Hamburg. Rückenserie, Teil 7: Krafttraining stellt das A und O bei der Behandlung und zur Prävention von Schmerzen dar.
Wie geht es Ihren Muskeln denn heute? Noch nicht drüber nachgedacht? Das sollten Sie aber. Unsere Muskulatur ist das Kraftwerk unseres Körpers, sie bildet die Grundlage jeder körperlichen Aktivität, stabilisiert Wirbelsäule und Gelenke und schützt unseren Körper vor Überlastungen, Verletzungen und Verschleiß. Ist ja schon gut, werden Sie denken, meine Muskeln sind in Ordnung. Mag sein, aber damit das auch in Zukunft zutrifft, brauchen sie regelmäßig Widerstand, um stark bleiben zu können. Mit der Kraft ist es so wie mit Ehefrauen – wenn man sich nicht um sie kümmert, dann ist sie plötzlich weg. Jenseits der 50 verlieren wir jedes Jahr zwischen 0,6 und zwei Prozent Muskelmasse; Fachleute sprechen von Muskelatrophie.
Die Lösung? Krafttraining. Haben Sie auch schon mal gehört und wegen Ihrer knapp bemessenen Zeit als Idee wieder verworfen? Sehr verständlich, aber es gibt ein Konzept, das behauptet, zweimal 30 Minuten Training pro Woche genügen, um Rückenbeschwerden zu lindern und die Leistungsfähigkeit zu steigern. Der Amateurboxer Werner Kieser entwickelte es in den 60er-Jahren. Eine Rippenfellquetschung gab den Startpunkt: Sein Arzt empfahl Schonung, doch Kieser hörte lieber auf einen Boxkumpel, der behauptete, Krafttraining würde die Heilung beschleunigen. Nach drei Wochen stand er wieder im Ring. Der gelernte Schreiner war fasziniert von dem Effekt des Trainings mit Gewichten und schweißte die ersten Fitnessgeräte zusammen. Das Eisen dazu holte er sich vom Schrottplatz. 1967 gründete er die Kieser Training AG, um seinem „Gebilde aus Schrott und Hoffnungen eine juristisch stringente Form“ zu geben.
Heute gibt es weltweit 150 Studios, und die Räume von Kieser in Hamburg-Rahlstedt sehen auf den ersten Blick aus wie die anderer Fitnessstudios, viele einschüchternde Geräte stehen herum. „Los, zeig’s mir!“, scheinen sie den Muskeln zuzurufen. Doch die Rückenspezialisten von Kieser sehen sich nicht als Betreiber einer simplen Muckibude, sie wollen die Nische zwischen dem Gesundheits- und Fitnessmarkt besetzen, und zwar mit einem klaren Fokus: Rücken. „80 Prozent aller Beschwerden werden durch zu schwache Rückenmuskeln hervorgerufen“, sagt Betriebsleiterin Fanny Hofmann. „Im Alltag vernachlässigen wir gerade den tief liegenden Rückenstreckmuskel. Häufig gleichen die Beine und die Gesäßmuskeln seine Arbeit aus, wenn er zu schwach ist.“
Gurte erinnern an alte Foltermethoden
Durch spezielle Geräte mit Gurten und Polstern können diese „Helfer-Muskeln“ ausgeschaltet werden, um ganz gezielt die Streckmuskulatur der Lendenwirbelsäule zu trainieren. Lumbar Extension heißt so eine Maschine. Sieht so aus wie der Name klingt. Wir wollen jetzt nicht an mittelalterliche Foltermethoden erinnern, aber die Gurte wirken nicht besonders einladend. Müssen aber sein, und hat man sich erst einmal im Sinne der Gesundheit ergeben, dann fühlt es sich gar nicht mehr so schlimm an. Ein Signalton gibt den Start- und den Endpunkt bei der Übung vor, ein Instruktor beaufsichtigt das Ganze. Vertrauen ist gut, Kontrolle besser.
