tages vorbei sein wird, werde sie nicht in ein Loch fallen, ist Edina Müller überzeugt. „Ich werde meinen Arbeitsalltag weiter haben, aber auch weiter selbst Sport machen.“ Vorstellen kann sie sich außerdem, sich in der Sportpolitik zu engagieren.