Hamburg. Mehr Zögerer kommen in Messehallen, doch eine Gruppe lässt sich nicht überreden. Viele Impfkandidaten bleiben dann nicht mehr übrig.

Der Druck auf Impf-Ignoranten in Hamburg wächst: 2G statt 3G, kostenlose Corona-Tests werden eingeschränkt oder abgeschafft, Geimpfte können die Maske fallen lassen. Mit aller Macht will der Senat die Impfquote in die Höhe treiben. Das Problem: Niemand weiß genau, wie viele Hamburger überhaupt noch geimpft werden können. Nur zwei Wochen nach der Abendblatt-Schlagzeile zu den Experten-Einschätzungen („Deutlich mehr Menschen in Hamburg geimpft als bekannt?“) liegen Zahlen und neue Prognosen vor.

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) hat anhand der Abrechnungen für das zweite Quartal festgestellt: „Die Hamburger Impfquote ist höher als angenommen.“ Sie liege mindestens drei Prozentpunkte über dem aktuellen Wert des Robert-Koch-Instituts. Der betrug am Donnerstag 67,8 Prozent (Erstgeimpfte), bundesweit waren es 64,6 Prozent. Die KV erklärt die Differenz von gemeldeten und tatsächlichen Impfungen mit Verzögerungen beim Melden.

70.000 Impfungen aus Hamburg nicht ans RKI übermittelt

70.000 Impfungen seien in dem Zeitraum nicht ans RKI übermittelt worden. „Den Ärztinnen und Ärzten ist dabei kein Vorwurf zu machen“, sagte der KV-Vorstandsvorsitzende Walter Plassmann. Das Meldeverfahren sei neu und „anfänglich auch technisch nicht stabil“ gewesen. „Auch konnten wir die offenbar in großem Ausmaß fehlenden Meldungen der Betriebsärzte nicht berücksichtigen, weil diese nicht über uns abgerechnet haben.“

Der RKI-Monitor, forderte Plassmann, müsse nun die neuen Zahlen ausweisen und ein „realistisches Bild“ über die Zahl der Impfungen zeigen. Plassmann sagte: „Dies ist umso wichtiger, als dass das Maß der Einschränkungen auch an der Impfquote festgemacht wird.“ Im Gespräch mit dem Abendblatt sagte Plassmann, man müsse jetzt mit dem Virus leben. „Es gibt eine neue Krankheit, und die heißt Corona.“

Mehr Impfskeptiker im Hamburger Impfzentrum

Da immer mit der Impfquote argumentiert wird, um politische Maßnahmen zum Lockern und Verschärfen der Eindämmungsverordnung zu rechtfertigen, müssten die Impfziele neu überdacht werden. Der Sprecher der medizinischen Leiter im Impfzentrum, Dr. Dirk Heinrich, sieht in den Messehallen in diesen Tagen deutlich mehr jüngere Menschen, Impfkandidaten mit Migrationshintergrund und Impfskeptiker.

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Die Zögerer würden mit Maßnahmen wie der Abschaffung kostenloser Tests und 2G unter Druck gesetzt, sich jetzt impfen zu lassen. „Das nehmen wir auch im Impfzentrum wahr, wenn Menschen sich mehr oder minder widerwillig impfen lassen. Sie wollen dann am liebsten Johnson & Johnson, damit sie es hinter sich haben.“

Gut 70 Prozent der Hamburger gegen Corona geimpft

Wie viel Prozent der Hamburger Bevölkerung kommen also überhaupt noch für einen Anti-Corona-Piks infrage? Nur ein extrem kleiner Personenkreis kann aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden, wie die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission zeigen. „Das betrifft unter anderem Menschen, die eine schwere Allergie gegen Polyethylenglykol haben, das im Prinzip in allen Impfstoffen enthalten ist“, sagte Heinrich.

Auch Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), hier in den Messehallen, ist inzwischen doppelt gegen Corona geimpft.
Auch Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), hier in den Messehallen, ist inzwischen doppelt gegen Corona geimpft. © Unbekannt | Pressestelle des Senats

Eine Rechnung könnte so aussehen: Gut 70 Prozent sind nach den neuen Zahlen nachweislich mindestens einmal geimpft. Vermutlich sind es einige Prozentpunkte mehr. Für rund zwölf Prozent gibt es keine Stiko-Empfehlung, das sind die unter Zwölfjährigen. Schätzungsweise zehn Prozent sind Impfverweigerer und Skeptiker. Dann blieben noch geschätzt fünf bis acht Prozent übrig.

Inzidenzwert in Hamburg wieder gestiegen

Impfarzt Heinrich glaubt, dass das Zehntel der Verweigerer und Skeptiker zur Hälfte aus Zauderern bestehe. Nachfragen bei niedergelassenen Hamburger Ärzten haben ergeben, dass manche Patienten selbst mit klaren medizinischen Argumenten nicht zum Piks zu überreden sind. Das wiederum erhöht die Sorge vor wachsenden Zahlen von Ansteckungen und damit vor neuen Varianten, die sich entwickeln können.

Am Donnerstag hat die Sozialbehörde 271 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Das sind 68 Fälle weniger als am Mittwoch, aber 47 mehr als am Donnerstag vor einer Woche (224 Fälle). Damit steigt die Inzidenz erneut auf nun 83,3 (Vortag: 80,8) Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen. Vor einer Woche hatte der Wert bei 88,2 gelegen. Seit Beginn der Pandemie wurden 84.397 Corona-Infektionen registriert. Von ihnen gelten nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts 79.100 als genesen.

42 Corona-Infizierte in Hamburg auf Intensivstationen

In Hamburger Krankenhäusern werden derzeit 113 Corona-Patienten behandelt. 42 Menschen sind so schwer erkrankt, dass sie intensivmedizinisch betreut werden müssen. Die Behörde meldete einen weiteren Todesfall im Zusammenhang mit dem Virus. Bislang sind 1641 Menschen in Hamburg gestorben.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hält die optionale 2G-Regelung in Hamburg derzeit nicht für flächendeckend umsetzbar. „So weit sind wir noch nicht in Berlin, ich sehe es auch nicht für die ganze Bundesebene“, sagte Müller im ZDF. Offensichtlich wolle Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) mit 2G frühzeitig auf eine mögliche Gefahr reagieren.