Hamburg. Gabriele von Stritzky ist Islamwissenschaftlerin, Bezirkspolitikerin – und Teamleiterin in einem Flüchtlingsheim.

Es ist so einer dieser Momente, die eben nicht sprachlos machen. Ganz im Gegenteil. Wenn sich in der Flüchtlingsunterkunft Menschen in ihren Heimatsprachen unterhalten – und unerwartet auf offene Ohren stoßen. Gabriele von Stritzky hat sich an verblüffte Blicke und freudiges Erstaunen gewöhnt. Verständnis ist ein wertvolles Gut, im wahrsten Sinn des Wortes.

Die Islamwissenschaftlerin weiß aus der Erfahrung ihres eigenen, spannenden Lebens, wie bedeutungsvoll ein auf Empfang gestelltes Herz ist. Als Teamleiterin des städtischen Sozialunternehmens „fördern und wohnen“ ist sie in einem sechsstöckigen Hochhaus in Hamburg-Wandsbek für Flüchtlingsfamilien verantwortlich. Bis zu 688 Menschen mit rund 30 Nationalitäten leben dort. Ihre Botschaft kommt an: „Ich habe mich mit eurer Kultur beschäftigt.“

Mit drei Schwestern aufgewachsen

Dass die mit drei Schwestern südöstlich von Kiel in einem protestantischen Pastorenhaushalt aufgewachsene Norddeutsche es nicht immer einfach haben würde, spürte sie bereits in der Jugend. Nach heftigen Mobbingattacken musste sie die Schule wechseln. Schließlich folgte sie ihrer Leidenschaft, reiste mehrfach in die Nahen Osten, lernte Arabisch, machte einen guten Abschluss als Magister, entdeckte ihr Faible für fremde Kulturen. Es passt ins Bild, dass sie den Zusatzstudiengang Museums­management belegte.

Jetzt arbeitet die 37-Jährige als Leiterin einer Flüchtlingsunterkunft in Wandsbek – unter dem Strich ein Resultat ihres früheren, ehrenamtlichen Engagements. Während des Studiums gründete die junge Frau einen Verein, der sich um kulturellen Brückenbau, interreligiöse Verständigung und arabische Filmtage kümmerte. Aus dieser Idee erwuchs viel mehr.

Mitglied in der Bezirksversammlung Altona

Gabriele von Stritzky ist für die CDU Mitglied der Bezirksversammlung Altona und kümmert sich dort intensiv um Sozialpolitik. Das verwundert auf den ersten Blick ebenso wie andere Facetten eines unkonventionellen Werdegangs. Mal wieder höchste Zeit, Vorurteile über Bord zu kippen. Schon bei der ersten Tasse Kaffee zu Hause in einem Ottenser Altbau wird klar: Die Persönlichkeit dieser Frau ist vielfältig. Lebensgefährte Eric, ihr seit zweieinhalb Jahren verbunden, könnte das bestätigen. Doch hält er sich nach herzlicher Begrüßung diskret zurück und bricht zu einem zweistündigen Spaziergang durch die Altstadt Altonas auf. Die beiden jungen Katzen verschwinden im Nachbarzimmer. Jetzt herrscht Ruhe.

Wie fing alles an, Frau von Stritzky? Auf welchen Wegen führte die Entwicklung aus der Kleinstadt Preetz zur großen Flüchtlingsunterkunft im Osten Hamburgs? Statt einer raschen Antwort holt sie drei schwergewichtige Bücher aus dem Wohnzimmerschrank. Es ist die Familienchronik der von Stritzkys, verfasst von ihrer Urgroßmutter. Ursprünglich stammt die Sippe aus dem Baltikum. In Lettlands Hauptstadt Riga betrieb sie eine Bierbrauerei sowie eine Schnapsbrennerei. Wodka der Marke „Wolfschmidt“ durfte das Wappen des Zaren tragen. Vor drei Generationen wurden die Rechte daran in die USA verkauft. Das Produkt existiert unverändert. Einer Umsiedlung nach Lodz im heutigen Polen folgte Ende des Zweiten Weltkrieges die Flucht in den Westen, nach Hamburg. Freiraum für einen Neustart.

