Flensburg. Wegen der Ausbreitung der britischen Virusvariante müssen die Flensburger vorerst nachts zu Haus bleiben. Land und Stadt ziehen die Reißleine. Auch das Kontaktlimit wird weiter verschärft.
Erste Ausgangsbeschränkung in der Corona-Pandemie in Schleswig-Holstein: In Flensburg dürfen die Menschen ab Samstag mindestens eine Woche lang von 21.00 bis 5.00 Uhr ihre Häuser nur noch aus triftigem Grund verlassen. Arztbesuche und der Weg zur Arbeit und zurück bleiben erlaubt. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) gaben die Restriktion für die Stadt an der dänischen Grenze am Mittwoch bekannt, nachdem sich dort die britische Virus-Variante rasant ausgebreitet hatte.
Noch einmal verschärft wird die ohnehin strenge Kontaktbeschränkung: Nun darf sich in der Fördestadt ein Haushalt mit gar keiner weiteren Person mehr treffen. Ausnahmen gelten für Besuche im Krankenhaus sowie Paare mit getrennten Wohnsitzen und Kinder getrennt lebender Eltern. Bisher sind wie im ganzen Land Begegnungen mit einer Person erlaubt.
Beide Regelungen gelten zunächst für eine Woche, mit der Option einer Verlängerung um sieben Tage. In fast allen Regionen des Landes gingen die Infektionszahlen zurück, sagte Günther. "Wir haben aber eine Sonderlage in der Stadt Flensburg und dem Kreis Schleswig-Flensburg." Vor allem die Infektionszahlen in Flensburg gäben "Anlass zu großer Sorge". Die harten Maßnahmen seien unerlässlich, um die Lage im Griff zu halten. Die Reaktionen seien vollkommen angemessen. Die bisherigen Maßnahmen in Flensburg hätten nicht zum erhofften Ergebnis geführt.
Bei der Kontrolle der Ausgangsbeschränkungen unterstütze das Land die Stadt, sagte Günther. Stichprobenkontrollen von Privatwohnungen werde es aber weiterhin nicht geben. Spätestens wenn Flensburg wieder die Inzidenz 100 unterschreite, müssten die verschärften Maßnahmen nicht verlängert werden.
"Das sind massive freiheitseinschränkende Maßnahmen, die einer guten Begründung bedürfen und die unbedingt zeitlich eng begrenzt sein müssen", meinte Garg. Ihm zufolge spielen die südafrikanische und die brasilianische Variante im Norden so gut wie keine Rolle. Er betonte, auch gegen die britische Variante könne man sich bei Einhaltung der Regeln schützen. Dies zeige der Nachbar Dänemark.
Nach Gesprächen mit der Stadt und dem Kreis Schleswig-Flensburg wurde entschieden, dass die in Flensburg bereits verschärften Corona-Regeln ab Freitag auch im benachbarten Kreis gelten. Beispielsweise ist dann auch dort Einkaufen nur noch allein möglich. Außerdem gilt eine Maskenpflicht auf Spielplätzen.
Zudem sollen die Grundschulen in dem Kreis ab Montag nicht wieder in den Präsenzunterricht wechseln, wie das sonst in den meisten Teilen des Landes geschieht. In den Grundschulen und auch in den Kitas werde es "erstmal auf Sicht" nur Notbetreuung geben, sagte Günther.
Nach lange eher niedrigen Zahlen rangiert Flensburg mit nunmehr rund 185 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen auf Platz sieben der deutschen Kreise und kreisfreien Städte. Für den Kreis Schleswig-Flensburg sprach Günther von einer "steigenden Tendenz in Richtung 100". Aktuell betrage der Wert 85.
Auch bundesweit breitet sich die britische Virus-Variante schnell aus. Laut Robert Koch-Institut stieg ihr Anteil an den untersuchten positiven Proben binnen zwei Wochen von knapp 6 auf mehr als 22 Prozent, wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte. In Flensburg ist es bereits ein Drittel. Diese Mutante wurde dort erstmals am 15. Januar nachgewiesen. Am Mittwoch (Stand: 11.00 Uhr) betrug die Zahl der vordiagnostizierten Meldungen 283 Fälle.
Das Flensburger Corona-Geschehen ist nach Ansicht des Leiters der Landesmeldestelle, Helmut Fickenscher, ursprünglich vor allem auf Aktivitäten einer größeren Personalvermittlungsfirma zurückzuführen. "Diese haben mehrere größere Betriebe im Raum Flensburg und auch in Dänemark betroffen", sagte der Infektionsmediziner der Deutschen Presse-Agentur. "Und das hat sich in der Bevölkerung in Flensburg und in angrenzenden Gebieten des Kreises Schleswig-Flensburg fortgesetzt." Betroffen seien vor allem Menschen im Umfeld infizierter Beschäftigter dieser Firmen. Mittlerweile ist das Geschehen weit diffuser und die Virus-Variante in allen Stadtteilen aufgetaucht.
Noch am 16. Dezember meldete Flensburg 394 nachweislich Infizierte seit Beginn der Pandemie. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag bei 51. Zwei Monate später registrierte die Stadt 1360 nachweislich Infizierte. Die Sieben-Tage-Inzidenz hat sich mehr als verdreifacht und war zwischenzeitlich sogar noch höher. Die Virusvariante gilt als deutlich ansteckender als das Original.
Auch der Geschäftsführer des Flensburger St. Franziskus-Hospitals, das schwerpunktmäßig Corona-Patienten im Norden des Landes behandelt, ist in Sorge. Die Personalkapazitäten seien begrenzt, sagte Klaus Deitmaring. "Die Mutation wird uns ohne wirkungsvolle Maßnahmen in vier Wochen an unsere Versorgungskapazitätsgrenzen führen."
Um das Geschehen einzudämmen, hat Flensburg bereits vor Tagen die Regeln verschärft. So darf nur noch eine Person pro Haushalt einkaufen gehen. Auch die Besuchsregeln in Alten- und Pflegeheimen wurden verschärft; Schulen und Kindergärten öffnen zunächst nicht.
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