Hamburg. Die Pandemie macht erfinderisch: Weil Flugzeuge derzeit kaum starten, heuerte Sophia Daub bei DHL an.
Morgens um 7 Uhr geht in Hamburgs Südosten die Post ab. Im wahrsten Sinn des Wortes. Sophia Daub hat alle Hände voll zu tun, gut 130 Päckchen und Pakete in ihren Mercedes-Transporter zu verfrachten. An beiden Innenseiten befinden sich jeweils drei Regalreihen. Was in aller Frühe sinnvoll platziert ist, spart später wertvolle Zeit. Hat alles seine Ordnung, steuert die 32-Jährige ihren Kastenwagen vom Hof des DHL-Paketzentrums in Allermöhe. Im Minutentakt geht’s sodann durch ihren Bezirk. Ein Segen, wenn man patent ist und sich im Stadtteil auskennt.
Vor Corona wäre die gelernte Hotelfachfrau aus Sachsen nicht im Traum auf den Gedanken gekommen, dass sie heute als Aushilfskraft auf 450-Euro-Basis durch Hamburg kutschiert und Paketsendungen zustellt – bekleidet mit einer Jacke in den Farben Gelb und Rot. Zuvor war Sophia Daub zehn Jahre als Stewardess im Einsatz, davon acht im Dress von Air Berlin.
Ideen waren gefragt
Als die Fluggesellschaft in Konkurs ging, wechselte sie zur Flotte der Luftverkehrsfirma Air Hamburg. Das Unternehmen bringt gut betuchte Geschäftsleute und Privatkunden an individuelle Ziele. Service ist Geschäft. Doch als dieses ob beginnender Pandemie zum Erliegen kam, folgte kurz vor Ende der Probezeit die Kündigung.
Zu allem Überfluss hatte sich auch ihr Job als Teilzeitkraft im gutbürgerlichen Restaurant Dorfkrug in Volksdorf coronabedingt erledigt. „Ideen sind gefragt“, sagte sie sich und lamentierte nicht, sondern schritt zur Tat. Im Frühling des vergangenen Jahres war das. Sie wollte nicht zu Hause in Hoisdorf sitzen und die Hände in den Schoß legen. In Internetportalen suchte sie nach einer neuen Verdienstmöglichkeit.
Organisations- und Improvisationskunst hatte sie gelernt
Kurzentschlossen rief sie bei DHL an, dem Paketdienst unter dem Konzerndach der Deutschen Post AG. „Kannst du im Extremfall 31,5 Kilogramm tragen?“ war die Frage Nummer eins. „Klar, keine Sache“, entgegnete die Sächsin. Bis zu diesem Maximalgewicht dürfen Sendungen aufgegeben werden. „Dann ging alles im Sauseschritt“, erinnert sich Frau Daub. Nach ein paar Tagen als Beifahrerin an der Seite des Profis Dennis setzte sie sich im Alleingang ans Steuer.
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Die junge Frau war in ihrem Element. Organisations- und Improvisationskunst hatte sie früher im Hotel in Dresden und erst recht an Bord der Flugzeuge gelernt. Zudem nutzte sie eine Begabung, die man nicht lernen kann. „Sophia verfügt über ein gewinnendes Naturell“, weiß ihr Chef Thomas Schulz, Leiter der DHL-Zustellbasis in Allermöhe.
Sie mag Handeln lieber als Jammern. Ihre anpackende Lebenseinstellung half im Sommer des Vorjahres. Als Corona auf dem Rückzug schien, kehrte Sophia Daub in ihr vertrautes Berufsfeld zurück. In Ahoi-Restaurants in der Hamburger Innenstadt und in Travemünde fand sie eine Festanstellung. Alles schien bestens.
Bundesweit wurden rund 10.000 Mitarbeiter angeheuert
Bis der Lockdown der Hotelfachfrau erneut einen Strich durch die Rechnung machte. Als ihr ehemaliger Boss Thomas Schulz die fröhliche, melodiös sächselnde Stimme hörte, ließ er sich nicht lange bitten: Anfang November 2020 war Sophia wieder an Bord.
Auch weil das Geschäft der Paketfirmen boomt. Nicht nur zur Weihnachtszeit, als die Deutsche Post DHL Group mit allein in Deutschland 61 Millionen Paketen binnen einer Woche einen Rekordwert in der Unternehmensgeschichte verbuchte. Bundesweit wurden rund 10.000 Mitarbeiter angeheuert, überwiegend in der Sortierung und Zustellung. Eine davon ist Sophia Daub.
Oft arbeitet sie zwei bis drei Tage in der Woche. „Ortskenntnis und Technik helfen“, sagt sie nach Feierabend. Ne-ben einem Smartphone hat sie unter-wegs einen Scanner und einen Minidrucker zur Hand. Sind die etwa 130 Pakete gescannt und im Transporter verstaut, errechnet das Computerprogramm die günstigste Route. Theoretisch.
Schleichwege, festgelegte Ablageorte und hilfsbereite Nachbarn
Ein Navigationsprogramm weist den Weg. Da die Kundschaft kurz vor Zustellung elektronisch informiert wird, ist Pünktlichkeit wichtig. Wer Schleichwege, festgelegte Ablageorte und hilfsbereite Nachbarn kennt, fährt auf der Siegerstraße. Besonders dann, wenn man gut mit Menschen kann. Stammkunden in Bergedorf, Allermöhe, Nettelnburg, Wentorf und Umgebung sind Zeugen. „Trotz des Tempos bleibt Zeit für einen kurzen Schnack“, sagt Sophia Daub in der Diktion ihrer neuen, norddeutschen Heimat, der sie seit zwölf Jahren verbunden ist. „Viele Bürger haben ein großes Herz“, weiß sie aus Erfahrung.
So etwas schafft Wärme, nicht nur äußerlich. Und nicht nur während der Frostperiode Mitte Februar. Beispiel ist eine Hebamme, die daheim neben einer Toilette gelegentlich Kaffee oder ein belegtes Brötchen anbietet. Als es draußen bitterkalt war, saß Frau Daub mit einer Wärmflasche auf dem Fahrersitz – eine Thermoskanne in Reichweite. Klar werden Erinnerungen wach an illustre Destinationen in aller Welt. Als die Stewardess mit Air Berlin oder Air Hamburg auf den Kanaren, auf den Malediven oder in Ägypten Station machte. „Pluspunkte gibt es überall“, meint sie, „man muss sie nur entdecken.“
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Aktuell freut sie sich über ein starkes Team, beflügelnde Erlebnisse, neue Erfahrungen. Trotz der Arbeitsfreude sieht Sophia Daub darin keine Lebensaufgabe. Wenn Corona weit weg ist, möchte die 32-Jährige in ihren erlernten Beruf zurück. Als Optimistin geht sie davon aus, dass es bald so weit ist. Eine Erkenntnis bleibt: Not macht erfinderisch.