Hamburg. Für Hamburgs Schulsenator Rabe ist es religiös betrachtet ein Erdbeben, für Erzbischof Heße ein einzigartiges Modell. Als letzte große Religionsgemeinschaft tritt die katholische Kirche dem “Religionsunterricht für alle“ bei.
Für Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) ist es religiös betrachtet ein Erdbeben. Und Hamburgs Erzbischof Stefan Heße sei "ein mutiger Mann, dass er gesagt hat, wir machen das mit". Denn allein die kirchenrechtlichen Fragen, die Heße mit der Aktion aufgeworfen habe, würden Juristen wohl noch die nächsten 15 Jahre beschäftigen. "Das hat mich schon ein bisschen gewundert, aber auch berührt, dass es ihm gelungen ist, das auch in der Bischofskonferenz ein Stück weit zu erläutern und abzustimmen", sagt Rabe.
Schließlich verzichtet die katholische Kirche als letzte große Religionsgemeinschaft in Hamburg im Grunde auf ihr grundgesetzlich verbrieftes Recht auf einen eigenen Religionsunterricht an den Schulen. Stattdessen schließt sie sich dem "Religionsunterricht für alle" an.
"Das Erzbistum Hamburg hat entschieden, fester Bestandteil des Religionsunterrichts für alle zu werden und das katholische Christentum darin zukünftig authentisch abzubilden", sagt Heße. Entsprechend habe die Kirche bei der Schulbehörde und den beteiligten Religionsgemeinschaften den Beitritt zum "Religionsunterricht für alle" beantragt, dessen Zustimmung als sicher gilt.
Was für die katholische Kirche ein großer Schritt ist, praktizieren die anderen großen Religionsgemeinschaften in Hamburg bereits seit 2019. Die in der Hansestadt dominierende evangelische Kirche, die Jüdische Gemeinde, drei islamische Religionsgemeinschaften und die alevitische Gemeinschaft verantworten den Religionsunterricht an den Schulen gemeinsam und erstellen auch gemeinsam die Inhalte. Der von ausgebildeten Lehrkräften aller Konfessionen - nicht Geistlichen - erteilte Unterricht richtet sich an Kinder aller Glaubensrichtungen sowie auch an Kinder, die keiner Religionsgemeinschaft angehören.
Schulsenator Rabe ist von dem Modell überzeugt. Gerade in einer Stadtgesellschaft mit hohen Fliehkräften sei es nicht sinnvoll, wenn Kinder im Religionsunterricht nur unter ihresgleichen lernten statt im Dialog zu sein und Verschiedenheit zu respektieren. Konkret heißt das: Im Unterricht sollen die Schülerinnen und Schüler allgemeine Glaubensinhalte lernen, sich aber ausdrücklich auch mit ihrer eigenen Konfession auseinandersetzen. In den Klassen eins bis sechs gibt es nur den "Religionsunterricht für alle", in den höheren Klassen können die Schülerinnen und Schüler zwischen Religion und Philosophie wählen.
Für Erzbischof Heße hat der Schritt ganz praktische Gründe. So erhalten die rund 6500 Jungen und Mädchen an den 20 katholischen Schulen der Hansestadt zwar katholischen Religionsunterricht. Das gilt aber nicht für die rund 24.000 katholischen Schülerinnen und Schüler an den staatlichen Schulen. Sie gingen in der Regel leer aus, da es nur an drei staatlichen Schulen auf Wunsch der Eltern einen katholischen Religionsunterricht gebe. Da sei er vor der Frage gestanden, "findet man sich damit ab, (...) dass die katholische Kirche außen vor ist oder versuchen wir etwas Gemeinsames?".
Obschon Heße von einem einzigartigen Modell spricht, beeilt er sich aber auch zu sagen, dass dieses derzeit nicht auf Schleswig-Holstein oder den Landesteil Mecklenburg von Mecklenburg-Vorpommern übertragen werden könne, für die er als Erzbischof auch zuständig ist. Dazu seien die Umstände dort zu verschieden. "Da sind andere Akteure, da sind andere Traditionen." Allerdings gehe er davon aus, dass nach dem Start des Hamburger Modells wieder mehr Zeit für Überlegungen sei, wie es in den anderen Ländern weitergehen könne. Aktuell funktioniere dort noch das Prinzip, jeder mache seins. "Aber ich glaube, dass die Entwicklungen der Religionslandschaft hier oben im Norden uns eher in eine andere Richtung führt."
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