Hamburg. Hoher Anspruch: Polizeimitarbeiter sollen möglichst viele Fälle in kurzer Zeit lösen. Künstliche Intelligenz könnte sie entlasten.

Die Hamburger Kriminalpolizei kommt kaum zur Ruhe: Nach technischen Problemen, einem Führungswechsel im Zuge der „Cold ­Cases“-Affäre und der Entmachtung der bekannten Polizistin Alexandra Klein rumort es nach Angaben des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) weiterhin.

Gegenüber dem Abendblatt kritisiert der BDK-Landeschef Jan Reinecke eine „Kultur der Massenabfertigung“, bei der die Beamten und Betroffene von Straftaten auf der Strecke blieben. Die Polizeiführung wehrt sich gegen die Vorwürfe. Diskussionen gibt es auch um den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI), die in Zukunft verstärkt im LKA genutzt werden könnte.

Entlastung von Polizeimitarbeitern durch künstliche Intelligenz?

Nach Angaben von Jan Reinecke sei die Moral vieler Ermittler am Boden, „weil es nur noch um die Statistik geht“. Bereits seit Langem kritisiert der Gewerkschafter eine aus seiner Sicht eklatant mangelhafte technische und auch personelle Ausstattung.

„Wir sind aber insgesamt nun an einem Punkt, an dem sich viele Kolleginnen und Kollegen fragen, ob ihr Herzblut überhaupt noch erwünscht ist“, sagt Reinecke. So gehe es häufig nicht mehr zuerst darum, Straftaten aufzuklären und für Gerechtigkeit zu sorgen, sondern bloß darum, möglichst viele Fälle in kürzerer Zeit zu erledigen.

„Wer sich Mühe gibt, wird eher bestraft“

Als Beispiel nennt Reinecke den Bereich der Beziehungsgewalt. „Wir haben dort Kolleginnen und Kollegen, die sehr nah an den Menschen arbeiten, sich intensiv um die Ursachen und den Schutz der Opfer kümmern“, sagt Reinecke. „Das ist aber oft gar nicht mehr erwünscht, weil es eben auch Zeit kostet.“

Jan Reinecke, Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK)
Jan Reinecke, Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) © picture alliance / Eventpress | Eventpress Stauffenberg

Statt solche Ermittlerinnen und Ermittler für ihren Einsatz zu loben, würden sie von einigen Vorgesetzten sogar kritisiert: „Weil ein anderer Kollege, eine andere Kollegin sich vielleicht nicht so sehr um die Betroffenen kümmert und deshalb mehr Fälle abschließt. Der oder die bekommt dann auch noch die gute Beurteilung und wird befördert.“ Im Einzelfall bedeute das: „Wer sich also Mühe gibt, wird eher bestraft.“

Statt Entlastung: Vorgesetzte fordern noch mehr Effizienz

Der BDK fordert von der Polizeiführung, diesen Missständen aktiv zu begegnen und auch gegenüber der Politik und Öffentlichkeit einzuräumen. Bislang aber drängten die Vorgesetzten eher darauf, dass die Polizisten eben noch effizienter arbeiten sollen.

Auch interessant

Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Betrugskriminalität, bei welcher bereits eine Abmachung mit der Staatsanwaltschaft getroffen worden ist, dass Fälle ohne Aussicht auf einen Ermittlungserfolg schneller eingestellt werden können. Inzwischen sei im Präsidium auch verstärkt davon die Rede, dass automatische Systeme in Zukunft bei der Fallbearbeitung verstärkt zum Einsatz kommen könnten.

Künstliche Intelligenz könnte in Fällen der Kinderpornografie helfen

Die Polizeisprecherin Sandra Levgrün bestätigte auf Anfrage, dass der Einsatz von künstlicher Intelligenz tatsächlich im LKA geprüft werde. „Alles andere wäre anachronistisch.“ Zum Beispiel im Bereich der Massenkriminalität gebe es Überlegungen, die Vorgangsbearbeitung stärker zu automatisieren – „um Kapazitäten freizusetzen“, wie Levgrün sagt.

Polizeisprecherin Sandra Levgrün verteidigt die LKA-Spitze gegen die Vorwürfe – und verweist auf zusätzliche Entlastung.
Polizeisprecherin Sandra Levgrün verteidigt die LKA-Spitze gegen die Vorwürfe – und verweist auf zusätzliche Entlastung. © Roland Magunia/Funke Foto Services | Roland Magunia

Infrage käme konkret etwa im Bereich der Kinderpornografie, dass eine KI die Bilder und Videos auf sichergestellten Datenträgern automatisch analysiert. „Das entlastet die Ermittler nicht nur zeitlich, sondern auch seelisch“, so die Hoffnung der Polizeiführung. Ausgereift seien die Systeme aber noch nicht.

Fragwürdige Führungskultur beim LKA?

Und die Prüfung von KI-Systemen laufe nach klaren Maßstäben: Automatisierte Systeme würden nur unterstützend eingesetzt. „Die letzte Entscheidung, ob Daten relevant sind, trifft der Ermittler.“ Im besten Fall hätten diese durch die Technik aber „mehr Freiräume für ihre originäre Ermittlungstätigkeit.“ Bei der technischen Ausstattung hatte die Polizei zuletzt bereits deutlich nachgerüstet.

Die Vorwürfe auf eine fragwürdige Führungskultur im LKA wies die Polizeisprecherin zudem zurück. „Das große Ziel der Polizei Hamburg ist es, die Anzahl der Straftaten zu reduzieren und die Aufklärungsquote zu erhöhen. Wenn wir Fälle ,einfach nur abschließen‘, gelten sie nicht als aufgeklärt. Insofern würden wir beide Ziele nicht erreichen“, sagte Levgrün.

Beziehungsgewalt: Täter oft schnell ermittelt

 Von jeher gehöre es zur klaren Leitlinie, Ermittlungsansätzen konsequent nachzugehen – aber auch zu priorisieren und „Vorgänge ohne Ermittlungsansatz verfahrensökonomisch zu bearbeiten“. Angesprochen auf den Bereich der Beziehungsgewalt sagte Levgrün: „Die Tatverdächtigen sind in diesen Fällen häufig schnell erkennbar. Unser Auftrag liegt auch klar darin, die Opfer im Sinne der Gefahrenabwehr vor weiteren Übergriffen zu schützen.“ Eine tiefergehende Betreuung sei aber nicht die originäre Aufgabe der Polizei.

Bereits seit längerer Zeit sorgt ein großer Generationswechsel bei der Polizei auch für personelle Engpässe – die Einstellungsoffensive sei aber inzwischen spürbar, betont Levgrün. Darüber hinaus wurden Stellen für Angestellte geschaffen, die etwa bei administrativen Aufgaben helfen sollen. „Diese Kolleginnen und Kollegen sind inzwischen im LKA angekommen“, sagt Levgrün.

Für die Kripogewerkschaft sind diese Schritte aber noch deutlich zu kurz. Jan Reinecke fordert den Polizeipräsidenten Ralf Martin Meyer auf, angesichts „allgegenwärtigen Mangels“ klar festzulegen, welche Bereiche priorisiert und welche vernachlässigt werden sollten. „Die Kolleginnen und Kollegen erwarten, dass ihr Engagement geschätzt wird. Das fängt ganz oben an.“