Hamburg/ Hannover. Kampfmittelräumdienst der Hamburger Feuerwehr testet Laser – so sollen weniger Häuser evakuiert werden müssen.

200 Meter von der 250 Kilogramm schweren Weltkriegsbombe entfernt haben Sprengmeister Peter Bodes, seine Kollegen und Wissenschaftler Position in einem Bunker bezogen. Zwei Laptops und technische Apparaturen stehen auf einem Tisch. Bodes, Chef des Hamburger Kampfmittelräumdienstes (KRD), sitzt davor. Um 10 Uhr startet er den Feldversuch. Ein Festkörperlaser beschießt die stählerne Bombenhülle an einer genau definierten Stelle. Wie bei einem Feuerwerk sprühen Funken aus dem Blindgänger. Dann ploppt die Bodenplatte mit dem Zünder heraus. Einfach so.

Unter realen Bedingungen wäre die Bombe jetzt entschärft – tatsächlich hatte Bodes den Zünder bereits unschädlich gemacht und den Blindgänger aus Hamburg auf einen Sprengplatz nahe Hannover geschafft. Der Sprengstoff im Innern war jedoch unversehrt. Beim Versuch lief dann alles wie am Schnürchen: Nur ein geringer Teil des Sprengmaterials wurde, wie berechnet, „umgesetzt“ und deflagriert, so die technische Bezeichnung für die abgelaufene Reaktion.

Gefährliche Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg

Seit gut anderthalb Jahren arbeitet der Kampfmittelräumdienst der Hamburger Feuerwehr mit dem Laser Zentrum Hannover (LZH) zusammen. Im Mittelpunkt der Kooperation: ein vom LZH entwickeltes und vom Bund gefördertes Verfahren zur lasergestützten Entschärfung von Weltkriegsbomben, Projektname „DEFLAG“. Per gebündeltem  Lichtstrahl, so das mittelfristige Ziel der Forscher, sollen sich künftig Weltkriegsbomben mit chemischen Langzeitzündern aus sicherer Distanz entschärfen lassen.

Bomben mit Säurezündern gelten als die gefährlichsten Altlasten des Zweiten Weltkrieges. Sie waren so konstruiert, dass sie nicht beim Aufschlag, sondern zeitverzögert detonierten, manche erst Stunden später. Mindestens zehn Prozent explodierten gar nicht. Blindgänger dieses Typs sind deutlich unberechenbarer als jene mit Aufschlagzündern – erst recht, wenn sie bewegt worden sind, was bei Bauarbeiten häufig passiert. Die vor ein paar Wochen in Schnelsen entschärfte 500-Kilo-Bombe hatte einen derartigen Zünder. „Sie stellen unser Personal noch immer vor große Herausforderungen“, sagt Bodes. Er schätzt, dass „zwölf bis 15 Prozent“ der rund 2900 Fliegerbomben im Hamburger Boden über einen Langzeitzünder verfügen.

Bombenentschärfung per Laser

Eine Entschärfung per Laser, Dutzende Meter von so einem Weltkriegs-relikt entfernt, könnte helfen, das Risiko für Bodes und seine zehn Kollegen zu verringern, während die Bevölkerung bei einer kontrolliert ablaufenden Deflagration von deutlich engeren Sperr- und Warnradien profitieren würde. Noch müssen in einem Umkreis von mindestens 300 Metern Häuser evakuiert und gegebenenfalls Straßen und Bahnstrecken gesperrt werden. Das öffentliche Leben liegt nicht selten über Stunden lahm.

Gut zwei Wochen nach dem Feldversuch sitzt Bodes in seinem Büro in der Feuerwache am Großmoorbogen. Vor ihm auf dem Tisch liegen ein alter Säure- und ein Aufschlagzünder. Bombenentschärfung ist eine Wissenschaft, und wenn einer etwas davon versteht, dann Peter Bodes, der seit 1989 Blindgänger in Serie unschädlich macht. Es ist ein Job der permanenten Gefahr. Seit Kriegsende gab es in Deutschland rund 100 Selbstdetonationen, 2010 kamen in Göttingen dadurch drei Kampfmittelexperten ums Leben.

