Hamburg. Der Architekt Mathias Hein hat das Fahrradparkhaus entworfen – aber auch Kirchen. Ein Gespräch über die Zukunft der Stadt.
Mathias Hein hat eines der Gebäude gebaut, über das in den vergangenen Wochen viel diskutiert worden ist: Er ist der Architekt des Fahrradparkhauses an der U-Bahn-Station Kellinghusenstraße, das kürzlich mit ganz großem Bahnhof eröffnet wurde. Hochbahn-Chef Henrik Falk lobte das Konzept überschwänglich: „Das Fahrrad kann hier abgestellt werden und dann geht es weiter mit dem ÖPNV, besser geht es in der Innenstadt nicht.“ Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) betonte die Strahlkraft des Projekts: „Man muss sich nur einmal vorstellen, hier wären 600 Autostellplätze. Dann wäre das Gebäude so groß und überdimensioniert.
Das würde ganz anders aussehen und es wäre eine ganz andere Stadt. Und es wäre sehr viel teurer geworden.“ Das stimmt zweifellos: Tatsächlich beträgt der Faktor 25 - das Parkhaus in Eppendorf hätte dann die Fläche von eineinhalb Fußballfeldern beansprucht. Aber so etwas baut heute niemand mehr: Die Sechzigerjahre haben Parkhäuser als Prestigebauten geschaffen. 50 Jahre später baut Hamburg Fahrradparkhäuser.
Der Architekt dahinter ist Mathias Hein: Er trat 1992 in die Sozietät des renommierten Hamburger Architekten Friedhelm Grundmann ein – das Büro zeichnete schon damals verantwortlich für viele Projekte der Verkehrsinfrastruktur, aber auch für Sakralbauten. Hein selbst spricht von einem Leuchtturmprojekt, das da in Eppendorf entstanden ist.
Alternativen zum eigenen Pkw attraktiver machen
„Das war eine überschaubare Bauaufgabe, die aber ganz viel in sich trägt: Es steht an einem städtebaulich interessanten Platz, der vorher eine matschige Wiese war. Durch das Fahrradparkhaus und die vorgelagerte Außenfläche haben wir einen öffentlichen Raum geschaffen.“ Architektonisch wachse es in Form und Materialität aus der Haltestelle Kellinghusenstraße heraus. „Ein neuer Anlaufpunkt“, sagt Hein.
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Allerdings einer mit Anlaufschwierigkeiten - in den vergangenen Tagen nutzten nur eine Handvoll Radler das neue Parkhaus. „In der Vergangenheit wurden bis zu 1000 Räder in der Umgebung abgestellt, weil hier zwei U-Bahn- und mehrere Buslinien zusammenkommen.“ Hein ist sich sicher, dass sich die Menschen zunehmend an das Abstellen ihres Fahrrades an einem sicheren und überdachten Ort gewöhnen werden. „Das braucht seine Zeit. Die Menschen ändern ihre Mobilität nicht sofort“, sagt der 60-Jährige. Für den Auftrag in Eppendorf hat er mehrere Referenzprojekte besucht. „Ich war beispielsweise in Utrecht: Dort gibt es ein Fahrradparkhaus für 22.000 Räder am Hauptbahnhof. Und das war selbst am Wochenende gut belegt.“
Hein rechnet damit, dass Utrecht Hamburg nur in der Zeit voraus ist. Die Städte werden sich verändern, wenn die Verkehrswende kommt. „Derzeit kommt auf zwei Hamburger ein Auto - in anderen Metropolen wie Singapur ist das Verhältnis hingegen 10 zu eins. Wir sind sehr üppig mit Autos ausgestattet.“ Bei über 800.000 Fahrzeugen - Tendenz steigend - erwachse daraus ein Problem. Die Fläche wird ja nicht größer. „Deshalb müssen wir Alternativen zum eigenen Pkw attraktiver machen: Carsharing, Moia, ÖPNV, Fahrrad“, sagt Hein. Sinke die Zahl der Autos, würden die Städte attraktiver: „Größer als das Problem des fließenden Verkehrs sind für mich die abgestellten Fahrzeuge.“
Umfassende Verkehrsberuhigungen und Einbahnstraßen
Studien zufolge beansprucht jedes parkende Auto rund 13 Quadratmeter öffentlicher Fläche. Das Umdenken habe aber längst eingesetzt. „Es ist gut, dass sich nun beispielsweise etwas auf dem Burchardplatz tut.“ Dieser zentrale Ort inmitten des Weltkulturerbes Kontorhausviertel soll endlich aufgewertet werden. „Aber auch kleine Straßen, wie etwa der Schrammsweg in Eppendorf sind mit parkenden Autos vollgestellt. Wollen wir das wirklich?“, fragt Hein. „Straßen sind gemeinschaftliche Aufenthaltsräume, nicht bloß Verkehrszubringer.“ Der Verzicht auf ein Auto müsse nicht nur als Verlust gesehen, sondern könne ein Gewinn werden. „Was könnten das für tolle Straßen sein, wenn die Autos weg sind?“
Quartiersgaragen hält er angesichts der technischen Herausforderungen kaum für eine Lösung. Klüger seien für die dicht besiedelten Innenstadtquartiere Abstellplätze am Rande der Stadt, die man dann rasch mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann. „Das klingt umständlich, muss es aber nicht sein: Am Ende geht es vielleicht sogar schneller, weil der elende Parkplatzsuchverkehr entfällt.“
Dem Architekten schweben umfassende Verkehrsberuhigungen und Einbahnstraßen in Wohnquartieren vor, mit möglichst 2,5 Meter breiten Fußwegen, eigenen Fahrradspuren, einigen Parkbuchten für Menschen mit Behinderung, Lieferverkehr oder Dienstleister. „Es würde weniger eng, das Straßenbild würde aufgeweitet.“ Auch Ladesäulen seien möglich. „Wir müssen aber aufpassen, dass wir nun nicht alle Straßen mit Ladesäulen zupflastern – am Ende ist die Straße dann eine öffentliche Tankstelle.“ Hein schlägt vor, zwei, drei Wohnstraßen mit Beteiligung der Anlieger modellhaft umzugestalten und damit exemplarisch zu zeigen, was möglich ist.
