Hamburg. Gutachten sagt Stagnation oder sogar Schrumpfung voraus – und löst kontroverse Debatte aus. BUND und Klimabeirat fordern Umdenken.

Die großen deutschen Städte werden schon bald nicht mehr wachsen, es droht sogar eine Schrumpfung. Diese Aussage aus dem „Frühjahrsgutachten Immobilienwirtschaft 2022“ im Auftrag des Spitzenverbandes der Immobilienwirtschaft ZIA, über den das Abendblatt berichtete, hat in Hamburg zu einer Debatte über mögliche Konsequenzen geführt – vor allem über die Frage, ob weiterhin 10.000 neue Wohnungen pro Jahr gebaut werden sollen. In dem Gutachten war kritisiert worden, dass die Städte zu viele kleine und zu wenige größere, familiengerechte Wohnungen bauten. Deswegen würden Familien in den Speckgürtel abwandern.

Das Gutachten werfe „wichtige Fragen auf und sollte dazu beitragen, dass die zukünftige Wohnungsbaupolitik in Hamburg überprüft wird“, sagte Prof. Jörg Knieling, stellvertretender Vorsitzender des Hamburger Klimabeirates. „Bisherige Prognosen gingen von einem deutlichen Wachstum der Hamburger Bevölkerung aus.

Hamburg schrumpft? Naturschutzverband BUND fordert Konsequenzen

Dem ist offensichtlich nicht mehr so. Denkt man dazu an den bestehenden Bauüberhang, könnten die Zielvorgaben für die Bezirke für neue Genehmigungen bereits etwas zurückgenommen werden“, so Knieling. „Wenn Neubau in Hamburg, braucht dieser neue Vorzeichen: bezahlbar, klimaverträglicher und insgesamt weniger.“ Der Beirat hatte für eine Halbierung auf 5000 neue Wohnungen pro Jahr plädiert.

Auch der Naturschutzverband BUND forderte Konsequenzen. Die Stagnation der Einwohnerzahlen und die drohende Abwanderung insbesondere von Familien ins Umland seien die „unmittelbare Folge des Hamburger Wohnungsbauprogramms mit seinem undifferenzierten Wachstumsdogma von 10.000 neuen Wohnungen pro Jahr“, so BUND-Vorsitzende Christiane Blömeke.

Ende des Wachstums: Für SPD eine gute Nachricht

Dieses beruhe auf einer „Wachstumsidee der 90er-Jahre“ und sei nicht an die aktuellen Bedarfe der Stadtentwicklung angepasst. „Mit dem Bau von immer mehr und immer teureren Neubauwohnungen bedient Hamburg ein Marktsegment, das die Stadt nicht braucht“, so Blömeke. „Mit durchschnittlich 76 Quadratmetern Wohnfläche je neu gebauter Wohnung ist die aktuelle Wohnungsbaupolitik nicht am Bedarf der Wohnungssuchenden ausgerichtet. Deshalb weichen immer mehr Menschen dem Preisdruck aus und wandern ins Umland ab.“

SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf sagte, es sei „klar, dass Hamburg nicht unendlich wachsen wird und das ist eine gute Botschaft“. Mit dem Wohnungsbauprogramm und mittlerweile 116.000 neuen Wohnungen seit 2011 habe die Stadt früh auf die hohe Nachfrage reagiert. „Wenn der Zuzug nun – wie in der Studie prognostiziert – nachlässt, ist dies ein weiterer Faktor, der zur langfristigen Entspannung am Wohnungsmarkt beitragen kann“, so Kienscherf. „Aktuell gibt es jedoch Haushalte, die nach wie vor keine geeignete Wohnung finden und rund 28.000 Menschen, die auf eine öffentliche Unterbringung angewiesen sind. Hamburg und das Umland sind daher insgesamt gefordert, weiterhin dringend benötigten Wohnraum zu bauen.“

Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen betonte, dass die Bevölkerungsentwicklung offen sei. „Fakt ist, dass viele Menschen im Hier und Jetzt auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum mit hoher Lebensqualität sind.“ CDU-Stadtentwicklungspolitikerin Anke Frieling nannte es „erschreckend, dass die Bedürfnisse von Familien in Hamburg keine Rolle spielen“. CDU-Forderungen dazu seien „regelmäßig von SPD und Grünen belächelt und abgelehnt“ worden. Die Linken-Abgeordnete Heike Sudmann betonte, dass es auch bei geringem Wachstum einen „Mangel an bezahlbaren Wohnungen gibt, nicht nur für Familien“. Hamburg baue „als Single-Hauptstadt viel zu viele große Wohnungen“.