Trainiert wird immer bis zur kompletten Erschöpfung des Muskels nach dem Ein-Satz-Prinzip. Wer das Gewicht länger als zwei Minuten halten kann, bekommt in der nächsten Stunde fünf Prozent mehr Gewicht drauf gepackt, wer keine 90 Sekunden schafft, fünf Prozent weniger. Die Devise lautet selbstverständlich: The only way is up! Richtig schweißtreibend scheinen die Übungen nicht zu sein, wenn man in die Gesichter der Leute schaut. „Jeder reagiert anders, manche ziehen ihr Training locker durch, andere schwitzen schon bei dem Gedanken an Sport“, sagt Hofmann.
„Würde wirklich jeder zweimal 30 Minuten in der Woche trainieren, dann wäre schon viel gewonnen, und wir wären irgendwann arbeitslos“, sagt der Orthopäde Dr. Till Hagenström vom Lans Medicum. Und der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP), Professor Klaus Michael Braumann, ergänzt: „Die meisten Schmerzen entstehen nicht durch Bandscheibenvorfälle, mehr als 90 Prozent der Schmerzen sind auf insuffiziente, schwache Muskeln zurückzuführen.“ Also ran an die Muskeln. Hofmanns Erfahrung nach verbessern sich leichte Beschwerden bereits nach drei Monaten. Nach einem Bandscheibenvorfall dauert es natürlich länger.
Klare Ziele festlegen
Wichtig sei es aber, nach der Krankengymnastik überhaupt den Weg zum Krafttraining zu finden. „Krankengymnastik ist wichtig, um die Funktionalität wiederherzustellen, aber danach muss es weitergehen. Manche fühlen sich geheilt, dabei beginnt erst dann die richtige Arbeit“, sagt Hofmann. Natürlich bekämen viele Mitglieder auch beim Krankengymnasten Übungen für zu Hause, doch da sei eben dieser innere Schweinehund, den viele nicht alleine überwinden könnten. „Wir helfen der Motivation nach“, sagt die Instruktorin.
Wichtig sei es, zu Beginn ganz klare Ziele festzulegen, nicht einfach so ins Blaue hinein zu trainieren. Was könnten das für Ziele sein? Ein Kunde sagte Hofmann, er würde gerne wieder mit seinem Sohn Fußball spielen. Eine ältere Frau wünschte sich, nicht mehr den ganzen Vormittag für das Staubsaugen ihrer Wohnung zu benötigen, weil sie wegen Rückenschmerzen ständig Pausen brauche. Eine junge Frau nahm sich vor, zwei Stockwerke wieder zu Fuß gehen zu können und den Aufzug links liegen zu lassen, ein Mann erzählte, er nehme bereits nach einer Stunde am Schreibtisch die erste Schmerztablette, so könne es nicht weitergehen.
Die erste Schmerztablette
„Wenn jemand seine Schuhe nicht mehr alleine anziehen oder nachts vor Schmerzen nicht durchschlafen kann, dann müssen wir ihm zunächst die Sicherheit geben, hier in guten Händen zu sein“, sagt Hofmann. Viele fühlten sich von ihrem Körper im Stich gelassen. Es gelte, dieses Vertrauen wieder aufzubauen. Ein Instruktor begleitet die ersten drei Trainingseinheiten, damit die Handhabung der Maschinen wirklich klar ist. Bei den computergestützten Rücken- und Nackenmaschinen ist sogar immer jemand dabei. In der Regel reichen zwölf bis 18 Einheiten, um die Kraft zu steigern und Beschwerden zu lindern. Danach soll mit einer Einheit monatlich das Resultat über Jahre erhalten werden, sagen die Kieser-Mitarbeiter. Nur bei einer Sache geben sie zu, nicht helfen zu können: Wenn es um psychische Probleme geht, die für die Rückenschmerzen verantwortlich scheinen. Dann müssen die Leidgeplagten zu anderen Experten gehen.
Beim Weg hinaus fällt doch noch ein Unterschied zu anderen Fitnesstempeln auf: Der ganze Wellness-Chichi fehlt. Keine Musik, keine Bar, keine Sauna. Nichts scheint von der Konzentration auf das Training ablenken zu wollen. Der funktionale Ansatz spiegelt sich in der Ausstattung wider. „Außerdem werden Saunagänge überschätzt“, sagt Hofmann. „Bei Rückenschmerzen hilft ein Saunabesuch höchstens für den kurzen Moment, doch die Hitze greift das Problem nicht bei der Wurzel.“