Hamburg könne von Kopenhagen oder Utrecht lernen
Er wirbt dafür, die Bürger bei der Verkehrswende mitzunehmen. „Man kann niemanden zwingen“, sagt Hein. „Wenn man es richtig anpackt und Geduld mitbringt, ist die Verkehrswende eine Chance. Der öffentliche Raum gehört allen und muss fair verteilt werden.“ Das eine Abkehr vom eigenen Auto funktioniert, zeigten die neuen Quartiere wie die Neue Mitte Altona: „Viele, die dort hinziehen, setzen sich damit vorher auseinander und wissen, worauf sie sich einlassen.“
Das Leben in den verdichteten Szene-Stadtteilen profitiere ja gerade von der Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. „Wenn ich da wohnen will, möchte ich doch das Leben auf der Straße, das Café, vielleicht sogar spielende Kinder – dann kann ich da eben nicht mein Auto hinstellen.“ Unser Lebensstil sei ein wenig illusorisch, wenn wir inmitten der Stadt, in Ottensen oder Eimsbüttel, vor der Tür den Parkplatz und hinter der Terrasse den eigenen Garten wünschten. Er zitiert Kurt Tucholsky: „Ja, das möchste: / Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, / vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße.“
Hamburg könne durchaus von Kopenhagen oder Utrecht lernen. „Die Infrastruktur ist dort fantastisch, man kann schnell und angstfrei ans Ziel kommen.“ Hein betont, die Magistralen, die Hauptverkehrsstraßen zwischen Innenstadt und Außenbezirken, müssten als Verkehrsadern erhalten bleiben. „Aber auch hier gilt: Sie sind nicht den Autofahrern allein vorbehalten, sondern auch Radlern und dem ÖPNV - alle müssen schnell und direkt in die Stadt kommen.“ Städtebaulich seien diese Einfallstraßen oft schauerlich mit ihren Discountern, Schnellrestaurants, Tankstellen und unterschiedlichen Höhen. „In diesen Wildwuchs Ruhe reinzubringen, wird ein Generationenprojekt.“
Kirchen verlieren ihre Bedeutung
Lange saß Mathias Hein im Denkmalrat des Denkmalschutzamtes Hamburg. „Hamburg ist keine Freie und Abrissstadt“, sagt er. „Natürlich wird viel unter Rentabilitätsgesichtspunkten betrachtet. Aber die Stadt hat ausreichend Substanz.“ Ihn habe nachdenklich gestimmt, dass die Denkmalpflege sehr wissenschaftlich agiere. „Man schaut isoliert auf das Gebäude und nicht auf sein Umfeld. Ganz ehrlich: den City-Hof vermisse ich nicht. Schade finde ich, dass das Commerzbank-Hochhaus nun fällt – das war einst ein wichtiges Punkthochhaus in einer Art Parklandschaft entlang der ehemaligen Ost-West-Straße. Davon ist heute nichts mehr zu erkennen.“
Besonders bedauerlich sei für die Stadt, dass immer mehr Kirchen ihre Bedeutung verlieren. Allein die evangelisch-lutherische Kirche trennte sich in der Hansestadt seit der Jahrtausendwende von knapp 20 Gotteshäusern. Die Simeonkirche in Hamm hatte einst sein Büropartner Friedhelm Grundmann entworfen, für ihn war dieser moderne Sakralbau „das zentrale Objekt seiner Laufbahn“. Architekturkritiker halten den Bau der Klassischen Moderne für den wichtigsten Sakralbau der Nachkriegszeit in Hamburg. 2003 verkaufte das Bistum die Kirche an die griechisch-orthodoxe Gemeinde. Den Umbau zur Kirche des heiligen Nikolaus begleitete Grundmann noch.
