Hamburg. Erst das Stadthaus – jetzt zeigt sich, dass die Einrichtung eines Doku-Zentrums für das KZ in Fuhlsbüttel vor allem am Geld hängt.
Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges rücken für viele Menschen die Nazi-Gräueltaten wieder stärker ins Bewusstsein. Die Diskussion über ein würdigendes Gedenken an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus und das Erinnern an den Nazi-Terror in Hamburg – mehr als 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg in weiten Teilen eine beschämend offene Frage – gewinnt neue, drängende Aktualität.
Am Freitagnachmittag demonstrierte die Initiative Gedenkort Stadthaus vor dem ehemaligen Gestapo-Hauptquartier an der Stadthausbrücke für einen angemessenen Dokumentations-, Lern- und Gedenkort in der einstigen Zentrale des Nazi-Terrors in Hamburg. Seit Februar 2018 hält die Initiative, die von Opferverbänden unterstützt wird, dort wöchentlich Mahnwachen ab. War es erst der Protest gegen das aus ihrer Sicht völlig unzureichende Gedenkstättenkonzept mit Buchhandlung und angeschlossenem Café auf gerade einmal 70 Quadratmetern, so ist es seit der Insolvenz der Buchhandlung und damit dem Scheitern des Gedenkortes in seiner bisherigen Form im Februar die Hoffnung auf einen angemessenen Neustart.
Gedenkort Hamburg: Menschen im Stadthaus gefoltert
Im Stadthaus, dem wuchtigen gründerzeitlichen Bau mitten in der Stadt, folterten die Nazischergen von 1933 bis 1943 viele Menschen aus dem Widerstand, vor allem Kommunisten und Sozialdemokraten. Etliche von ihnen starben an den Folgen der Misshandlungen oder wurden in den Tod getrieben.
Von hier aus wurden die Deportationen von Jüdinnen und Juden, Roma und Sinti über den Hannoverschen Bahnhof in die Konzentrationslager vorbereitet. Von hier aus wurde der mörderische Einsatz der „Polizei-Bataillone“ organisiert, die am Holocaust beteiligt waren. Im Gestapo-Hauptquartier begann der Leidensweg vieler Oppositioneller in die Zuchthäuser und Konzentrationslager wie nicht zuletzt nach Fuhlsbüttel, das berüchtigte „Kola-Fu“.
Stadthaus-Initiative ist für Neubau auf Petersen-Platz
Kultursenator Carsten Brosda (SPD) kündigte im Februar an, gemeinsam mit den Eigentümern des jetzt Stadthöfe genannten Komplexes, der Ärzteversorgung Niedersachsen, ein neues Konzept auf der bisherigen Fläche vereinbaren zu wollen, das die städtische Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte erarbeiten und betreiben soll. In die Diskussion über die Ausgestaltung sollen die Opferverbände und die Initiative Gedenkort Stadthaus einbezogen werden.
Deren Forderung ist, einen ausreichend großen Raum für Veranstaltungen und vertiefende Informationen zu schaffen. Auf der bisherigen Fläche sei das nicht möglich. „Der gegenüber der Einfahrt des Görtz’schen Palais am Neuen Wall liegende Bürgermeister-Petersen-Platz ist der prädestinierte Ort zur Darstellung und Würdigung des Widerstands gegen das Naziregime“, heißt es in einer Erklärung der Initiative. Durch die Einfahrt des Palais, das zum Stadthaus-Komplex gehört, seien die Gefangenen in den berüchtigten Gestapo-Hof gebracht worden, der für sie zum „Vorhof zur Hölle“ geworden sei.
Im Doku-Zentrum soll der Opfer gedacht werden
Die Chancen stehen nicht gut für diesen Vorschlag. Schon gab es den Hinweis von der Kulturbehörde, dass das Planungsrecht keinen Bau eines Hauses auf dem Platz ermögliche. Und: Weil sich unter dem Platz ein Bunker befinde, wäre es kompliziert und aufwendig – und damit auch teuer –, dort ein Gebäude zu errichten. Es gibt einen weiteren Dissens zwischen der Initiative und in diesem Fall Brosda selbst.
Der Kultursenator hatte im Februar angekündigt, Gedenken und Erinnerung solle sich im Stadthaus im Wesentlichen auf die Täter konzentrieren, während in einem künftigen Dokumentationszentrum für das ehemalige KZ-Außenlager Fuhlsbüttel („Kola-Fu“) auf dem Gelände der dortigen Justizvollzugsanstalt (JVA) der Opfer gedacht werden solle. „Wir sind überzeugt, dass auch der Widerstand gegen den Nazi-Terror in die Mitte der Stadt gehört. Das Gedenken darf nicht nach Fuhlsbüttel verbannt werden, wie es die Kulturbehörde plant“, sagt Wolfgang Kopitzsch, Vorsitzender des Arbeitskreises ehemals verfolgter und inhaftierter Sozialdemokraten, der ebenfalls die Initiative Gedenkort Stadthaus unterstützt.
