Reinbek/Hamburg. Nach 14 Monaten Pandemie sind die Menschen von den Corona-Maßnahmen genervt. Gesundheitsminister Spahn weiß das und warnt vor Ungeduld. Zugleich verbreitet er Signale der Zuversicht - bei Besuchen in einem neuen Impfstoffwerk und im größten Impfzentrum Deutschlands.
Vier Monate nach Beginn der Corona-Impfkampagne in Deutschland hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schnelle Lockerung der Freiheitseinschränkungen für vollständig immunisierte Menschen in Aussicht gestellt. Im Moment liefen dazu bereits Abstimmungen zwischen Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitag bei Besuchen in einem Impfstoffwerk in Reinbek und im Hamburger Impfzentrum. Die Verordnung könnte nach seiner Einschätzung schon in der kommenden Woche auf den Weg gebracht werden: "Wenn dann alle wollen und Kompromisse schnell möglich sind, kann das natürlich auch - die nächste Bundesratssitzung ist am 7. Mai - Ende nächster Woche abgeschlossen sein."
Der Minister sagte, dass es nicht länger möglich sei, vollständig geimpfte Menschen noch mit Freiheits-, Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen zu belegen. Das Tragen von Masken werde aber für eine Übergangszeit auch für vollständig Geimpfte Pflicht bleiben. "Diese Maske ist unheimlich nervig", bekannte Spahn. Aber von allen Beschränkungen sei das eine, mit der man noch eine Zeit lang umgehen könne.
Der Minister verwies auf das jetzt erreichte Impftempo in Deutschland. Für die Erstimpfung der ersten zehn Prozent der Bevölkerung habe man drei Monate gebraucht, für die zweiten zehn Prozent nur noch drei Wochen. Allein am Mittwoch seien eine Million Menschen geimpft worden. Im Hamburger Impfzentrum, nach Angaben von Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) und Spahn das größte in Deutschland, werden zurzeit täglich mehr als 8000 Impfungen verabreicht.
Noch im Mai werde jeder Dritte in Deutschland zumindest ein Mal geimpft sein, sagte Spahn, im Juni werde die Priorisierung der Impfgruppen aufgehoben werden können. Dennoch dürften die Eindämmungsmaßnahmen nicht zu schnell aufgehoben werden. "Wir alle sind es leid nach 14 Monaten Pandemie, ich bin es auch leid", räumte der Minister ein. Aber Israel und die USA hätten die Maßnahmen zu schnell gelockert und damit eine neue Infektionswelle ausgelöst. "Wir dürfen das nicht verstolpern", warnte Spahn. Die Rückmeldungen von Geimpften aus den Impfzentren überall in Deutschland seien super positiv. Er dankte den Mitarbeitern in Hamburg, dass die Zentren "Orte der Zuversicht und der guten Laune" geworden seien.
Der Minister lobte auch die Fortschritte Hamburgs im Kampf gegen die dritte Welle. Die Sieben-Tage-Inzidenz liege seit mehreren Tagen unter 100. Die Zahlen seien aber in Hamburg und Deutschland noch nicht die gewünschten. Doch es sei zu sehen, dass Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen und das Mitmachen der Bürger die Inzidenz runterbrächten.
Nach Angaben des Robert Koch-Instituts lag Hamburg am Freitag den dritten Tag in Folge unter einer Inzidenz von 100, nach Angaben der Gesundheitsbehörde aber jeweils noch darüber, am Freitag mit 102,8 allerdings nur knapp. Nach dem Bundesinfektionsschutzgesetz könnte die sogenannte Notbremse mit schärferen Kontakt- und nächtlichen Ausgangsbeschränkungen möglicherweise in der kommenden Woche aufgehoben werden. Der Senat hat jedoch mehrfach betont, dass er dabei die eigenen, höheren Inzidenzwerte zum Maßstab nimmt. So könnte es sein, dass in Hamburg die Notbremse weiter gilt, obwohl die RKI-Angaben eine Lockerung zuließen. Leonhard kündigte an, dass der Senat am Dienstag über das Thema beraten werde.
Zu den unterschiedlichen Inzidenzangaben sagte Spahn, es gehe darum, welche Meldungen in die Werte einfließen würden. "Am Ende entscheidend gilt auch der konkrete Trend und die Entwicklung, da gibt es ja keine Unterschiede." Ein Ping-Pong der Maßnahmen müsse verhindert werden.
Vor seinem Besuch im Hamburger Impfzentrum hatte der Minister zusammen mit Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und Landesgesundheitsminister Heiner Garg (FDP) ein Werk von Allergopharma in Reinbek (Kreis Stormarn) besucht. Das Pharmaunternehmen Biontech lässt dort seit Freitag einen wichtigen Schritt in der Produktion seines Impfstoffs vornehmen. Ohne den neuen Standort würde es nicht gelingen, die Impfkampagne wie geplant weiter zu beschleunigen, sagte Spahn. Von den 80 Millionen Impfdosen im zweiten Quartal kämen 50 Millionen von Biontech. "Da hat Reinbek seinen Anteil."
In Reinbek wird nicht der komplette Impfstoff hergestellt. Beim Unternehmen Allergopharma, das zur Dermapharm Holding mit Sitz im bayerischen Grünwald gehört, wird der dritte von vier Schritten der Produktion vorgenommen, wie Dermapharm-Chef Hans-Georg Feldmeier sagte. Zur Zahl der Impfdosen machte er keine Angaben.
Günther nannte den Produktionsstart in Reinbek wichtig nicht nur für Schleswig-Holstein und Deutschland, sondern auch für Europa. "Das ist ein großartiges Ereignis, das mich als Ministerpräsident auch stolz macht." Er sprach von einem wichtigen Signal, sich in der Impfstoffproduktion von anderen Ländern unabhängiger zu machen.
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