16 Entschärfungen in diesem Jahr

Am Großmoorbogen hortet Bodes einige der größten jemals in Hamburg entschärften Blindgänger, darunter eine kleiderschrankgroße, 2000 Kilogramm schwere Bombe, einst an der A 1 entdeckt, und eine 1000 Kilogramm schwere Bombe aus dem Harburger Binnen­hafen. Dieses Jahr hat der KRD bereits 16 Bomben entschärft, dazu Hunderte Granaten, Mörser und kleinere Sprengkörper. Geht es in diesem Tempo weiter, dauert es noch fast 200 Jahre, bis alle Blindgänger Geschichte sind. Innovative Methoden zur sicheren und schnellen Beseitigung sind daher beim KRD hochwillkommen.

Bodes hat in der Vergangenheit schon andere Hilfsmittel getestet, einen Plasmaschneider etwa. Die Deflagration per Laser sei zwar „vielversprechend“, sagt er, ein alltäglicher Einsatz aber noch eine „Vision“. Zunächst müsse eine Vielzahl weiterer Testreihen folgen. „Es muss gesichert sein, dass wir bei jedem Test immer exakt den gleichen Effekt erzielen“, sagt er.

Demnächst soll DEFLAG auch für den Einsatz unter Wasser optimiert werden. Allein in der Nord- und Ostsee liegen laut LZH noch rund 1,5 Millionen Tonnen Weltkriegsmunition, auch in der Elbe werden immer wieder Bomben entdeckt. Unschlagbarer Vorteil des Systems: Der Laserkopf mit den optischen Standardkomponenten, der in einem ersten Schritt auf die Bombenhülle montiert und bei der Deflagration zerstört wird, kann mit einem 3-D-Drucker relativ kostengünstig gefertigt werden. Wie LZH-Sprecherin Lena Bennefeld sagt, betragen die Kosten pro Einsatz rund 10.000 Euro – und noch einmal weniger, wenn sich Teile des Laserkopfes wiederverwenden lassen.

Auch Roboter helfen bei der Entschärfung

Mit dem Wegwerf-Laserkopf auf der Bombe hat Bodes am 8. Oktober zunächst zwei sechs Millimeter tiefe Kerben in die Hülle geschnitten, um den Detonationsdruck zu verringern. Im zweiten Schritt löste der Festkörperlaser per Impuls die Deflagration aus. Wie geplant, platzte die Bombenhülle entlang der Einkerbungen auf, und die Bodenplatte mit dem Zünder fiel heraus. Zuvor hatte der KRD bei Versuchen in Hamburg ähnliche Resultate mit sogenannten Prüfkörpern erzielt – der Feldversuch vor gut zwei Wochen war der erste mit einer echten Bombe.

Das Laser-System wäre ohnehin wohl nur eine Ergänzung zu den lange bewährten Distanz-Instrumenten. Bodes und sein Team arbeiten häufig mit dem Wasserschneider, der mit einem Druck von 2400 bar den Zünder aus der Bombe herausfräst. Schutz bietet ihnen bei den Einsätzen ein mobiler Bunker. Erst vor drei Monaten hat der KRD zudem den „Manipulator“ Brokk 120 D erhalten – eine Art Roboter, der mit einer Fernbedienung gesteuert wird und künftig auch bei der Entschärfung eingesetzt werden soll.

Nicht weniger futuristisch wie der Brokk 120 D mutet das Laser-Projekt an. LZH-Sprecherin Bennefeld geht davon aus, dass es „in zwei bis drei Jahren“ ein einsatzfähiges System geben könne, vorausgesetzt „die Versuche und weiteren Arbeiten laufen so vielversprechend weiter“. Bodes selbst wird das nicht mehr miterleben – in 15 Monaten geht der 63-Jährige in den Ruhestand.