Sanierung der Häuser I und III zu teuer
Auch wenn das eine etwas zugespitzte Interpretation der Brosda-Äußerungen sein mag, ist damit der Blick auf die zweite große Leerstelle in der lückenhaften Erinnerung der Stadt an die Nazi-Gräuel gelenkt: das KZ-Außenlager Fuhlsbüttel. Seit Jahren stehen die Häuser I und III der JVA leer. Eine Sanierung der denkmalgeschützten Bauten für die Zwecke des modernen Strafvollzugs wäre zu teuer.
Das Haus I, der Kreuzbau mit dem markanten Turm der Anstaltskirche, war von 1933 bis 1945 „Polizeigefängnis“ und diente als Teil des „Kola-Fu“. Unter der Gewalt der SS wurden Tausende Häftlinge – politische Gefangene, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Bettler und Obdachlose, Sinti, Roma und Juden – brutal misshandelt, mehr als 500 Menschen wurden umgebracht. Auch das mittlerweile leer stehende Haus III war Teil des „Kola-Fu“.
Eine Chance auf einen würdigen Gedenkort
Mit den aufgegebenen Haftgebäuden besteht die einmalige Chance, einen würdigen Ort des Gedenkens an die Opfer und ein Dokumentationszentrum des Nazi-Terrors einzurichten, während bislang nur eine eher bescheidene Erinnerungsstätte im alten Torhaus existiert.
Seit Jahren ist die Zukunft des Areals offen. Insgesamt geht es um rund 40.000 Quadratmeter einschließlich der Außenbereiche – rund ein Viertel der Anstaltsfläche. Vor vier Jahren hatte der damalige Justizsenator Till Steffen (Grüne) die Idee, 200 Wohnungen auf dem Gelände zu bauen. Der etwas zu lässige Name angesichts der unrühmlichen Geschichte des Ortes: „Quartier Santa Fu“. Doch daraus wurde nichts. Das städtische Wohnungsunternehmen Saga, mit dem Projekt beauftragt, zog sich zurück. Begründung: In den denkmalgeschützten Hafthäusern ließe sich kein Wohnungsbau realisieren.
Umbauten in Fuhlsbüttel kosten 35 Millionen Euro
Im Dezember 2019 erteilte Steffen der städtischen Sprinkenhof GmbH den Auftrag, eine Machbarkeitsstudie für die künftige Nutzung ohne Vorfestlegungen zu erstellen. Steffen hielt jetzt ein Hotel in Haus III, das fast im Original aus dem Jahr 1892 erhalten ist, für möglich. Ein Teil des Kreuzbaus (Haus I) könne für die Erweiterung der KZ-Gedenkstätte im Torhaus genutzt werden. „Das Quartier Santa Fu wird die historische Bedeutung atmen müssen“, sagte Steffen damals.
Seit April 2021 liegt die Machbarkeitsstudie vor und wird seitdem unter Verschluss gehalten. Nach Informationen des Abendblatts belaufen sich danach die Kosten für die sogenannte „Freiziehung“ der Fläche und die Sanierung der Gebäude auf 35 Millionen Euro. Aufwendig ist der Abriss nicht denkmalgeschützter Gebäudeteile, die künftig unmittelbar an die Anstaltsmauer der JVA grenzen würden. Zudem muss die Außensicherung der JVA in diesem Bereich neu gebaut werden.
Sprinkenhof-Studie wird „hausintern“ geprüft
Für die Ausgestaltung und den Betrieb unter anderem eines Dokumentationszentrums zur Erinnerung an das „Kola-Fu“ sowie eines Hostels in Verbindung mit dem geschichtlichen Ort nach dem Mieter-Vermieter-Modell sollen weitere 35 Millionen Euro veranschlagt worden sein. Laut Justizbehörde wird die Sprinkenhof-Studie „hausintern“ geprüft (seit einem Jahr!) und anschließend „zunächst verwaltungsintern abgestimmt“. Das klingt nicht nach Priorität, sondern nach langer Bank. Wie zu hören ist, geht es vor allem um die angeblich zu hohen Kosten des Projekts.
„Wir setzen uns dafür ein, in den nicht mehr benötigten Gebäudeteilen der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel einen Ort der Würdigung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus einzurichten“, legt sich immerhin der Kultursenator fest. Hängt wieder alles am Geld? Die Initiative Gedenkort Stadthaus weist schon mal auf die Sanierung des Bismarck-Denkmals hin, für die knapp neun Millionen Euro offensichtlich im Landeshaushalt vorhanden sind, sowie die wesentlich teurere Rückführung und Restaurierung des historischen Flying-P-Liners „Peking“.
Gedenkort: Klarmann kritisiert Haltung der Senatskanzlei
Der frühere SPD-Bürgerschaftsabgeordnete und Historiker Jan Klarmann schrieb in seinem Buch über Hamburgs Umgang mit dem ehemaligen KZ Neuengamme („Die erneute Demütigung“) mit Blick auf die sehr lange Entstehungsgeschichte des 1981 eröffneten Dokumentenhauses der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, „wie wenig Politik und Verwaltung in Hamburg trotz verbaler Anteilnahme geneigt waren, sich auf die Anliegen der Opfer einzulassen“.
Und weiter: „Die abweisende Haltung der Senatskanzlei, die überstrapazierten finanziellen Vorbehalte und die zunächst dilettantische Herangehensweise machen dies mehr als deutlich.“ Hoffentlich erhält Klarmann nicht erneut Recht.