„Die Kirchen verschwinden, weil sie in der Nachkriegszeit in einer ungeheuren Dichte in der Stadt verteilt wurden“, sagt Hein. In dieser Zeit entstanden in der Stadt 88 Gotteshäuser. Nun fehlen Gläubige, um sie zu bespielen. Gerade neuere Sakralbauten hätten es schwer, weil ihnen die Heimeligkeit fehle, die Menschen oft mit ihnen fremdelten. „Es ist unendlich tragisch, was die Gebäude betrifft.“
Kritisch sieht er die „Uniformität der Wohnungsbauarchitektur“
Transformationen wie bei der Kapernaumkirche zu einer Moschee machten zwar wehmütig, aber die Gebäude blieben wenigstens erhalten. „Ich wünsche mir intelligente Nutzungskonzepte – viele dieser Kirchen sind ja Teil eines Ensembles aus Kirchenbau und Turm, Gemeindehaus, Pastorat und Kindergarten.“ Die Apostelkirche wurde schon in den Achtzigerjahren umgebaut und alle Funktionen in das Kirchenschiff integriert. Ich hoffe, dass solche Konzepte häufiger angewendet werden.“
Als Autor schaut der Architekt auf die ganze Stadt: Als früherer Vorsitzender des Architekten- und Ingenieurvereins verantwortet er das Konzept für zwei Standardwerke: Er gab das Buch „Hamburg und seine Bauten 1985–2000“ heraus und leitete die Redaktion für den Nachfolgeband „Hamburg und seine Bauten 2000–2015“. Schon jetzt hat er die mögliche nächste Ausgabe im Blick und beklagt manche Fehlentwicklung in der Stadt.
Fünf Fragen an Mathias Hein
- Meine Lieblingsstadt ist meine Heimatstadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin, in der ich lebe und arbeite: Hamburg. Und wenn es nicht vermessen klingt: Ich betrachte die Stadt ein wenig wie mein Wohnzimmer.
- Mein Lieblingsort ... - da gibt es viele in der Stadt: die fantastischen Orte am Wasser, das Grün. Ich kann und will mich nicht festlegen.
- Mein Lieblingsstadtteil ist mein eigener, ganz tutig: Niendorf. Der Zufall hat mich da reingeboren – dort fühle ich mich beheimatet. Dort kann man zurückgezogen und im Grünen leben - und aus der Peripherie auf die Stadt blicken.
- Mein Lieblingsgebäude ist das HEW-Gebäude von Arne Jacobsen in der City Nord - gegenüber habe ich studiert. Auch wenn das Drumherum weniger spannend ist, das Gebäude ist großartig. Als ich noch im Denkmalrat saß, ging es um eine Fassadensanierung, die hoch problematisch war. Es ist enorm wichtig, dass dort jedes Detail stimmt.
- Einmal mit der Abrissbirne möchte ich … Das ist eine schwierige Frage. Das Thema der Grauen Energie ist wichtig. Es gibt aber eben auch Gebäude, die sehr wertvolle Orte belegen - und die muss man sich genau anschauen. Bei der Fülle der Nachkriegsbauwerke muss man nicht zwangsläufig alles erhalten. Ein Beispiel: Im Quartier Großer Burstah sind zwei durchaus bedeutende Gebäude gefallen, das Waschbetonhochhaus Neue Burg der Hamburger Architekten Ingeborg und Friedrich Spengelin und das Allianz-Gebäude von Bernhard Hermkes. Beide Hochhäuser haben sich stadträumlich nicht bewährt und ließen sich kaum umnutzen. Ich halte die jetzt entstehende Gebäudeanordnung mit der neuen Verbindung zwischen Großer Burstah und Neue Burg für genau richtig.
Kritisch sieht er die „Uniformität der Wohnungsbauarchitektur“. „Ich habe kein Problem mit moderner Formensprache. Ich mach das ja auch selbst. Aber die identitätslosen Würfelansammlungen halten nicht Schritt mit der Innovationskraft der Stadtentwicklung.“ Ohne nostalgisch zu werden, wünscht er sich eine Architektur, die den Straßenraum stärker in den Blick nimmt.
Eine Fehlentwicklung sieht er im Bau befindliche Überseequartiers in der HafenCity: „Ich frage mich, wie der Investor diesen Riesenkoloss mit 80.000 Quadratmetern Einzelhandelsfläche ohne Leerstände dauerhaft auslasten will.“ Er bedauert, dass an dieser besonderen Stelle an der Elbe „alles zugebaut wird: Es gibt gerade noch eine Kaikante.“ Der Einzelhandel bleibt in der Krise - „er wird sich nicht auf Dauer an dieser Stelle tragen“, fürchtet Hein. Das Überseequartier bezeichnet er als eine verpasste Chance. „Schauen Sie sich Venedig an: In der Lagune hat man an zentraler Stelle am Wasser den Markusplatz geschaffen. Das war eine Entscheidung für Jahrhunderte.“