Hamburg. Eine syrische Familie bittet beim Welcome Dinner zu Tisch: Wenn das Fastenbrechen beginnt, lernen Gäste und Gastgeber viel übereinander.
Zwei Frauen klingeln an der Wohnungstür der Familie Alsabbagh in Langenhorn. Sie steigen die Treppen des Mehrfamilienhauses hinauf, betreten den Flur und werden von Ayman Alsabbagh, 33, und seiner Frau Aya, 29, freundlich begrüßt. Es ist kurz nach 20 Uhr, der Tisch ist reich gedeckt für das Abendessen. Und die kleine Küche perfekt aufgeräumt – es lässt sich kaum ahnen, welche Arbeit die Hausfrau hier stundenlang geleistet hat.
Der Duft einer nahrhaften Suppe liegt in der Luft, auf einer Etagere ruhen süße Köstlichkeiten für das kulinarische Finale. Aber die beiden Gäste Susanne Hantel, 57, und Rosario Junkereit, 71, müssen sich genauso genauso gedulden wie ihre Gastgeber. Ayman und Aya warten bereits seit morgens, 3.54 Uhr, auf das festliche Mahl am Abend. Die beiden Sunniten haben seitdem weder irgendetwas gegessen noch getrunken. Nicht einmal einen Schluck Wasser. Erst exakt um 21.19 Uhr beginnt das sogenannte Fastenbrechen Iftar. So schreiben es die Gesetze des Fastenmonats Ramadan vor, den die muslimische Welt vom 5. Mai bis 5. Juni begeht.
Näher kommen durch Erzählen
Auch in Hamburg folgen Tausende Muslime diesem alten Ritual, eine Zeit des Gebets und Verzichts, aber auch der Gastfreundschaft. Die Organisation Welcome Dinner vermittelt während des Ramadans eine ganz besondere Essenseinladung: Flüchtlinge empfangen Hamburger zum Fastenbrechen in ihrem Zuhause. „Alle Hamburger sind herzlich eingeladen, sich anzumelden und die muslimische Tradition des Fastenbrechens kennenzulernen“, sagt Ines Burckhardt von Welcome Dinner.
An diesem Abend in Langenhorn sind Susanne Hantel und Rosario Junkereit, eine gebürtige Brasilianerin, der Einladung der syrischen Flüchtlingsfamilie gefolgt. Susanne Hantel hatte von der Aktion im Abendblatt gelesen und sich spontan angemeldet. „Durch die Aussiedlerarbeit in meiner Kirchengemeinde in den 1990er-Jahren bin ich sensibel geworden für kulturelle Begegnungen.“ Die Aktion sei eine „tolle Sache, weil man sich durch Erzählen näher- kommt“. Welcome Dinner organisiert bereits seit 2015 Abendessen, bei denen normalerweise Hamburger Familien Flüchtlinge und Zuwanderer willkommen heißen. Dieses Jahr wird die Aktion erstmals umgedreht, die Flüchtlinge laden die Hamburger ein.
Per WhatsApp Kontakt nach Syrien
Die Gäste sitzen auf dem Sofa vor einem TV-Gerät, Gastgeberin Aya kümmert sich gerade um die beiden Kinder Amro, 8, und Leen, 3. Sie müssen noch nicht fasten. Das Mädchen läuft freudig durch die Wohnung, nascht ein Stück vom Kuchen und zeigt keck die Figuren Ernie und Bert. Ayman erzählt, dass die Familie seit dreieinhalb Jahren in Hamburg lebt. Zuvor war sie über Dubai aus ihrer Heimatstadt Aleppo in Syrien geflohen. Die anerkannten Flüchtlinge waren zeitweise in Massenunterkünften untergebracht und sind dankbar, jetzt eine kleine Wohnung zu haben. Beide sprechen gut Deutsch; Ayman absolviert gerade eine Ausbildung zum staatlich geprüften Techniker, und seine Frau hat gerade die Sprachprüfung bestanden.
„Unsere Eltern sind in Aleppo geblieben. Sie sind zu alt, um wegzugehen“, erzählt der Syrer. Aber per WhatsApp halten sie miteinander Kontakt. Auch dort wird gerade der Ramadan gefeiert „Nur ist die Zeit des Fastens nicht so lange“, sagt er. Weil dort die Tage kürzer als in Nordeuropa sind, beträgt sie zwischen zehn bis zwölf Stunden. Im Norden können es schon mal 19 Stunden werden.
Nach 16 Stunden Fasten als Erstes eine süße Dattel
Das Fasten gehört wie das Glaubensbekenntnis, die täglichen Gebete, die Armensteuer und die Pilgerfahrt nach Mekka zu den fünf Säulen des Islam. Der Ramadan beginnt und endet, wenn die Mondsichel nach Neumond erstmals wieder sichtbar ist. Der Beginn kann von Land zu Land unterschiedlich sein. In Deutschland einigen sich die Islamverbände seit 2008 auf gemeinsame Daten. Im Ramadan sind die Gläubigen – Männer und Frauen gleichermaßen – aufgerufen, von Sonnenaufgang bis -untergang auf Essen, Trinken, Rauchen und Geschlechtsverkehr zu verzichten. Befreit vom Fasten sind Alte und Kranke, Kinder, Schwangere und Reisende sowie Soldaten im Krieg. Der Ramadan ist auch der Monat der guten Taten und der Läuterung von Körper und Seele. Mitmenschlichkeit und Versöhnung stehen im Mittelpunkt.
Und sie laden Freunde ein, wie es bei den syrischen Muslimen üblich ist – jetzt auch in Hamburg. Ayman schaut immer wieder auf sein Handy. 21.10 Uhr. 21.15 Uhr.
„Bitte nehmen Sie Platz.“ Auf dem Wohnzimmertisch stehen Karaffen mit Wasser, Suppenteller, Hummus, Auberginen, ein Salat mit Tomaten, Petersilie und Gurken. Und eine große Schale mit Reis, Huhn, Nüssen und Freekeh, einem unreifen Weizen, erstanden in einem Geschäft mit türkischen und syrischen Produkten. „Die Minze und das Gemüse haben wir im Supermarkt gekauft“, sagt Ayman.
21.19 Uhr. Alle könnten jetzt kräftig zulangen. Doch sie tun es nicht. Der Übergang vom mehr als 16-stündigem Verzicht geschieht langsam, spirituell. Die beiden Syrer essen zunächst eine Dattel. Wie süß! Es war auch die letzte Speise am frühen Morgen, als der Wecker klingelte, für das Gebet.
21.25 Uhr. Sie trinken Wasser und beginnen das üppige Mahl. Die Gäste loben das Essen überschwänglich. Dann folgen Gespräche über Gott und die Welt, über den achtjährigen Amro, der freiwillig eine Stunde lang gefastet hat und dem Vorbild der Eltern bald folgen will.
Spät nach Mitternacht, als die Familie wieder allein ist, schalten die Syrer den Fernseher an und genießen die Zeit zu zweit. Ein ganz normaler Abend, bis mit dem Sonnenaufgang wieder das lange Warten und Verzichten beginnt.