Eine eigenständige Meinung polarisiert

Nach der Universitätszeit in der Hansestadt nahm Axel von Stritzky Pastorate in Hamburg-Langenhorn sowie in Preetz im Kreis Plön an. Gemeinsam mit Ehefrau Juliane, einer Familientherapeutin, und vier Mädchen lebte die Familie inmitten des Ortes – neben einem Seniorenheim. „Gespräche über Religion und Politik waren an der Tagesordnung“, erinnert sich Gabriele an eine glückliche Kindheit und lebendige Jugend. „Zu Hause wurde viel diskutiert.“ Gebete und der bewusste Umgang mit hohen christlichen Feiertagen wie Ostern und Weihnachten waren Teil der Erziehung. Die Eltern lebten vor, was ein soziales Leben mit Wertschätzung und Nächstenliebe bedeutet.

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Allerdings erfuhr sie, dass eine eigenständige Meinung, Engagement und Parteinahme für Schwächere polarisieren und nicht überall willkommen sind. Von einer im Ort einflussreichen Clique sei sie an den Rand gedrängt und verhöhnt worden. Gabriele ging mit Bauchschmerzen zur Schule. Später wechselte sie auf ein Gymnasium in Kiel. Dass die alten Lehrer später um Entschuldigung für passives Verhalten baten, kam aus ihrer Sicht zu spät.

Meist allein unterwegs von Tunesien bis Palästina

Indes hatte der persönliche Sieg über bittere Erlebnisse Durchsetzungskraft und Eigenständigkeit gefördert. Außerdem steigerte Schauspielunterricht das Selbstbewusstsein. Dass Frau von Stritzky solche Tiefschläge heutzutage so freimütig schildert, beweist ihre Stärke. Mumm prägte ihren Werdegang. Im September 2008 reiste sie erstmals nach Nahost. In Damaskus belegte sie einen Sprachkurs, Unterkunft fand sie bei einer Familie in Bab Touma, dem alten Christenviertel der syrischen Hauptstadt. Das Interesse an der Kultur in dieser speziellen Region war früh entstanden. In ihrer Abiturprüfung ging es auch um den Nahostkonflikt.

Es folgten weitere Reisen nach Tunesien, Ägypten, Israel und Palästina. Meist war sie alleine oder mit einer Freundin unterwegs. 2010 reisten ihre Eltern mit: einen Monat ausschließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln quer durch Tunesien, Iso-Matten, Trinkflaschen und Wissbegierde inklusive. Eine frühe Lehre: Wer Arabisch spricht, versteht mehr. Von allem.

Verein „CULTUREconnection“ gegründet

Die Gastfreundschaft im anfangs­ fremden Kulturbereich begriff­ sie als Signal. Zurück in Hamburg, gründete Gabriele von Stritzky 2014 den gemeinnützigen Verein „CULTUREconnection“. Im Team wurden Lesungen, Diskussionsveranstaltungen, Arabische Filmtage und Fotoausstellungen organisiert. Deutsche und neue Mitbürger reichten sich die Hände. Dieser Einsatz brachte Sinn, Spaß und Erfolgserlebnisse.

Im Frühjahr 2015 schloss Gabriele von Stritzky ihr Studium der Islamwissenschaften erfolgreich ab. Thema ihrer Magisterarbeit: Straßenkunst und Graffiti in Tunis. Mit den Wurzeln eines protestantischen Elternhauses brachte sie nicht nur während der Studienzeit Gelerntes sinnvoll zur Geltung. Leidenschaft, Sachverstand, Initiativgeist und eine soziale Seele blieben anderen nicht verborgen. Weggefährten beschreiben die ebenso nachdenkliche wie anpackende Frau als offenherzig, grundsätzlich interessiert, unbefangen. Ein Mensch von der Stange war sie nie.

