Hamburg. Hamburg entwickelt sich zur deutschen Cartoon-Hochburg. Ein neues Buch gewährt Einblicke in eine tierische Unterwasserwelt.
Der Vater mit der Halbglatze am Ruder spinnt reichlich Seegarn. „Junge, es gibt genau vier Arten Fisch“, vertellt er seinem Junior mit der roten Kappe: „Backfisch, Bratfisch, Räucherfisch und Kochfisch.“ Weiß doch jedes Kind. Die bunte Fantasiewelt im Wasser unter dem Schlauchboot jedoch erzählt eine vielfältigere Wahrheit. Wie schön, wenn man mit Schmackes „Butter bei die Fische“ geben kann. So heißt der Titel des jüngst im Hamburger KJM Verlag erschienenen Buchs mit mehr als 100 Cartoons aus dem Wasser. Arbeitsmotto: „Ein Fisch wird kommen.“ Und: „Machen Sie mal Ihren Rochen auf.“
Die Cartoonisten Dorthe Landschulz und Kai Flemming blicken unter die Wasseroberfläche. Unterhalb des Meeresspiegels entdecken die Künstler mit Heimathafen Hamburg Wundersames: einen Wal-O-Maten, die Freiwillige Fischerwehr und Köningskinderfische. Außerdem sind sie Zeugen bei einer Tagung anonymer Blauwale. Wer’s nicht glaubt, muss hingucken.
Cartoons boten während Corona Abwechslung
So fragt ein Hammerhai seinen schwimmenden Kumpel nach dessen Namen. „Billy“ heißt der Kleinere. Weil sein Maul geformt ist wie der typische, zu Ikea-Regalen passende Schraubenschlüssel. Und was ein hungriges Krokodil unter einem Schnappschuss versteht, kann man sich ja denken: Am Strand vernascht es einen Touristen mit Kamera.
Wer mag, kann um die Ecke lachen. Und über hintersinnigen Wortwitz schmunzeln, der originell in eine eigene Bilderwelt übersetzt wird. Nachdem unter dem Flaggschiff „Hamburger Strich“ bei KJM in Blankenese zuletzt eine Trilogie pfiffiger Werke mit Cartoons erschien, gibt’s nun frisch „Butter bei die Fische“. Weitere Ausgaben der humorvollen Welt intelligenter Cartoons sind geplant. Aus der Corona-Not entstand eine Tugend. „Da die Menschen nicht ins Kino oder Theater gehen konnten, sehnten sie sich nach Abwechslung“, philosophiert Verleger Klaas Jarchow. Dieser kleine Boom kecker Cartoons mit individueller Bildsprache soll gehegt und weiterentwickelt werden.
Hamburg wurde zur Hauptstadt der Cartoons
Während Karikaturisten politische Themen aufspießen, haben Cartoonisten oft Menschliches im Visier. Oder Tierisches. In den vergangenen Jahren entwickelte sich Hamburg zur Hauptstadt der Cartoons. Keimzelle ist eine unkonventionelle Kreativrunde. In der Taverne Ägäis an der Langenfelder Straße in Altona-Nord trafen sich ein knappes Dutzend Grafiker und Freigeister zum intellektuellen Austausch. Das Motto der Runde aufrechter Einzelkämpfer ist Programm: „Hamburger Strich“.
Aktuell sind 16 Cartoonisten dabei, davon fünf Frauen. Während Koryphäen wie Til Mette („Stern“) von ihren pointenreichen Bildwitzen leben können, haben die meisten anderen einen artverwandten Hauptberuf als überwiegende Erwerbsquelle. So kann sich der Grafiker und Werbetexter Kai Flemming sein Freizeitvergnügen als Mitwirkender an bisher rund 20 Büchern als freier Unternehmer gönnen.
Kai Flemming versteckt Botschaften in Grafiken
Am Cremon nahe dem Rödingsmarkt steuert er seine Agentur „Guru“ mit neun Mitarbeitern. Der Familienvater kam in Ottensen als Kapitänssohn zur Welt. Heute wohnt er mit Ehefrau Ingrid in Schnelsen. Gemeinsam mit Til Mette rief er vor fünf Jahren die „Kraftfahrgruppe Frohsinn“ ins Leben. Lenker an Lenker gehen Motorradfahrer aus der deutschen Kreativszene auf große Tour.
Buchpartnerin Dorthe Landschulz traf Flemming beim Griechen im hiesigen Restaurant Ägäis. Die 44-Jährige mit Geburtsort Nettelnburg zog 2003 nach Frankreich. Nach einer Zeit in Paris lebt sie nun in der Bretagne. Auf Facebook präsentiert sie jeden Tag ein Tier. Ebenso heißt die Serie. Dorthe Landschulzes Lieblingszeichnung im neuen Buch bezieht sich auf den gestreiften Fisch Nemo: „Dabei handelt es sich nicht nur um einen Witz, sondern um eine inhaltliche Aussage.“ Der Betrachter soll daran erinnert werden, dass Menschen die Meere verschmutzen. Auch Kai Flemming pflegt Botschaften in seinen Grafiken zu verstecken.
„Frei_Fläche“ als Chance für „Hamburger Strich“
Vor einem Automaten muss ein Wal entscheiden: Krill, Fisch oder Krake? Ist es mehr eine Qual als eine Wahl? „In unserer grafischen Fantasiewelt dürfen wir alles machen“, sagt er. Ergebnisse dieses Schaffensprozesses sind im neuen Buch zu sehen.
Vielleicht gibt es bald ganz andere Seiten. Das Hamburger Förderprogramm „Frei_Fläche“ stellt preisgünstige Räume als Experimentierfelder für Kreative zur Verfügung – als Zwischennutzung in leer stehenden Läden in der Innenstadt zum Beispiel. Die 16 im „Hamburger Strich“ vereinten Cartoonisten könnten sich auf einer zentral gelegenen Fläche präsentieren. „Vielleicht verlege ich mein Homeoffice dorthin“, plant Kai Flemming. Das wäre eine ganz neue Perspektive. Ohne Witz.