Bayreuth. Auf den unpolitischen Lohengrin folgt der hochpolitische Parsifal – zweiter Tag der Richard-Wagner- Festspiele in Bayreuth.

Was verbirgt sich unter dem Schleier,
dem Tschador? Diese Frage beschreibt eine ultimative
Männerphantasie. Regisseur Uwe Eric Laufenberg macht im Bayreuther „Parsifal“ die Probe aufs Exempel.

Klingsors Blumenmädchen
entblättern sich aus schwarzen Ganzkörperhüllen, um als bezaubernde
Jeannies den reinen Toren zu umgarnen. Doch von Erotik gibt es
dabei keine Spur. Denn Laufenberg inszeniert Wagners letzte Oper
als Pilgerfahrt verklemmter Bruderschaften, wobei Klingsor selbst
einmal zu oft mit den falschen Leuten nach Kevelaer gewallfahrtet
zu sein scheint.

Auch in der dritten Spielzeit bleibt diese
Parsifal-Inszenierung problematisch, allerdings lernt man den
bildstarken ersten Akt von Jahr zu Jahr mehr schätzen.

Parsifal im Nirgendwo des Nahen Ostens

Bei der
Premiere gab es auf dem Grünen Hügel Buhs und Bravorufe
gleichermaßen für die Regie, dazu viel Beifall für Dirigent Semyon
Bychkov und ein großartiges Ensemble. Mitten im umkämpften
Nirgendwo des Nahen Ostens betreibt eine Gruppe Mönche die letzte
christliche Kirche, versorgt Flüchtlinge und zelebriert
abscheuliche Rituale.

Die Brüder haben ein Geheimnis, sie hüten den
Gral, der das Leben verlängert, aber dem Gralskönig selbst beim
Offenbaren unfassbare Schmerzen bereitet. Anstatt nun das Mitleiden
als Kardinalstugend des Christentums zu pflegen, nähren sich die
Mönche von den Qualen des Amfortas, allen voran dessen Vater
Titurel.

Der Greis will nicht sterben, dafür nimmt er erbarmungslos
in Kauf, wenn der Sohn vor Leid wimmert. Erst ein reiner Tor, durch
Mitleid wissend, kann die Situation heilen.

Groissböck übernimmt Partie von Zeppenfeld

Gisbert Jäkel hat dazu
eine Bühnenarchitektur geschaffen, die orientalische Kuppelkirche
und Hamam gleichzeitig ist. Zwei Zeugen gibt es für die Geschichte.
Gurnemanz kann sich als einziger der Brüder auch der
nichtchristlichen Umgebung anpassen.

Günther Groissböck hat diese
Riesenpartie von Georg Zeppenfeld übernommen, und er singt sie mit
schwerem Bass, ein Mann, der viel gesehen und die Hoffnung trotzdem
noch nicht aufgegeben hat.

Auf der anderen Seite ist Kundry
Beobachterin, aber auch Opfer und Täterin in einem. Elena
Pankratova setzt eine überwältigende Bandbreite stimmlicher
Ausdrucksmöglichkeiten ein, um von Resignation bis Reue diese
spannendste aller Wagner-Heldinnen zu charakterisieren.

Schagers hoffnungshelle Lichter

Andreas
Schager ist ein Parsifal mit hoffnungshellen Lichtern im Tenor,
aber auch mit den dunklen Farben der Brutalität und des Zweifelns.

Derek Welton singt den Klingsor mit gefährlich-geschmeidigem
Bassbariton, der dunkle Bruder der Mönche, kein Abtrünniger wie im
Text, sondern ein Sektierer, der den Cocktail aus Schmerz und
Verlangen in schwülen Fanatismus verwandelt.

Der erlösende Regen
des Karfreitagszaubers befreit dann Männlein und Weiblein aller
Nationen von Beschränkungen und Hemmungen, und Vertreter aller
Weltreligionen geben ihre Glaubenssymbole auf, denn das Trennende
ist nicht mehr nötig, nachdem Parsifal Amfortas erlöst hat.

Damit
zeichnet Laufenberg eine schön naive Vision vom Frieden unter den
Glaubensgemeinschaften. Semyon Bychkov dirigiert das
Parsifal-Vorspiel ungewohnt eckig, ohne den großen Puls, den man
von anderen Interpretationen kennt. Dann allerdings betont Bychkov
den rauschhaften Fluss der Musik. Zu den überzeugendsten Ideen der
Inszenierung gehört, wie die Verwandlungsmusik vor der Gralsszene
des ersten Aktes zum kosmischen Schöpfungsklang wird.