Konzepte für die Unterbringung von Flüchtlingen

Für die Hamburger Volkshochschule erarbeitete sie Konzepte für die Unterbringung von Flüchtlingen im Westen der Stadt. Letztlich fügte sich das weitere Geschehen fast logisch, allerdings überhaupt nicht geplant. Seit fünf Jahren arbeitet Gabriele von Stritzky für das Hamburger Unternehmen „fördern und wohnen“. Offizielle Berufsbezeichnung: Teamleitung einer „Wohnunterkunft für Geflüchtete“.

Der Job im früheren Bürohaus mit sechs Etagen umfasst alles Mögliche. Stichwörter sind Organisation, Unterstützung bei Berufs- oder Wohnfragen, Stadtteilarbeit, Wirtschaftlichkeit oder Hilfestellung beim Einleben im Gastgeberland. Hin und wieder kommen praktische Aufgaben eines Hausmeisters hinzu. Ohne Organisationstalent funktioniert gar nichts. Die Familien in der Unterkunft flohen aus bedrohten Gebieten fast überall auf der Welt, oft aus Afghanistan oder eben aus der arabischen Welt.

Positive Zwischenbilanz mit 37 Jahren

Randnotiz: Die Vermittlung von Wohnungen auf dem freien Markt läuft in Corona-Zeiten erfolgreicher und schneller. Möglicher Grund: Bei Einzelterminen purzeln Sprachbarrieren und Vorbehalte besser als bei Gruppenbesuchen. Wahrscheinlich kommen Bildung und Kultur der Flüchtlinge bei Besichtigungen Auge in Auge intensiver zur Geltung.

Zwar kann Gabriele von Stritzky mit 37 Jahren nur eine Zwischenbilanz ziehen, doch diese fällt positiv aus. Ihre Erkenntnis dem Sinn nach: Bisher fügte sich alles wie bei einem guten Puzzle, Meilenstein um Meilenstein. Ihre Praktika als Kommunikationsdesignerin, für die Initiative „Partnerfamilie“ des Akademikerbundes Hamburg, für das Heimatkundemuseum in Preetz und den Museumsdienst Hamburg brachten sie ebenso weiter wie Reisen, Sprachkurse oder Volkskunde als zweites Studienhauptfach. Das Ziel: die Augen zu öffnen.

„Mensch, hier sitzen ja hauptsächlich alte Männer“

2016 führte sie dieser unkonventionelle Lebensweg zur CDU. Sie wurde nicht von Bekannten geworben, sondern kam von sich aus. Aus ihrer Sicht stimmen die Grundwerte. Der Wille sich politisch zu betätigen, wurde durch ein gutbürgerliches Elternhaus, weltoffene Prinzipien und durch den Wunsch nach Mitwirkung innerhalb der Gesellschaft beflügelt.

Anfängliche Beobachtung bei der ersten Parteiversammlung: „Mensch, hier sitzen ja hauptsächlich alte Männer.“ Erkenntnis Nummer zwei: „Ich möchte mitmachen.“ Im April vergangenen Jahres kam sie als Nachrückerin in die Altonaer Bezirksversammlung. Aktuell betätigt sich Frau von Stritzky für die CDU-Fraktion als Sprecherin für Soziales sowie im Jugendhilfeausschuss. Im Kleinen könne sie eine Menge bewegen, hofft sie. Dass nicht jeder Christdemokrat ihr Engagement für Flüchtlinge aus der Welt des Islam begrüßt, beirre sie keinesfalls. Kampfgeist war ihre Stärke von jeher. Ein fester Glaube gehört dazu. Auch an den Geist friedlicher, geistvoller Völkerverständigung. Gabriele von Stritzky lebt und wirkt dafür.