Hamburg. Der Senat hat beschlossen, gegen die Volksinitiative „Rettet den Volksentscheid“ vor das Hamburgische Verfassungsgericht zu ziehen.
Mit der österlichen Ruhe und Besinnlichkeit war es im Rathaus am Dienstag schlagartig vorbei, als der rot-grüne Senat beschloss, gegen die Volksinitiative „Rettet den Volksentscheid“ vor das Hamburgische Verfassungsgericht zu ziehen. Jetzt muss das höchste Gericht klären, ob die Vorlage der Initiative, bei der es um eine Senkung der Zustimmungshürden bei Plebisziten sowie Erleichterungen und Stärkungen der direkten Demokratie insgesamt geht, gesetzeswidrig ist.
Die Anrufung des Gerichts durch den Senat wegen einer Volksinitiative ist eine Premiere und der vorläufige Höhepunkt einer zunehmenden Entfremdung: zwischen Senat und Bürgerschaft auf der einen Seite und auf der anderen dem Verein „Mehr Demokratie“ mit seinem Motor Manfred Brandt, Initiator und Vertrauensperson von „Rettet den Volksentscheid“. Es ist noch nicht so lange her, dass Brandt im Rathaus gefürchtet war, weil er die direkte Demokratie und weitreichende Änderungen im Wahlrecht in Hamburg mit seinem Verein maßgeblich durchgesetzt hat. Seitdem versuchten Politiker, aus ihrer Sicht Schlimmeres zu verhindern, indem sie mit Brandt und seiner Truppe Kompromisse schlossen.
Diese Zeiten sind vorbei. Das schreckt den ebenso kampferprobten wie stoischen Brandt nicht ab, aber er steckt aus einem anderen Grund in einer Zwickmühle. Die Volksinitiative „Rettet den Volksentscheid“ hatte sich in den zurückliegenden Wochen von den Verfassungsjuristen in der Senatskanzlei beraten lassen und dabei durchaus in einigen Punkten auf deren Votum gehört. So verzichteten die Initiatoren darauf, die Abschaffung der Dreiprozentklausel bei Bezirksversammlungswahlen zu fordern. Der Grund: Diese Wahlrechtsänderung hat mit dem Hauptgegenstand der Volksinitiative – der direkten Demokratie – nichts zu tun. Das könnte ein Verstoß gegen das Koppelungsverbot sein, das besagt, dass nicht zwei unterschiedliche Gegenstände in eine Initiative gepackt werden dürfen. Brandt gab auch sein Vorhaben auf, den Punkt „Haushaltspläne“ aus dem Verbotskatalog für Volksinitiativen zu nehmen. Hierin sahen die Senatsjuristen eine verfassungswidrige Einschränkung des Budgetrechts der Bürgerschaft.
Der Gang des Senats vor das Verfassungsgericht war vorgezeichnet
Nun sollte man angesichts der Korrekturen an dem Ursprungsentwurf meinen, dass es keine Probleme mehr mit der Verfassungsmäßigkeit gebe. Weit gefehlt. Je mehr sich Brandt und seine Mitstreiter auf Streichungen und Änderungen einließen, desto deutlicher wiesen die Juristen darauf hin, dass nun die „Grenze der zulässigen Überarbeitung“ überschritten sein könnte. Die Verfassung verbietet allzu starke Veränderungen einer Volksinitiative im Laufe des Verfahrens. Schließlich müssten die Erstunterzeichner der Initiative davon ausgehen können, dass der Inhalt des Verstoßes unverändert bleibt und ihre Stimme nicht „missbraucht“ für andere Zwecke wird. „Die Situation bei der Überarbeitung und der Beratung durch die Senatskanzlei war etwas unfreundlich“, sagt der Moorburger Brandt in milder Untertreibung. Man kann es auch so sagen: Die Volksinitiative hatte die Wahl zwischen Pest und Cholera. Der Gang vor das Verfassungsgericht war in jedem Fall vorgezeichnet.
Und die Landesregierung geht auf Nummer sicher: Sollte das Gericht die überarbeitete Version für verfassungswidrig erklären, könnte Brandt mit der ersten Variante weitermachen. Deswegen hat der Senat auch die Ursprungsversion in seine Klage einbezogen. Kurios: Es waren Brandt und „Mehr Demokratie“ selbst, die mit der Bürgerschaft einst vereinbarten, dass der Senat das Verfassungsgericht anrufen muss, wenn er Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Initiative hat.
Pikant ist auch, dass mit Justiz-Staatsrätin Katja Günther ausgerechnet eine Grüne Verfahrensbevollmächtigte des Senats ist. „Mehr Demokratie“ und die Grünen waren über viele Jahre quasi Bündnispartner, wenn es um den Ausbau der direkten Demokratie ging. Doch das Verhältnis ist seit 2015 auf Kühlschranktemperatur abgesunken. Damals polemisierte Brandt gegen die vor allem von den Grünen gewünschte Verfassungsänderung zur Einführung von Bürgerschaftsreferenden als Volksabstimmungen von oben. Brandt sah darin die Gefahr einer Aushebelung der Volksinitiativen von unten – der Anlass für „Rettet den Volksentscheid“.
Antragsteller des Senats beim Gang zum Verfassungsgericht ist Bürgermeister Olaf Scholz. Fragt man ihn nach dem Thema Volksentscheide, kann man von dem Sozialdemokraten Sätze wie diesen hören: „Ich bin ein Freund der direkten Demokratie.“ Dabei hat Scholz keine guten Erfahrungen mit Plebisziten gemacht. Beim Volksentscheid zum Rückkauf der Energienetze hatte er, wenn auch knapp, das Nachsehen. Und dann erst Olympia ...
Scholz geht davon aus, dass auch die Volksinitiative „Hamburg für gute Integration“, die sich gegen den Bau von Großunterkünften für Flüchtlinge richtet, verfassungswidrig ist. Grund: Die Forderung, nur Einrichtungen für maximal 300 Menschen im Abstand von 1000 Metern zuzulassen, bedeute eine indirekte Obergrenze. Das stehe aber im Widerspruch zum Bundesrecht, nach dem die Flüchtlinge nach festem Schlüssel auf die Länder verteilt werden und eine solche Obergrenze für ein Land nicht vorgesehen ist.
Sollten die Gespräche zwischen den Regierungsfraktionen von SPD und Grünen nicht zu einem Kompromiss mit der Volksinitiative führen, ist auch hier mit einem Gang des Senats zum Verfassungsgericht zu rechnen. Es hat den Anschein, dass Scholz die verfassungsmäßigen Grenzen der direkten Demokratie ausloten will.