Hamburg/Berlin. Die geplante Wahlrechtsreform der Großen Koalition lässt Hamburgs Unionsabgeordnete auf die Barrikaden gehen.
Kaum war gestern Morgen im Innenausschuss des Bundestages die Vorentscheidung gefallen, gingen die vier Hamburger CDU-Bundestagsabgeordneten auf die Barrikaden – gegen die eigene Fraktion. Nach dem Ausschuss wird am heutigen Donnerstag der Bundestag mit den Stimmen der Großen Koalition von CDU, CSU und SPD eine Änderung des Wahlrechts beschließen, die die Hamburger CDU massiv benachteiligen wird: Die Elb-Union würde nach dem neuen Wahlrecht auf der Basis aktueller Umfragen sowie der beiden vorangegangen Bundestagswahlen ein Mandat verlieren und nur noch drei statt vier Abgeordnete stellen. Außer die Hamburger würde es nur noch die CSU in Bayern treffen.
„Das geht gar nicht“, sagte der Bundestagsabgeordnete und CDU-Landesvorsitzende Christoph Ploß. Noch haben sich die vier Hamburger Abgeordneten – neben Ploß Marcus Weinberg, Rüdiger Kruse und Christoph de Vries – nicht entschieden, ob sie nach ihrem Nein zur Wahlrechtsreform in der Unions-Fraktion auch im Bundestag dagegen stimmen werden. Ändern wird es nichts.
Bundestag hat derzeit 709 Mitglieder
Darum geht es: Ende August hatte der Koalitionsausschuss von Union und SPD unter anderem beschlossen, das Wahlrecht bereits zur kommenden Bundestagswahl in einem Jahr zu ändern. Anlass ist der Wunsch nach einer Begrenzung der Abgeordnetenzahl. Derzeit hat der Bundestag 709 Mitglieder, es könnten ohne diese Wahlrechtsänderung leicht 750 Abgeordnete werden – die Regelgröße des Bundestages liegt bei 598 Mandaten. Die deutliche Ausweitung hängt mit der gestiegenen Zahl von Überhangmandaten und in der Folge entsprechenden Ausgleichsmandaten zusammen. Union und SPD einigten sich darauf, die 299 Wahlkreise unangetastet zu lassen.
Allerdings soll in einem ersten Schritt der Reform das Wahlrecht so geändert werden, dass „eine teilweise Verrechnung von Überhang- mit Listenmandaten der gleichen Partei ermöglicht und zugleich eine föderal ausgewogene Verteilung der Bundestagsmandate gewährleistet“ wird. Das klingt komplizierter als es ist: Wenn die CDU in Baden-Württemberg mehr Mandate direkt gewinnt, als ihr nach ihrem Zweitstimmenergebnis zustehen, dann werden diese Überhangmandate bislang durch die Zuteilung weiterer Mandate an die anderen Parteien ausgeglichen, bis das Zweitstimmenverhältnis wieder stimmt.
Ungleichbehandlung der Wählerstimmen
In Zukunft soll ein baden-württembergisches Überhangmandat dadurch ausgeglichen werden können, dass der CDU in einem anderen Bundesland ein Listenmandat gestrichen wird. Nun gibt es keinen anderen CDU-Landesverband, in dem das Verhältnis von Direkt- zu Listenmandaten so ungünstig ist wie in Hamburg: Nur Ploß holte seinen Wahlkreis Hamburg-Nord/Alstertal 2017 direkt, die anderen drei zogen über die Landesliste in den Bundestag ein. Das führt laut Mandatsrechner Beta, den der Bundestag benutzt, dazu, dass die Elb-Union eines der drei Listenmandate verliert. Das gilt nicht nur auf der Basis der aktuellen Umfragen, sondern auch, wenn das neue Wahlrecht auf die Ergebnisse der Bundestagswahlen 2013 und 2017 angewendet wird.
„Die Änderung des Wahlrechts soll Probleme lösen und nicht neue schaffen. Der aktuelle Gesetzentwurf würde jedoch zu einer deutlichen Ungleichbehandlung der Wählerstimmen führen. Ein CDU-Listenplatz in Hamburg würde doppelt so viele Wählerstimmen benötigen wie einer in Brandenburg. Das wäre unfair “, sagte Rüdiger Kruse.
Aufblähung des Bundestages verhindern
„In Ballungsräumen wie Hamburg oder auch dem Ruhrgebiet werden die CDU-Wähler im Vergleich zu anderen Regionen deutlich unterrepräsentiert sein“, sagt auch Ploß. Im Übrigen würde der Bundestag kaum kleiner. „Als Hamburger CDU wollen wir eine weitere Aufblähung des Bundestages verhindern, lehnen aber kosmetische Eingriffe zur Bundestagswahl 2021 ab, die den Ausgleich von Überhangmandaten einseitig zulasten derjenigen Länder regeln, in denen Listenmandate über die Zweitstimmen der Wähler errungen werden“, sagte Christoph de Vries. Die Hamburger Abgeordneten setzen sich für eine moderate Verringerung der Wahlkreise ein.
Sollte der Bundestag die Reform beschließen, wofür alles spricht, wäre das Gerangel in der Elb-CDU um die aussichtsreichen Listenplätze für die Bundestagswahl 2021 noch größer als ohnehin. Die Landes-Union hat sich darauf verständigt, eine Frau auf Listenplatz zwei zu wählen – nach Lage der Dinge wird das Franziska Hoppermann sein, die CDU-Fraktionschefin in der Bezirksversammlung Wandsbek. Listenplatz eins dürfte an Parteichef Ploß gehen, sodass sich um den noch aussichtsreichen Platz drei gleich drei Bewerber streiten dürften: Kruse, Weinberg und de Vries.
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Übrigens: Nach dem neuen Wahlrecht bliebe die Gesamtzahl der Hamburger Mandate mit 16 unverändert. Legt man die aktuellen Umfragen zugrunde, dann würden SPD (vier statt fünf) und FDP (eins statt zwei) allein aufgrund der schlechteren demoskopischen Werte jeweils ein Mandat verlieren, während die Grünen drei hinzugewinnen würden und auf fünf Abgeordnete kämen.