Hamburg. Archäologische Ausgrabungen zeigen, wo das Zentrum der einst eigenständigen Stadt lag. Eine Ausstellung ist bereits in Planung.
Solche Gelegenheiten sind höchst selten und ein Fest für Forscher: Im Zuge der Vorbereitungen für das neue Trinitatis-Quartier an der Königstraße (wir berichteten) laufen in Altona noch bis Oktober aufwendige archäologische Untersuchungen. Das Besondere: Auf der Nordseite der Trinitatiskirche hatte einst das ursprüngliche Zentrum Altonas gelegen, bevor es im Zweiten Weltkrieg bei massiven Luftangriffen total zerstört wurde. Binnen weniger Monate ist es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Archäologiebüros ArchON gelungen, zwischen Kirchen- und Königstraße Fundamente und Keller mehrerer Straßenzüge freizulegen und zu untersuchen.
Beim Ortstermin am Donnerstag zeigte sich Archäologe und wissenschaftlicher Leiter Jan Bock von der Ausdehnung der auswertbaren Fläche und von der Qualität der zahlreichen Fundstücke begeistert. Mit ausladender Geste wies Bock über das Grabungsfeld: „Das sieht hier aus wie in Pompeji. Dass wir hier so viel finden würden, hatten wir niemals erwartet.“
Archäologische Grabungen geben Einblick in das Herz von Altona
Am Grabungsort hatten sich einst zwei kleine Straßen befunden, deren Bebauung noch bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts zurückreichte: Kibbelstraße und Kibbeltwiete. Nach der völligen Zerstörung waren die Trümmer um 1950 zugeschüttet und dann als Park angelegt worden – bis vor Kurzem.
Die Verläufe der alten Straßen lassen sich zurzeit genau erkennen, weil viele Kellermauern nicht nur dem Bombardement, sondern auch den dann folgenden jahrzehntelangen Tiefschlaf im Erdreich erstaunlich gut überstanden haben. Mehr noch: Anhand alter Adressbücher ließ sich rekonstruieren, welche Berufe in den kleinen Werkstätten vor Ort einst ausgeübt worden waren, und im Idealfall passten die Fundstücke sogar dazu.
Nähmaschinen, alte Fliesen, Flaschen und Werkzeuge
Am Donnerstag waren sie auf diversen Tischen vor Ort ausgebreitet: Nähmaschinen und alte Fliesen, Flaschen, Werkzeuge. Verrostet und verbogen zwar, aber doch noch deutlich zu erkennen. Ein Kästchen mit alten Taschenuhren, eine kleine Muschelsammlung, ein Fläschchen „Natürliche Kraftbrühe“. Welche Geschichten, welche Schicksale mögen damit zusammenhängen? Und immer wieder das: geschmolzene und völlig verformte Gläser, ein einstmals hübscher Flakon, mutiert zu einem bunten, gläsernen Klumpen, ein verbogenes Bügeleisen, versengte Türgriffe und schwarz gebranntes Werkzeug.
Betretenes Schweigen, als der technische Ausgrabungsleiter Thorsten Schwarz ein großflächiges Objekt erläuterte, das wie ein abstraktes Kunstwerk aussieht: Glas und Keramik sind hier für immer fest miteinander verschmolzen. „An dieser Stelle müssen während der Feuer nach der Bombardierung Tausende Grad geherrscht haben“, so Schwarz ernst.
Beim Rundgang wurde nicht nur über den Verlust der traditionsreichen Häuser gesprochen, sondern auch immer wieder über das Schicksal der Menschen, die hier während des Krieges ausharren mussten. So lasse sich anhand der Grabungsergebnisse nach Angaben von Thorsten Schwarz erkennen, dass sich das Leben der Bewohner während des Krieges immer stärker in die Keller verlagert habe. Das sei unter anderem an improvisierten Kochstellen und sukzessive eingebauten kleinen Zimmern zu erkennen.
„Wir haben hier manches Mal gestanden und gesagt: ,Oh Mann, was haben die da unten bloß ausgehalten.‘“, so Schwarz. Überraschend emotional verlief die Besichtigung, als es um das wohl spektakulärste Fundstück ging: ein schönes, gut erhaltenes Sandsteinrelief mit dem Altonaer Stadtwappen, das sich einst offenbar über dem Eingang eines öffentlichen Gebäudes befunden hatte. Welches es genau war, wird zurzeit erforscht. Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg (Grüne) berührte das Wappen und improvisierte eine Rede über die Bedeutung des offenen Stadttors. Wohl angesichts der starken Eindrücke, die von dem Grabungsareal ausgehen, brach sie ihre Rede dann aber ab und sagte nur knapp: „Das alles bewegt mich sehr.“
Auch interessant
Propst Karl-Heinrich Melzer vom Ev.-Luth. Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein zeigte sich angetan: „Der ehemalige Friedhof und die Keller des ,alten‘ Altona erzählen von einer kleinteilig-ortsgebundenen Sozialstruktur“, so Melzer. „Wir hoffen, dass wir mit einer behutsamen Bebauung den historischen Bezügen gerecht werden.“
Prof. Rainer-Maria Weiss, Landesarchäologe und Direktor des Archäologischen Museums Hamburg, unter dessen Federführung die Ausgrabungen laufen, blickte voraus: Die Archäologen hofften auf weitere aussagekräftige Funde, sagte Weiss – und wörtlich: „Es geht nicht nur um die Rekonstruktion der Vergangenheit, sondern auch darum den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt ihr archäologisches Erbe ins Bewusstsein zu bringen und sie für einen sorgsamen Umgang mit diesem Erbe zu sensibilisieren.“
Weiss kündigte an, dass alle Fundstücke genau archiviert würden. Langfristig ist dazu eine Ausstellung geplant, die laut Stefanie von Berg möglicherweise auch im Altonaer Museum gezeigt werden könnte. Vor Ort waren sich alle darüber einig, die Öffentlichkeit so bald wie möglich an den Grabungsschätzen teilhaben zu lassen.