Hamburg. Paar von sächsischen Beamten attackiert. Eingeständnis vor Gericht verhindert öffentlichen Prozess.

Die Polizeiabsperrung am Holstenglacis ist bereits wieder geöffnet, als sich die junge Frau und ihr Lebensgefährte in der G-20-Nacht vom 7. auf den 8. Juli 2017 auf ihren Fahrrädern nähern. Plötzlich aber stellen sich dem radelnden Pärchen mehrere Polizeibeamte entgegen, schreien auf die beiden ein und gehen auf sie los. Sie reißen die 28 Jahre alte Frau vom Fahrrad, das dabei sogar durch die Luft fliegt, zerren sie über das Pflaster, verletzen sie am Rücken und brechen ihr einen Arm. Anschließend lassen sie die Frau auf einer Verkehrsinsel am Sievekingplatz zurück. Ihren immer wieder um Hilfe rufenden 32 Jahre alten Lebensgefährten drängen sie ab und schlagen ihn.

So schildern es heute die Anwälte der Betroffenen – als einen von vielen mutmaßlichen Übergriffen von Polizisten während des G-20-Gipfels, deren Aufarbeitung aber ohne eine einzige Anklage blieb. Im Fall des möglichen Angriffs auf das junge Paar hat die Polizei nun jedoch erstmals vor Gericht eingeräumt, dass es sich tatsächlich um illegale Polizeigewalt gehandelt haben könnte. Eben das hatte auch der damalige Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) nach dem Gipfel noch kategorisch ausgeschlossen.

Polizei erkennt vor Gericht G-20-Übergriff an

In dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht hatten die Anwälte des Paares beantragt, dass der Vorfall eindeutig als rechtswidriges Vorgehen festgestellt wird. „Nach mehrjähriger Untätigkeit der Hamburger Justiz und einer Verzögerungsrüge nach dem Gerichtsverfassungsgesetz aus 2020 setzte das Gericht einen Erörterungstermin im Mai 2022 fest, schilderte seine vorläufige Rechtsauffassung und strebte einen prozessualen Vergleich an“, heißt es nun. Dieser sei von den Klägern abgelehnt und eine öffentliche Beweisaufnahme gefordert worden, teilten die Anwälte des Paares mit. Das aber wollte die Polizei wohl vermeiden – und räumte in einem „Anerkenntnis“ nun das Geschehen ein. Zumindest formal.

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Von Christoph Heinemann und Joana Ekrutt

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Denn dass sich der Vorfall tatsächlich so abgespielt habe, sei keineswegs geklärt, betont Polizeisprecherin Sandra Levgrün auf Anfrage. Die Anerkenntnis sei vielmehr „aus verfahrensökonomischen Gründen und mit Blick auf die Beweislastverteilung“ abgegeben worden. Im Klartext: Man könne nicht ausschließen, dass Polizisten das Paar wirklich angegriffen haben. Genau jenen Beweis habe das Gericht aber verlangt. Es soll sich um sächsische Beamte handeln, die bei G 20 im Einsatz waren – aber konkrete Beschuldigte wurden nie gefunden. Um das Verfahren nun abzuschließen, erkannte die Polizei demnach das Geschehen an.

Kläger üben weiterhin Kritik

Die Kläger sehen das als Erfolg, üben aber auch Kritik. „Wir gehen davon aus, dass die Polizei das Image einer vermeintlich rechtmäßig handelnden Sicherheitsbehörde im Zusammenhang mit dem G 20 schützen will und deshalb die Beweisaufnahme verhinderte. Im Ergebnis steht so die gerichtlich festgestellte Rechtswidrigkeit polizeilicher Gewalteinwirkung der Behauptung rechtmäßig handelnder Polizei ohnehin gegenüber“, sagte der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam, der den Kläger vertritt.

Und der für die bei dem Geschehen verletzte Frau arbeitende Hamburger Anwalt Christian Woldmann ergänzt: „Es war brutale, unangekündigte und ungerechtfertigte Gewalt mit erheblichen Folgen, die unserer Mandantin und unserem Mandanten angetan wurde. Eine Zuordnung konkreter Täter scheitert aber, weil sich die voraussichtlich beteiligte Einheit aus Sachsen in Schweigen hüllt. Ein Aufklärungsinteresse besteht hier weder in Sachsen noch in Hamburg.“

Kein einziger Polizist will sich an Übergriff erinnern können

Wie es in Hamburger Polizeikreisen heißt, sei sehr wohl intensiv versucht worden, mögliche Täter in den Reihen der sächsischen Polizei zu identifizieren. Dieser Aufwand habe auch zur Verfahrensdauer beigetragen. Kein einziger Polizist aus der entsprechenden Einheit habe sich aber an einen Übergriff auf das Pärchen erinnern können. Deshalb bleibe das Geschehen fraglich.

Der Fall könnte auch bei der immer wieder geführten Diskussion über die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte eine Rolle spielen. Zumindest die Kläger aus diesem Verfahren würden Vorteile darin sehen, um Beschuldigte zu identifizieren. „Hätte es eine Kennzeichnungspflicht gegeben, hätte uns das sehr geholfen.“, sagte der Anwalt Christian Woldmann dem Abendblatt. Immerhin sei dies nun „der erste Fall, in dem offiziell festgestellt wurde, dass es bei G 20 in Hamburg Polizeigewalt gegeben hat“. Seine Mandantin prüfe nun, ob sie weitere Ansprüche geltend mache, etwa Schmerzensgeld. Denkbar sei auch, dass sich nun die Krankenkasse bei der Stadt melde und Behandlungskosten für die Verletzungen zurückfordere, die durch den rechtswidrigen Polizeieinsatz entstanden seien.

Niedersächsische Kollegen haben die sächsischen Kollegen beobachtet

Laut Woldmann haben mehrere niedersächsische Beamte das Verhalten der Kollegen aus Sachsen beobachtet und es später während der Ermittlungen als brutal und nicht in Ordnung beschrieben. „Das habe ich so bisher in keinem meiner Verfahren erlebt“, so Woldmann. Bei der Polizei ist von weiteren Belastungszeugen außer dem Paar dagegen keine Rede.

Nach Einschätzung des Anwalts könnte es in weiteren Fällen noch Zivilklagen geben – hier könne man im Gegensatz zum Strafrecht bei vorsätzlicher Körperverletzung bis 30 Jahre nach dem Ereignis klagen. So könnten G-20-Vorfälle die Justiz noch länger beschäftigen.